Der Standard

„Du kannst dir nicht ständig auf den Nabel sehen“

Die Abgründe der menschlich­en Seele im Wien vor dem Ersten Weltkrieg inszeniert Regisseur Robert Dornhelm in „Vienna Blood – die letzte Séance“. Zu sehen ist das österreich­isch-britische Kriminaldr­ama heute, Freitag, um 20.15 Uhr in ORF 2.

- INTERVIEW: Oliver Mark

Ein Mord, eine dekadente Wiener Elite am Anfang des 20. Jahrhunder­ts und ein österreich­isch-britisches Ermittlerd­uo: Das sind die Ingredienz­ien von Robert Dornhelms Vienna Blood – Die letzte Séance – dem ersten Teil der Trilogie, die auf den Liebermann-Romanen des Briten Frank Tallis basiert. Im düsteren Wien ermitteln Juergen Maurer als Kommissar und der Brite Matthew Beard als unkonventi­oneller Arzt und Jünger Sigmund Freuds. Die Teile zwei und drei unter der Regie von Umut Dag zeigt der ORF im Frühjahr 2020.

STANDARD: Der Film spielt in Wien ein paar Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Was war charakteri­stisch für diese Zeit?

Dornhelm: Ich fand es interessan­t, dass die ganzen Literaten und Künstler dieser Zeit den Ersten Weltkrieg begrüßt haben. Der Karl Kraus hat die jüdischen Kriegsprof­iteure genauso beschimpft wie die Nazis die Juden. Die Verhältnis­se waren nicht so klar. Viele wunderbare Autoren, die das später bedauert haben, haben den Ersten Weltkrieg mit großer Freude unterstütz­t und euphorisch begrüßt. Am meisten interessie­rt an diesem Film hat mich die Zeit. Der Film spielt im Jahr 1909, wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, es gab tolle Entwicklun­gen in der Musik, der Architektu­r, bildenden Kunst, und auf der anderen Seite gab es den aufkommend­en Nationalis­mus.

STANDARD: Die BBC hat die „Vienna Blood“-Filme gekauft und bereits ausgestrah­lt. Mit großem Erfolg und vor zum Teil 2,5 Millionen Zusehern. Ich nehme an, dass solche Zahlen einen Regisseur freuen? Dornhelm: Natürlich freut mich das, wenn viele Leute den Film sehen. Ich möchte mich aber davor hüten, meine Erfolge immer nur an den Zuseherzah­len zu messen, aber ich bin pragmatisc­h und weiß natürlich, dass mein nächster Auftrag davon abhängt, ob es ein Publikum dafür gibt. Wenn du viel Geld für etwas ausgibst, das wenige ansehen, sagen sie: Okay, mach es für Arte. Warte fünf Jahre, bis die Finanzieru­ng steht. Dann kannst du machen, was du machen willst, allerdings für ein Minderheit­enpublikum. Willst du weiter Mainstream arbeiten, ist die Einschaltq­uote wichtig. Mir hat die BBC-Chefin gesagt: Wenn wir eine Million erreichen, bin ich zufrieden, jetzt haben sie das Zweieinhal­bfache. Jetzt hoffe ich, dass sie uns den nächsten Auftrag gibt.

STANDARD: Die Chancen, dass es auch in Österreich ein

Robert Dornhelm, Garant für ein Millionenp­ublikum.

Erfolg wird, stehen gut. Wer Sie engagiert, engagiert einen Quotengara­nten.

Dornhelm: Ich bin ein Garant für gute Quoten und schlechte Kritiken im STANDARD. (lacht) Meine erste schlechte Kritik im STANDARD war im Jahr 1991 für den Film Requiem für Dominic mit einer ganz üblen Überschrif­t. Dann bin ich persönlich zu Oscar Bronner gegangen, hab es ihm hingehauen und gesagt: Hier sind die guten Kritiken der New York Times von Vincent Canby, einem der berühmtest­en Filmkritik­er aller Zeiten, oder der L.A. Times, und im STANDARD

war es ein Vollverris­s.

STANDARD: Sie lesen Kritiken und reagieren darauf? Dornhelm: Den Engländern habe ich gesagt: Bitte schickt mir nur die guten Kritiken, die schlechten möchte ich nicht sehen, weil es mich kränkt. Du arbeitest dich blöd, dann picken sie etwas raus, das faktisch falsch ist oder sie haben es nicht richtig gesehen, und du nimmst das persönlich. Oft lese ich es dann wirklich nicht. Du kannst dir nicht ständig selbst auf den Nabel sehen, das ist ungesund. Zumal ich eh weiß, wo die Schwächen sind. Ich bin nicht der größte Fan meiner Arbeit, ich kann sie kritisch und gut beurteilen und sehe, wenn etwas gelungen oder schwerfäll­ig ist, mit leichter Hand oder verkrampft gegangen ist.

(72) ist ein österreich­ischer Regisseur. Er wurde in Rumänien geboren und emigrierte 1961 nach Österreich. Nach dem Studium an der Wiener Filmakadem­ie arbeitet er als Dokumentar­filmer für den ORF und drehte später Filme wie „Requiem für Dominik“, „Anne Frank – The Whole Story“, „Kronprinz Rudolf“, „Das Sacher“oder „Maria Theresia“. Für den Dokumentar­film „The Children of Theatre Street“war er 1978 für einen Oscar nominiert.

Langfassun­g auf derStandar­d.at/Etat

„ Willst du weiter Mainstream arbeiten, ist die Einschaltq­uote wichtig. “

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ROBERT DORNHELM

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