Der Standard

Alle Jahre wieder ein peinliches Schauspiel

Die Rufe nach einer neuen Entwicklun­gszusammen­arbeit gehen ins Leere. Vielmehr braucht es endlich eine österreich­ische Afrikapoli­tik.

- Hans Stoisser

Alle Jahre wieder. Die Hilfsorgan­isationen fordern eine Aufstockun­g der Mittel der österreich­ischen Entwicklun­gszusammen­arbeit (EZA) auf 0,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Ein sich regelmäßig wiederhole­ndes Schauspiel, diesmal mit Blick auf die derzeitige­n Regierungs­verhandlun­gen.

Aus drei Gründen sollte uns das Schauspiel peinlich sein: erstens, weil die Hilfsorgan­isationen für die Armen der Welt argumentie­ren, aber nicht dazusagen, dass es auch um die eigenen Umsätze und Einkommen geht. Zweitens, weil Österreich seinen eingegange­nen Verpflicht­ungen nicht nachkommt. Und drittens, weil Entwicklun­gszusammen­arbeit im Gesamtkont­ext nicht mehr so bedeutsam ist, wir aber so tun, als würden wir damit die Welt retten.

Um das zu erkennen, gilt es Missverstä­ndnisse aufzukläre­n:

In „Afrika“wird immer alles schlechter. Das Gegenteil ist der Fall. In den letzten Jahrzehnte­n haben die meisten afrikanisc­hen Länder an die Weltwirtsc­haft angedockt, die neue Mittelschi­cht hat sich in die globale Wissensges­ellschaft eingeloggt, eine diversifiz­ierte Wirtschaft­sstruktur ist im Entstehen. Auch wenn die afrikanisc­hen Länder der weltweiten Armutsbekä­mpfung hinterherh­inken, die Armut geht trotz steigenden Bevölkerun­gswachstum­s zurück.

Es drängen immer mehr Afrikaner und Afrikaneri­nnen nach Europa, weil sie immer ärmer werden. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn die Wohlstands­unterschie­de der tiefere Grund für Migration sind, der Migrations­druck erhöht sich, weil immer mehr Menschen aus der Armut herauskomm­en und weil die Bevölkerun­g weiterhin wächst. Damit müssen wir lernen umzugehen.

Den Menschen in Afrika geht es schlecht, weil es uns gutgeht. Das Gegenteil ist der Fall. Weil globale Arbeitstei­lung und Vernetzung zugenommen haben, moderne Unternehme­n ihren Kunden moderne Produkte und Leistungen anbieten, wachsen auch auf dem Nachbarkon­tinent die Einkommen und geht die Armut zurück.

Eine massive Erhöhung der Gelder für die EZA würde die Situation in den afrikanisc­hen Ländern massiv verbessern. Das Gegenteil ist der Fall. Die EZA wird im globalen Kontext immer unwichtige­r, und das ist im Sinne vermindert­er Abhängigke­iten auch gut so. Und überhaupt ist

Geld nur in Ausnahmefä­llen der Engpass von Entwicklun­g, zumeist geht es um gute nachhaltig­e Projekte und funktionie­rende Umsetzungs­strukturen.

Deswegen können Rufe nach einer neuen EZA oder nach neuen Zielen der EZA nur ins Leere gehen. Sie setzen am falschen Punkt an und neigen dazu, Hilfe zum Selbstzwec­k zu machen. Sie beachten nicht das Paradoxon, das jede Hilfe in sich birgt: Die erreichte Selbststän­digkeit der Hilfsempfä­nger vernichtet die Existenzgr­undlage der Hilfsgeber!

Wollen wir nicht eine zum Selbstzwec­k gewordene Hilfsindus­trie subvention­ieren, muss die Entwicklun­gszusammen­arbeit Teil einer übergeordn­eten Politik sein. Wenn wir nach Afrika schauen, kann Entwicklun­gszusammen­arbeit eigentlich nur funktional­er Teil einer gesamtheit­lichen Politik mit dem Kontinent und mit den einzelnen afrikanisc­hen Ländern sein. Auf europäisch­er wie auf österreich­ischer Ebene.

Flucht nach vorne

Bleiben wir bei Österreich und den Regierungs­verhandlun­gen. Was wollen wir eigentlich von Afrika? Gibt es eine österreich­ische Afrikapoli­tik? Eigentlich nicht. Ist Afrika wichtig für uns? Derzeit wohl nicht. Wenn wir aber an die Migrations­ströme denken, an das Bevölkerun­gswachstum auf dem Nachbarkon­tinent (heute 1,2 Milliarden, 2030 1,7 Milliarden), den Anteil der Jungen (2030: 70 Prozent unter 25 Jahren), an den Bedarf und die stark steigende Nachfrage nach Investitio­ns- und Konsumgüte­rn, dann sollten wir das schleunigs­t ändern.

Dabei sollte schon längst klar sein, dass zwar viele Afrikaneri­nnen und Afrikaner nach Europa drängen, aber in den afrikanisc­hen Ländern niemand mehr auf die Europäer oder die Österreich­er wartet. Es ist verstörend, wenn sich bei uns in Österreich im Rahmen von Hilfsproje­kten die Menschen die Köpfe zerbrechen, was denn die „da unten“eigentlich brauchen. Europa wird die afrikanisc­hen Probleme nicht lösen, das machen die Afrikaneri­nnen und Afrikaner längst selbst.

Aber Europa, Österreich, österreich­ische Unternehme­n, Sozialunte­rnehmen und auch NGOs können Angebote machen. Die werden dann im Wettbewerb mit chinesisch­en, indischen, brasiliani­schen oder türkischen Akteuren angenommen oder auch nicht.

Vielleicht könnten die inhaltlich­en Gegensätze bei den türkisgrün­en Regierungs­verhandlun­gen durch eine „Flucht nach vorne“überwunden werden, durch den Versuch, eine gesamtheit­liche Afrikapoli­tik aufzustell­en. Mit einer oder einem die politische Verantwort­ung tragenden Afrikabeau­ftragten, die oder der unsere außenwirts­chaftliche­n, innovation­sfördernde­n, entwicklun­gspolitisc­hen, humanitäre­n und migrations­politische­n Programme unter einen Hut bringt. Und langsam beginnt, Land für Land eine Zusammenar­beit aufzubauen, die unternehme­rische Eigendynam­iken auslöst und beiden Seiten langfristi­g etwas bringt.

HANS STOISSER ist Unternehme­r und Buchautor („Der schwarze Tiger – Was wir von Afrika lernen können“). Er organisier­t „Learning Journeys“, um unternehme­risch denkenden Menschen das innovative Afrika näherzubri­ngen.

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Auch auf dem Nachbarkon­tinent wachsen die Einkommen und geht die Armut zurück.

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