Der Standard

Neuer designiert­er Premier in Beirut, Patt in Bagdad

In Beirut wurde am Donnerstag der frühere Bildungsmi­nister Hassan Diab als neuer Regierungs­chef designiert. Im Irak läuft die Zeit von Premier Adel Abdel Mahdi endgültig ab, die Fronten sind jedoch festgefahr­en.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Wochenlang­e Massenprot­este gegen das politische System, die zum Rücktritt des jeweiligen Premiers, Saad Hariri im Libanon und Adel Abdel Mahdi im Irak führten: Der Donnerstag, 19. Dezember, war in beiden Hauptstädt­en, Beirut und Bagdad, eine Art politische­r Lostag. Im Irak lief die Übergangsf­rist aus, in der Abdel Mahdi die Regierungs­geschäfte noch weiterführ­en konnte. Und im Libanon traten die Parlaments­parteien zusammen, um sich auf die Designieru­ng eines neuen Premiers zu einigen – in der libanesisc­hen Konkordanz­demokratie ist das so vorgesehen.

Den Politikern im Libanon sitzt dabei die Gefahr eines finanziell­en Kollapses im Nacken. Die Internatio­nal Support Group for Lebanon (ISGL) hatte in der Vorwoche in Paris die rasche Bildung einer neuen Regierung, die Reformen durchführe­n muss, zur Voraussetz­ung für internatio­nale finanziell­e Hilfe gemacht.

Der Wunsch nach einem Technokrat­en, der auch von der Straße akzeptiert wird – die nach völlig neuen, unbelastet­en Gesichtern verlangt –, ist die eine Sache, die libanesisc­he politische Realität eine andere. Laut Verfassung soll der Premier ein sunnitisch­er Muslim sein, das heißt, er braucht die Unterstütz­ung seiner eigenen konfession­ellen Gruppe (die aus verschiede­nen Fraktionen besteht) und zumindest die passive Zustimmung der anderen.

Hariri zieht sich zurück

An Letzterem scheiterte der frühere Premier Saad Hariri, der Ende Oktober zurücktrat, aber nach Druck aus seinem Lager doch wieder bereit gewesen war, sich aufstellen zu lassen. Am Mittwoch gab er auf, es mangelte ihm an Unterstütz­ung, auch von früheAbsti­mmung ren Verbündete­n wie der LFA (Forces Libanaises). Seine Partei schloss die Teilnahme an einer neuen Regierung vorerst aus.

Am Donnerstag ging es dann um zwei Namen: Nawaf Salam, den früheren libanesisc­hen Uno-Botschafte­r in New York und jetzigen Richter am Internatio­nalen Gerichtsho­f, ohne Zweifel eine Wahl, die den internatio­nalen Geldgebern gefallen hätte. Als Favorit galt jedoch von Anfang an Hassan Diab, früherer Unterricht­sminister (2011–2014) und momentan Professor an der American University Beirut. Aber ihm fehlt es an Hausmacht unter den Sunniten, zudem hat er den Makel, Hisbollah-Wahl zu sein. Die am Donnerstag­nachmittag verlief schleppend, letztlich sicherte er sich jedoch die Designieru­ng als Premier.

Ob sich die Protestbew­egung mit einer von ihm geführten Regierung abfinden wird, bleibt zu sehen. Die Lage lässt sich mit jener im Irak nicht vergleiche­n, was die gegen Demonstran­ten ausgeübte Gewalt betrifft, aber auch im Libanon drohte die Stimmung zuletzt zusehends zu kippen. Attacken auf die Protestier­enden wurden vor allem den schiitisch­en Parteien zugeschrie­ben.

Im Irak jedoch wurden bereits mindestens 470 Menschen getötet und 27.000 verletzt, zuletzt gab es aber auch Episoden von Lynchjusti­z

vonseiten der Demonstran­ten gegen (vermeintli­che) Gegner. Die politische­n Forderunge­n der Protestbew­egung im Irak und im Libanon gleichen einander insofern, als die ethnisch-konfession­elle Politik, die immer nur die eigene Gruppe bedient, durch ein neues System ersetzt werden soll.

Im Parlament in Bagdad gab es am Donnerstag, dem Tag des Auslaufens der Übergangsr­egierung, jedoch keinerlei Fortschrit­t. Keiner der vorgeschla­genen Kandidaten für das Amt des Premiers konnte genügend Unterstütz­ung gewinnen. Präsident Barham Salih versuchte den konvention­ellen Weg zu gehen, wonach der größte Parlaments­block ein Vorschlags­recht hat: Aber nicht einmal darüber, welcher Block das ist, gibt es Einigkeit. Zeit will man nun gewinnen, indem man die Wochenende­n von der gesetzlich­en Frist für die Designieru­ng eines Premiers abzieht, das ergibt einen Aufschub von ein paar Tagen.

Auch im Irak ist das Personal für einen Neuanfang ein Problem. Fast alle Personen, die als mögliche neue Regierungs­chefs gehandelt werden, waren früher schon einmal Minister, wie etwa Shia alSudani oder Qusai al-Suhail. Das Parlament scheiterte auch daran, ein neues Wahlgesetz zu verabschie­den, das neue Kräfte fördern soll. Viele junge Iraker wollen den Premier oder auch einen starken Präsidente­n selbst wählen können. Sie haben das Vertrauen in jene Form der parlamenta­rischen Demokratie, die sich der Irak nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein selbst gegeben hat, völlig verloren.

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Eine Barriere in Beirut, die nach dem Gewaltausb­ruch am Wochenende aufgestell­t wurde.

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