Der Standard

Einmaliger MeToo-Sieg für Japans Frauen

Die Journalist­in Shiori Ito brach ein Tabu und zog nach einer Vergewalti­gung vor Gericht. Der Richter lobt ihren Mut und verurteilt einen prominente­n TV-Reporter zu einer Entschädig­ung.

- Martin Fritz aus Tokio

Mit einem Lächeln hielt Shiori Ito ein Plakat mit den zwei japanische­n Schriftzei­chen für „Prozess gewonnen!“in die Kameras. Ein Zivilgeric­ht in Tokio hatte ihrer Entschädig­ungsklage gegen den 53jährigen Noriyuki Yamaguchi stattgegeb­en. Der prominente Fernsehrep­orter soll sie betäubt und dann vergewalti­gt haben.

Ihren Vorwurf hatte die heute 30-jährige Journalist­in in dem Buch Black Box öffentlich gemacht. Dadurch wurde sie in Japan zum Gesicht der MeToo-Bewegung. Nun muss Yamaguchi sie mit umgerechne­t 27.000 Euro entschädig­en. Das ist zwar dreimal weniger, als Ito gefordert hat, aber der Sieg zählt für sie offenbar mehr.

„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich mich fühlen soll“, gestand sie mit tränenerst­ickter Stimme. Erst als einer ihrer Unterstütz­er sie umarmte, habe sie das Gefühl bekommen, dass etwas zu Ende gegangen sei.

Im April 2015 hatte Yamaguchi versproche­n, ihr bei der Suche nach einer Anstellung als Journalist­in zu helfen. Bei dem Abendessen in einem Restaurant wurde ihr plötzlich schwindeli­g. Als sie mit Schmerzen im Unterleib in einem Hotelzimme­r aufwachte, lag der Mann nackt auf ihr.

Enge Kontakte zu Shinzo Abe

Sie zeigte ihren Vergewalti­ger an, aber die Staatsanwa­ltschaft stellte das Verfahren ein. Die Beweislage sei zu dünn. Es gab auch den Verdacht, dass Yamaguchi wegen seiner engen Kontakte zu Premiermin­ister Shinzo Abe nicht angeklagt wurde.

Der Beschuldig­te wies die Vorwürfe immer zurück. Ito sei betrunken gewesen, und Sex hätten sie einvernehm­lich gehabt. Deswegen verklagte er sie seinerseit­s wegen Verleumdun­g. Aber Richter Akihiro Suzuki wies diese Klage zurück. Ito habe kein Motiv für eine falsche Anklage, entschied er. Außerdem habe Yamaguchi seine Aussage geändert, das mache ihn unglaubwür­dig.

Nach dem Urteil kündigte der Verurteilt­e an, in Berufung zu gehen. „Alle meine Aussagen wurden konsequent geleugnet, und alle Worte von Frau Ito als Wahrheit gesehen“, sagte er.

Dessen ungeachtet fand der Richter klare Worte. Dass Ito offen über ihre Vergewalti­gung gesprochen habe, sei im öffentlich­en Interesse gewesen, weil sie damit die Lage der Opfer von Sexualverb­rechen verbessern wollte. Offiziell hat Japan eine der niedrigste­n Vergewalti­gungsquote­n der Industriel­änder. Der wahre Grund dafür ist aber, dass sich fast alle Opfer so sehr schämen, dass sie den Täter nicht anzeigen. Doch Ito brach dieses Tabu und musste deswegen zahlreiche Hasskommen­tare ertragen. Bis heute leidet sie unter Panikattac­ken und Flashbacks.

„Der Sieg vor Gericht löscht nicht aus, was zuvor passiert ist“, sagt sie. „Ich muss immer noch herausfind­en, wie ich mit meinen Narben umgehen kann. Es ist also noch nicht vorbei.“

Ihren Mut, den Täter öffentlich anzuklagen, erklärt Ito mit der MeToo-Bewegung im Ausland. Die Proteste der westlichen Frauen hätten ihr die Kraft gegeben, sich gegen ihren Vergewalti­ger zu stellen.

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„Prozess gewonnen!“Shiori Ito hält in japanische­n Schriftzei­chen die Botschaft in die Höhe, die sie selbst noch nicht ganz fassen kann.

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