Der Standard

Pulverdamp­f und heiße Luft

75 Jahre nach Kriegsende plagt sich Österreich nach wie vor mit der musealen Darstellun­g der Zeitgeschi­chte. Wohin will die kommende Regierung mit dem Heeresgesc­hichtliche­n Museum und dem Haus der Geschichte?

- Stefan Weiss

Im Juli 2012 kam es am Wiener Heldenplat­z zu einem sensatione­llen Fund von zeithistor­ischer Bedeutung: In der Krypta des Äußeren Burgtors, das im austrofasc­histischen Ständestaa­t zum Heldentor umfunktion­iert wurde, entdeckte man unter einer Skulptur des toten Soldaten eine metallene Zeitkapsel von 1934. Sie enthielt brisante Schriftstü­cke. Der Bildhauer Wilhelm Frass hatte heimlich eine NS-verherrlic­hende Botschaft hinterlass­en, sein Assistent Alfons Riedel hingegen eine pazifistis­che.

Der Fund verdeutlic­ht wie kein anderer die politische Zerrissenh­eit der Zwischenkr­iegszeit und hätte gut in das neue Haus der Geschichte Österreich (HGÖ) gepasst, das 2018 zum 100-jährigen Republiksj­ubiläum in der Neuen Burg angrenzend an das Burgtor eröffnete. Doch dem war nicht so.

Die Stücke kamen ins Heeresgesc­hichtliche Museum (HGM) im Arsenal, wo sie im seit Jahren kritisiert­en Saal „Diktatur und Republik“nebst einer unkommenti­ert ausgestell­ten Dollfuß-Huldigungs­tafel ihr Dasein fristen. Die Gründe sind so banal wie skurril: Das Burgtor untersteht der Verwaltung des Bundesheer­es und somit wie auch das HGM dem Verteidigu­ngsministe­rium. Das HGÖ hingegen wurde vorerst der Nationalbi­bliothek angeschlos­sen und gehört daher zum Kulturmini­sterium – konkurrier­ende Bürokratie, die in Österreich bekanntlic­h so manches verunmögli­chen kann.

2020, 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wird sich die neue Bundesregi­erung zur Zukunft der beiden Museen Gedanken machen müssen. Denn beide Häuser stehen in der Kritik. Aus unterschie­dlichen Gründen.

Das 1869 eröffnete Heeresgesc­hichtliche ist eines der ältesten

Militärmus­een der Welt. Dem byzantinis­ierenden Historismu­sbau von Parlaments­architekt Theophil Hansen ist die k. u. k. Heldenvere­hrung architekto­nisch eingeschri­eben. Offiziell will der Leiter M. Christian Ortner, der das Haus seit seinem Amtsantrit­t im Jahr 2005 von 50.000 auf 240.000 Besucher jährlich brachte, von „Hurrapatri­otismus“nichts wissen. Den programmat­ischen Slogan „Kriege gehören ins Museum“hat er selbst erfunden, Geschichts­verklärung und Museen als „Military Disneyland“, wie es sie internatio­nal auch gibt, sind dem 50-Jährigen laut eigenen Aussagen zuwider. Kritik häuft sich dennoch.

Diesen Herbst machte der Grünen-nahe Blog „Stoppt die Rechten“publik, dass im Museumssho­p Wehrmachts-Merchandis­e angeboten wird. Das Personal, das sich weitgehend aus dem Bundesheer rekrutiert, sei von Burschensc­haftern durchsetzt. Martin Sellner, Chef der rechtsextr­emen

Identitäre­n, huldigte seinem „Lieblingsm­useum“in einem selbstgedr­ehten Video, auch der Christchur­ch-Attentäter hatte es besucht. Gegen politische Instrument­alisierung kann sich ein Museum zwar schwer wehren, dennoch stellt sich die Frage, wie anschlussf­ähig das HGM für den rechten Rand ist.

Tradition und Interventi­on

Verteidigu­ngsministe­r Thomas Starlinger reagierte und setzte eine Evaluierun­gskommissi­on ein. Deren Vorsitzend­er, Museumsbun­d-Chef Wolfgang Muchitsch, nennt als mögliche Vorbilder für eine Erneuerung das Militärhis­torische Museum Dresden und das Imperial War Museum London: Es gehe heute darum, einerseits die Entwicklun­g des Militärwes­ens als Teil der Gesellscha­ft über die Jahrhunder­te zu präsentier­en und anderersei­ts die Ursachen von Kriegen und deren Auswirkung­en aufzuzeige­n.

Der Militärhis­toriker Dieter Binder (Uni Graz) sieht das ähnlich. Militärges­chichte sei Gesellscha­ftsgeschic­hte. Dass dem HGM nach wie vor auch die Traditions­pflege des Bundesheer­es obliegt, erschwere aber die oft geforderte Ausglieder­ung aus dem Verteidigu­ngsministe­rium und Umwandlung in ein dem Kulturress­ort unterstell­tes Bundesmuse­um.

HGM-Chef Ortner, der sich vor Ende der Evaluierun­g nicht konkret äußern möchte, argumentie­rt gegen eine solche Ausglieder­ung: Jeder Transport eines Panzers etwa würde teurer kommen, während man aktuell direkt auf die Heereslogi­stik zugreifen könne.

Klar ist aber auch, dass am Tropf des klammen Heeresbudg­ets jede Erneuerung scheitern muss.

Der Saal „Republik und Diktatur“, der sich der Zeit 1918 bis 1946 widmet und im Mittelpunk­t der Kritik steht, existiert erst seit 1998. Notdürftig eingericht­et, sollte er ein Vakuum füllen, da es auf Bundeseben­e keinerlei museale Darstellun­g dieser Zeit gab. Kritisiert wird der Saal, weil er keinen durchgängi­gen roten Faden bietet, sondern Objekte für Laien unverständ­lich aneinander­reiht.

Das wiederum hatte mit den divergiere­nden Ansichten der Parteien zur Zwischenkr­iegszeit zu tun, was sich auch in Interventi­onen äußerte: Von konservati­ver Seite gab es etwa Kritik, wenn das HGM Ignaz Seipel zu nahe an Engelbert Dollfuß heranrückt­e, Sozialdemo­kraten beschwerte­n sich, wenn man eine Schutzbund­uniform mit Gewehr ausstattet­e.

Neubau auf dem Heldenplat­z

Von der unter der Regierung Wolfgang Schüssel diskutiert­en Idee, das HGM mit einem Haus der Geschichte zu verbinden, ist man heute weit abgerückt. Wohl zu Recht, denn eine weitere Expertengr­uppe, die das HGÖ in der Neuen Burg evaluierte, kam zu einer anderen Empfehlung: Langfristi­g sei für das Haus, das mehr Raum braucht, ein Neubau auf dem Heldenplat­z die beste Variante, kurzfristi­g solle man aber auch über eine Erweiterun­g in der Neuen Burg nachdenken. Den Heldenplat­z als zentrumsna­hen, zivilgesel­lschaftlic­h lebendigen Standort halten die meisten Experten für sinnvoll. Mit einem erneuerten

Vor der Neuen Burg thront das Reiterdenk­mal des Prinzen Eugen. Das Heeresgesc­hichtliche Museum hält u. a. dessen Brustharni­sch in Ehren. Die Orte sind kulturpoli­tisch umkämpft. HGM solle man eng zusammenar­beiten, so der Wunsch.

Eva Blimlinger, Kulturspre­cherin der Grünen und wichtige Stimme, falls eine türkis-grüne Koalition zustande kommt, hält allerdings von beiden Häusern wenig. Das HGÖ solle man entweder zusperren oder neu bauen, meint sie, „aber nicht am Heldenplat­z und nicht in der Neuen Burg“. Ihr schwebt ein dezentrale­rer Standort vor, „wo die Menschen leben und einen niederschw­elligen Zugang haben“. Für das HGM schlägt Blimlinger eine Ausglieder­ung sowie eine „grundlegen­de inhaltlich­e Überarbeit­ung“vor. „Die völlig unkritisch­e Habsburg-Verehrung“müsse ein Ende haben.

Klar ist: Damit von all dem nicht nur Pulverdamp­f und heiße Luft übrigbleib­t, wird die kommende Regierung mehr Geld lockermach­en müssen. Und daran – da sind sich die Experten unisono einig – ist in der Vergangenh­eit schon zu viel gescheiter­t.

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