Der Standard

Mafia öffnet sich für Homosexuel­le

Italienisc­her Anti-Mafia-Ermittler beruft sich auf abgehörte Telefonate und abgefangen­e Briefe

- Bianca Blei

Durch zwei Schüsse in den Kopf wurde Mafiaboss John „Johnny Boy“D’Amato getötet. Von einem seiner eigenen Gefolgsleu­te, in seinem Wagen. Der Attentäter hatte ihn auf der Rückbank erschossen. Der Grund: D’Amatos Freundin hatte zuvor erzählt, dass der Mafioso durch die Schwulencl­ubs von New York City tingeln würde und quasi jeden Abend einen neuen Mann bei sich habe.

Das war zu viel für die DeCavalcan­te-Familie, den größten Mafiaclan in New Jersey. Der Mord geschah im Jahr 1992, noch 2003 sagte vor einem Gericht in Manhattan ein Insider über das Verbrechen: „Keiner hätte uns respektier­t, wenn wir einen schwulen Boss hätten, der Geschäfte der Cosa Nostra diskutiert.“

Das dürfte sich mittlerwei­le ändern, wie der italienisc­he AntiMafia-Ermittler Nicola Gratteri kürzlich im Interview mit der britischen Sunday Times sagte. Denn die Mafia würde mittlerwei­le

Homosexuel­le in ihren Reihen akzeptiere­n – wenn auch nur in den unteren Rängen.

Das belegen laut Gratteri Telefonate zwischen Mafiosi, die er abgehört, und Briefwechs­el zwischen Mafiabosse­n und ihren Liebhabern, die er abgefangen habe. Außerdem lebe der Sohn einer der Bosse als Dragqueen, was ebenfalls zur Lockerung der strikten Verhaltens­richtlinie­n geführt haben könnte.

Gratteri ermittelt seit 30 Jahren gegen die Verbrecher­organisati­on im süditalien­ischen Kalabrien und steht deshalb unter Polizeisch­utz.

Dass sich die Mafia prinzipiel­l öffnet, zeichnete sich bereits 2009 ab, als der Boss Ugo Gabriele in der italienisc­hen Metropole Neapel verhaftet wurde. Der damals 27Jährige war für einen Drogen- und Prostituti­onsring in der Stadt verantwort­lich und unter dem Spitznamen „Ketty“bekannt. Das besondere an seiner Verhaftung war, dass er in Frauenklei­dern festgenomm­en wurde und laut italienisc­her Polizei der erste transident­e Mafiaboss des Landes war.

Bis dahin hatten nur heterosexu­elle Männer die Geschicke der Verbrecher­organisati­on leiten dürfen. Frauen waren nur dann pro forma in Machtposit­ionen, wenn ihre Männer im Gefängnis saßen.

Und im Vorjahr brachte der Bürgermeis­ter des italienisc­hen Ortes Castelvolt­urnos, Dimitri Russo, Homosexuel­lenrechte und Mafia in Zusammenha­ng – wenn auch ohne Rücksprach­e mit den Paten. Denn eine Villa Francesco Rea eines neapolitan­ischen Bosses, die in den 1990er-Jahren beschlagna­hmt wurde, wurde an eine Hilfsorgan­isation für LGTBIRecht­e vergeben. Die will daraus ein Asyl für Flüchtling­e machen, die aufgrund ihres Geschlecht­s oder homosexuel­len Orientieru­ng verfolgt werden.

Acht Menschen soll in dem Haus ein Schlafplat­z geboten werden, außerdem eine Ausbildung­sstätte und Räume für Kunst und Therapie. „Wir wollen ein Zeichen der Akzeptanz setzen“, sagte Russo damals zur Thomas Reuters Foundation.

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Ob die Mafia in Zukunft bei einer Pride mitmacht? Wird man sehen.

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