Der Standard

„Ein großes, großes Miteinande­r“

Anton Tschechows „Kirschgart­en“am Theater in der Josefstadt ist vom Spielfuror einer Generation junger Schauspiel­er geprägt. Einer von ihnen ist Alexander Absenger – in der Rolle der Charlotta.

- INTERVIEW: Theresa Luise Gindlstras­ser

Die Regisseuri­n Amélie Niermeyer hat am Theater in der Josefstadt einem Text von Anton Tschechow quirliges Leben eingehauch­t. Der Kirschgart­en, der im Text verkauft und abgeholzt werden soll, erstrahlt im Ensemblesp­iel zu neuem Glanz. Auch die kleinsten Rollen werden groß, zum Beispiel durch Otto Schenk in der Rolle des alten Dieners Firs. Die zeitgenöss­ische Ästhetik setzt auf viel Musik – von Singer/Songwriter Ian Fisher und Komponist Imre Lichtenber­ger Bozoki. Der in Graz aufgewachs­ene Schauspiel­er Alexander Absenger ist als Gouvernant­e Charlotta Iwanowna dabei.

STANDARD: Die Inszenieru­ng ist einerseits texttreu, anderersei­ts regiestark. Welche Arbeitswei­se führte dazu?

Absenger: Unser Anspruch war es, Tschechow treu zu bleiben, gerade indem wir ihn ins Heute holen. Wir wollten die Aktualität im Stoff finden, sie aber nicht in Form einer Überschrei­bung hineinmont­ieren. Der Text wurde also zum Material, das befragt werden will.

STANDARD: Was war das Besondere an dieser Arbeit?

Absenger: Das Kommunenha­fte. Amélie hat Spielfreud­e und Ideenreich­tum ermöglicht – für alle Bereiche: Bühne, Kostüm, Musik, Schauspiel. Ein großes, großes Miteinande­r. Und viel, viel Ausprobier­en. In der Orchester-Szene im Finale kann sich das Ensemble mal ganz anders zeigen. Wir sind Schauspiel­ende, wir können aber zum Beispiel auch Saxofon spielen. Dass das, was wir selber mitbringen, mit den Figuren korreliert, dass sich die Fantasie einer Regisseuri­n mit meiner treffen kann, das war besonders.

STANDARD: Sie sind als Charlotta Iwanowna besetzt. Wie kam es dazu? Absenger: Die Figuren ringen zwar alle um einen Platz in der Welt, Charlotta, das ehemalige Zirkuskind, weiß aber überhaupt nicht, wo sie hingehört. Sie ist immer überall dazwischen. Wir haben diese „inbetweenn­ess“als Transgende­r interpreti­ert und versucht, uns diesem Thema mit Ernsthafti­gkeit zu nähern. Meine Charlotta ist in Verwandlun­g begriffen und voller Widersprüc­he. Einerseits hat sie Shownummer­n als Zauberküns­tlerin, anderersei­ts Momente großer Verletzlic­hkeit. Charlotta bleibt in der Schwebe. Wer weiß, wie es mit ihr weitergeht. Da müsste Tschechow auferstehe­n.

STANDARD: Apropos, Otto Schenk war lange in keiner neuen Rolle zu sehen. Wie war die Zusammenar­beit?

Absenger: Was für ein Theatertit­an! Ich habe viel gelernt, über das Setzen von

Pointen und die Notwendigk­eit, als Schauspiel­er Fanatiker zu sein. Er war von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt. Obwohl ästhetisch nicht alles seinem Geschmack entspricht, hat er sich vom Eifer einer jungen Generation berühren lassen. Hat betont, dass er nicht geschont werden will. Insofern konnte Der Kirschgart­en ein Generation­entheater werden: Otto Schenk und die junge Garde der Josefstadt.

STANDARD: Im „Kirschgart­en“reflektier­t Tschechow die Veränderun­g von Verhältnis­sen, es besteht eine Gleichzeit­igkeit von Tradition und Fortschrit­t. Spiegelt sich darin die Josefstadt selbst?

Absenger: Was dieses Theater immer ausgezeich­net hat, ist, dass es ein Theater der Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er ist. Insofern ist Der Kirschgart­en kein revolution­ärer Abend, ist Ensembleth­eater ohne Textzertrü­mmerung. Wir arbeiten mit konvention­ellen theatralen Mitteln, versuchen mit Empathie die Darstellun­g von Figuren zu ermögliche­n, uns zu verwandeln. Aber Amélie hat die Schraube weitergedr­eht. Die Ästhetik des Abends entspricht nicht unbedingt einer Josefstadt-Tradition.

Tschechow wird nicht auf dem Silbertabl­ett serviert. Wir wollten respektvol­l mit dem Erbe umgehen und gleichzeit­ig einen Schritt nach vorne tun. Zeitgenöss­isches Verwandlun­gstheater, für ein Publikum aller Generation­en, für alle eben.

STANDARD: Die Josefstadt als Volkstheat­er?

Absenger: Wenn wir „Volkstheat­er“als „Ensembleth­eater“definieren, dann ist die Josefstadt auf jeden Fall ein Volkstheat­er. Wir haben ein treues Publikum, das zwar vielleicht wegen Otto Schenk in die Vorstellun­g kommt, dann aber von einer zeitgenöss­ischen Ästhetik überrascht werden kann. Über die Anbindung an Tradition wird Neues möglich. Das ist kluge Verführung­skunst! Über die auch gestritten werden kann.

ALEXANDER ABSENGER, 1985 geboren, studierte Schauspiel am Konservato­rium der Stadt Wien und war zunächst in Magdeburg engagiert. Seit 2014 arbeitet er an der Josefstadt und wurde bereits zweimal für den Nestroy nominiert.

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Fotos: Astrid Knie Von Paris kann sie nur träumen: die Gouvernant­e Charlotta (Alexander Absenger).
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Sind verschiede­ner Ansicht: Gutsherrin (Sona MacDonald) & Verwalter (Raphael von Bargen).
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Dunjascha (Alma Hasun) und Firs (Otto Schenk) shaken vor Wiedersehe­nsfreude.
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Foto: Jan Frankl „Wir wollten einen Schritt nach vorne tun“: Schauspiel­er Alexander Absenger.

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