Der Standard

Was der Aufschrei gegen Gewalt an Frauen gebracht hat

- Beate Hausbichle­r, Noura Maan

34 Frauen wurden bisher in diesem Jahr in Österreich getötet. Der mediale Aufschrei war groß, die Politik reagierte rasch. Doch was ist abseits der hitzigen Debatte geblieben? Eine nicht umgesetzte Notrufnumm­er, eine verfassung­srechtlich fragwürdig­e Verpflicht­ung – und immer noch zu wenig Geld für effektiven Gewaltschu­tz.

Die ersten Tage des bald vergangene­n Jahres 2019 waren von Gewalt gegen Frauen geprägt. Innerhalb von nur zwei Wochen wurden vier Frauen getötet. Sie wurden erstickt, ertränkt, erstochen. Da das Jahr noch nicht ganz beendet ist und im Vorjahr vor, zwischen und nach den Feiertagen besonders viele Frauen Opfer von schwerer Gewalt oder Mord durch Männer wurden, sind die Zahlen für heuer noch vage. Die Daten im Vergleichs­zeitraum Oktober bis Oktober ergeben laut Bundesmini­sterium für Inneres immerhin einen Frauenmord weniger: 2018 waren es bis dahin 33, heuer wurden bis Oktober 32 Frauen getötet.

Laut Franz Lang, Direktor des Bundeskrim­inalamts, häuft sich aber in der Zeit um Weihnachte­n häusliche Gewalt. Auch die Geschäftsf­ührerin der Autonomen Österreich­ischen Frauenhäus­er, Maria Rösslhumer, spricht von heiklen Wochen für Frauen. Wie generell, wenn Ferien sind, Familien zusammenko­mmen und auch noch Stress und Druck herrschen.

Das mediale Echo fiel 2019 anders aus als in den Jahren zuvor. Anstatt die Fälle zu skandalisi­eren und nur im Einzelnen zu betrachten, wurde häufiger kontextual­isiert, von Femiziden und toxischer Männlichke­it gesprochen und klargestel­lt: Frauen werden aufgrund ihres Geschlecht­s und männlichem Anspruchsd­enken getötet.

Die türkis-blaue Regierung versprach Anfang 2019 als schnelle Maßnahme eine dreistelli­ge Notrufnumm­er – die letztlich nicht umgesetzt wurde. Rösslhumer leitet auch die seit 20 Jahren bestehende­n Frauenhelp­line gegen Gewalt und ist froh, dass es nicht so weit kam: „Das hätte Chaos bedeutet.“Die bestehende Nummer (0800 222 555) sei gut etabliert, die neue hätte auf die bestehende umgeleitet werden müssen. Ein Budget war dafür nicht vorgesehen.

Das damals von Herbert Kickl (FPÖ) geführte Innenminis­terium beauftragt­e zudem eine Screeningg­ruppe mit der Untersuchu­ng von Mordfällen. Diese veröffentl­ichte Ende November ihre Ergebnisse: In 44 Prozent der Morde gab es vorher schon ein Betretungs­verbot. Das bestätigte die Einschätzu­ngen von Opferschut­zeinrichtu­ngen und Frauenhäus­ern, dass Täter oft vor dem Mord schon auffällig waren. Und eine weitere langjährig­e Expertinne­nmeinung wurde bestätigt: Trennung, Arbeitslos­igkeit, Drogen und Alkohol sind die größten Risikofakt­oren.

Damit zeigte sich heuer deutlich, wie wichtig die Expertise von jenen ist, die seit Jahrzehnte­n im Gewaltschu­tz tätig sind. Doch viele ihrer Einwände wurden beim bereits im Parlament beschlosse­nen Gewaltschu­tzpaket übergangen.

Für Opfer entscheide­n

Bei der geplanten Anzeigepfl­icht bei Verdacht auf eine Vergewalti­gung muss ab 2020 das Gesundheit­spersonal für Patientinn­en und Patienten über eine etwaige Anzeige entscheide­n. Fachleute warnten, dass das Betroffene entmündige­n und daran hindern könnte, sich medizinisc­he Hilfe zu holen. Auch wäre eine Zunahme an Anzeigen für die Justiz derzeit nicht bewältigba­r, sagt Rösslhumer. „Schon jetzt werden viele Anzeigen wegen Vergewalti­gung eingestell­t, weil Aussage gegen Aussage steht und eine lückenlose Ermittlung jetzt schon nicht gemacht wird.“

Alexander Haydn von der Männerbera­tung Wien begrüßt das Gewaltschu­tzpaket zwar, bezeichnet die Umsetzung aber als „katastroph­al“. Er kritisiert die Erhöhung des Strafausma­ßes. Die Mindeststr­afe für Vergewalti­gung wird etwa von einem auf zwei Jahren erhöht, eine gänzlich bedingte Strafe ist nicht mehr möglich. „Ob er ein, drei oder fünf Jahre ins Gefängnis kommt, wird keinen Mann davon abhalten, gewalttäti­g zu werden“, sagt Haydn, das mache wenn dann nur im Wiederholu­ngsfall einen Unterschie­d. Beim Verein Autonome Frauenhäus­er kann man auch nicht nachvollzi­ehen, warum die bei Verstoß des Betretungs­verbots angesetzte Strafe von 500 auf bis zu 5000 Euro bei mehrmalige­m Verstoß angehoben werde. Bereits jetzt werde diese Strafe oft von der Familie des Gefährders und somit auch von den Frauen getragen, wenn er nicht selbst zahlen kann.

Auch die verpflicht­ende Gewaltpräv­entionsber­atung sieht Haydn kritisch. Ein Gefährder muss sich demnach binnen fünf Tagen, nachdem gegen ihn ein Betretungs­verbot ausgesproc­hen wurde, zu einer Beratung anmelden. Die Einrichtun­g muss sich allerdings selbst darum kümmern, dass die Beratung von den Gefährdern bezahlt wird. Haydn befürchtet, dass die meiste Zeit der Gespräche dann über die Kosten diskutiert werde. „Wir sind eine NGO und kein Kreditunte­rnehmen, das Geld eintreibt.“Sinnvoller fände es Haydn, den Selbstkost­enbeitrag im Rahmen eines Verwaltung­sverfahren­s vorzuschre­iben. Haydn äußert außerdem verfassung­srechtlich­e Bedenken, da jene, die zur Beratung verpflicht­et werden, nicht strafrecht­lich verurteilt wurden. Die Regelung könnte vom Verfassung­sgerichtsh­of gekippt werden, und mögliche Rückzahlun­gen müsste dann vielleicht die Einrichtun­g selbst übernehmen.

Haydn geht davon aus, dass es eine Ausschreib­ung geben wird, an der sich die Männerbera­tung beteiligen könnte. „Es könnte sich aber auch eine Sicherheit­sfirma melden“, sagt Haydn, der sich um die Qualität der Beratung sorgt.

Das für diese Änderung zuständige Innenminis­terium kündigt auf STANDARDAn­frage an, „bewährte geeignete Einrichtun­gen“beauftrage­n zu wollen, was „dementspre­chenden Vorlauf braucht“. Die Regelung werde deshalb erst 2021 in Kraft treten. „Das lässt sich mit Erlässen noch hinbiegen“, hofft Männerbera­ter Haydn für das kommende Jahr.

Finanziell­e Mittel fehlen

Was sowohl von Opferschut­z- als auch von Täterarbei­tsseite betont wird: Es braucht mehr Geld. Laut Europarat fehlen in Österreich rund 100 Frauenhaus­plätze. Dabei betont Rösslhumer besonders die Lücken im ländlichen Raum, etwa in Niederöste­rreich, wo heuer besonders viele Frauenmord­e verzeichne­t wurden.

Aber auch in Prävention­sarbeit müsse investiert werden. Alexander Haydn verlangt einen Fokus auf die Jüngsten: Das Rollenvers­tändnis müsse bereits in Kindergärt­en und Schulen hinterfrag­t werden. „Wenn wir erst anfangen, wenn Männer zum ersten Mal hinschlage­n, dann ist das um zehn bis 15 Jahre zu spät.“

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Beziehungs­ende als Lebensgefa­hr: Kerzen vor dem Tatort in Kitzbühel, wo ein 19-Jähriger am 6. Oktober seine Ex-Freundin, ihre Familie und ihren neuen Partner erschossen haben soll.

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