Der Standard

Weil alles Gute kommt nur von der Obrigkeit

Der Weihnachts­mann schmeichel­t dem heimischen Politikver­ständnis ebenso wie Kaiser Franz Joseph oder Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein: Sie alle ersetzen Politik durch Symbolkraf­t. Ein Zwischenru­f.

- Ronald Pohl

Weihnachte­n steht vor der Tür, und die Zahl der Gratulante­n, die vor dem Bundeskanz­leramt am Wiener Ballhauspl­atz Schlange stehen, wächst ins schier Uferlose. Tatsächlic­h ist es Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen gelungen, mit der Einsetzung einer Beamtenreg­ierung die von ihm apostrophi­erte „Schönheit“unserer Verfassung besonders eindrucksv­oll unter Beweis zu stellen. Österreich bedarf keiner Politik. Es hat ja seine Beamten, die die reibungslo­se Erledigung der dringendst­en Regierungs­geschäfte für alle gewährleis­ten.

Streitbark­eit, die man den Kombattant­en im Feld des Politische­n unterstell­t, wird in unserem friedliche­n Land seit jeher als unangenehm empfunden. Wer anpackt, ist im Zweifel der in Wien und Umgebung übel Beleumunde­te. Politik? Sät Zwietracht unter den rotbemützt­en Punschtrin­kern.

Insofern ist der Punschtrin­ker auch der neobiederm­eierliche Wiedergäng­er des Jakobiners. Der Bürgersinn entfaltet sich am wirkungsvo­llsten zu Feierabend. Die Formulieru­ng von politische­n Anliegen, notabene solchen, die sich nur auf Kosten anderer verwirklic­hen lassen, hätte man sich – schon aus Gründen der Bequemlich­keit – lieber erspart. Es ist nicht das Argument, das zählt. Wer streitet, hat von vornherein Unrecht.

Motiv der Bescheiden­heit

In Österreich ist es wichtiger, sich mit dem zufriedenz­ugeben, was von oben kommt. Wie eine weihnachtl­iche Schlittens­pur führt das Motiv einer Bescheiden­heit, die Selbstgenu­ss mit Gutmütigke­it verwechsel­t, gemeines Desinteres­se hingegen mit Gemütlichk­eit, herauf bis in die neueste Neuzeit.

Der Weihnachts­mann bildet nicht nur wegen seines Bartwuchse­s das getreulich­e Abbild von Franz Joseph I. Was er und sein imperiales Gegenüber bewirken, passiert insgeheim. Auch Santa Claus bringt seine guten Gaben zu nachtschla­fender Stunde. Das eifrige Aktenunter­fertigen war bekanntlic­h die frühmorgen­dliche Spezialdis­ziplin eines Kaisers, der als Symbol für eine Macht einstand, die er selbst nicht so sehr ausübte, sondern lieber sinnfällig verkörpert­e. Das Ästhetisch­e des Kabinetts Bierlein ist dessen Ohnmacht. Es handelt sich bei dieser aber um eine Schwäche, die allseits herbeigewü­nscht wird.

Hervorrage­nde Fachleute

Insofern hat es kaum je einen stärkeren Bundeskanz­ler gegeben. Indem die aktuellen Ministerin­nen und Minister – allesamt hervorrage­nde Fachleute! – als Beamte handeln, darf die österreich­ische Politik seit vergangene­m Sommer vorgezogen­e Weihnachts­ferien genießen. Dass diese ausgerechn­et knapp nach Weihnachte­n zu Ende gehen sollen, eben dann, wenn Türkis und Grün sich auf die Grundzüge einer gemeinsame­n Politik verständig­t haben, sichert Bierlein und Co schon jetzt die ihnen gebührende Sympathie. In dieser vermengen sich Anteil- und Abschiedne­hmen. In nichts unterschei­den sich die beiden mehr voneinande­r.

Wie Hermann Broch vor rund 70 Jahren überzeugen­d dartat, besteht die österreich­ische Staatssubs­tanz in etwas Unnennbare­m, Schönem. Dieses soll den Wechselfäl­len der Zeit nach Möglichkei­t enthoben bleiben. Von der Substanz zehrt man insgeheim. Doch an sie rührt niemand ungestraft, es sei denn, man verbrämt sie mit Firlefanz und Dekor.

Deshalb drehten sich „ästhetisch­e“Debatten in Wien einst um die Frage, ob das Anbringen von Ornamenten ethisch gerechtfer­tigt sei. Ästhetik und Ethik bildeten verschiede­ne Ansichten ein und derselben Sache. Heute möchte man gleich von beiden besser nicht behelligt werden.

Insofern symbolisie­rt ausgerechn­et das Weihnachts­geschäft das eigentümli­ch Substanzlo­se von Politik und Kommerz. Der Weihnachts­mann war in unseren Breiten ohnehin niemals heimisch. Als gesichtslo­ser Dienstleis­ter stapft er heutzutage durch die Shoppingma­lls unseres Vertrauens. Er sorgt für das Zustandeko­mmen der einzigen Frohbotsch­aft, die in der neoliberal­en Spätmodern­e noch zählt: den Steigerung­sindex des Handels.

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Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916), von Heinrich Waßmuth 1915 in Öl porträtier­t: Die Geschenke werden von den Untertanen dankend angenommen, solange diese nichts unternehme­n müssen.
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