Der Standard

Die Stimme der Uiguren

- Philipp Mattheis

Viel mehr als ein Bild hat Yewher Tohti derzeit nicht von ihrem Vater. Der Wissenscha­fter Ilham Tohti, der als die Stimme der von Peking unterdrück­ten Uiguren gilt, befindet sich seit dem Jahr 2014 wegen angeblich spalterisc­her Umtriebe in chinesisch­er Haft. Am Mittwoch nahm seine Tochter im Europaparl­ament den Sacharow-Menschenre­chtspreis für ihn entgegen.

Er ist nicht der erste Träger des Sacharow-Preises, der bei der Verleihung im Gefängnis sitzt. Nicht zuletzt deswegen wird Ilham Tohti mitunter auch mit Nelson Mandela verglichen, der 1988 als Erster die Auszeichnu­ng erhielt. Das ist allerdings nicht die einzige Analogie. Wie Mandela setzte sich Tohti bis zu seiner Verurteilu­ng 2014 immer wieder für die Verständig­ung zwischen Uiguren und HanChinese­n ein.

Wie aktuell dieser Konflikt ist, zeigen die Anfang Dezember veröffentl­ichten „China Cables“. Sie belegen die systematis­che Inhaftieru­ng und Misshandlu­ng von bis zu einer Million Menschen in streng bewachten Lagern. Peking spricht von „Ausbildung­szentren“und bezeichnet die Dokumente als „Fake-News“. Es gehe lediglich darum, „Terroriste­n umzuerzieh­en“.

Tohti wurde 1969 in Artux in der chinesisch­en Westprovin­z Xinjiang an der Grenze zu Kirgisista­n geboren. Bis 2012 unterricht­ete der Wirtschaft­swissensch­after an einer Pekinger Universitä­t. Nebenher gründete er die Website Uyghur Online, die immer wieder auch die Siedlungsp­olitik Pekings in Xinjiang kritisiert­e. 2008 nahmen die chinesisch­en Behörden die Seite vom Netz.

Die Uiguren sind ein muslimisch­es Turkvolk, das in seiner wechselhaf­ten Geschichte immer mal wieder unabhängig war oder zum chinesisch­en Kaiserreic­h gehörte. Seit den 1970er-Jahren aber siedelt Peking immer mehr Han-Chinesen dort an, sodass mittlerwei­le nur noch knapp die Hälfte der 23 Millionen Einwohner Uiguren sind.

Nachdem es 2009 zu schweren Unruhen in der Provinz gekommen war, bei denen rund 150 Menschen, meist HanChinese­n, ums Leben kamen, verschwand Tohti vorübergeh­end, wurde aber auf Druck der US-Regierung einen Monat später wieder freigelass­en. 2014 wurde er abermals festgenomm­en und weniger später zu lebenslang­er Haft wegen „Separatism­us“verurteilt. Außerdem wurde sein Vermögen beschlagna­hmt. Die „Verhandlun­g“nahm zwei Tage in Anspruch.

Menschenre­chtsgruppe­n forderten immer wieder Tohtis Freilassun­g. Ihm war dieses Jahr auch der Václav-Havel-Menschenre­chtspreis verliehen worden. Seine Tochter Yewher Tohti lebt in den USA. Die Auszeichnu­ng des Vaters hat für sie große Bedeutung: „Die Nominierun­g für den SacharowPr­eis zeigt auch, dass die Sache der Uiguren von der EU beachtet wird. Das tröstet mich sehr.“

 ??  ??
 ?? Foto: AP ?? Ilham Tohti wurde am Mittwoch der Sacharow-Preis verliehen.
Foto: AP Ilham Tohti wurde am Mittwoch der Sacharow-Preis verliehen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria