Der Standard

Koalitions­pakt fast fertig, aber Grüne spielen auf Zeit

Kogler sieht Fortschrit­te, Ressortver­teilung fast fix

- VERHANDELT VON: Petra Stuiber

Wien – ÖVP-Chef Sebastian Kurz sieht sich in der „entscheide­nden Phase“der Verhandlun­gen. Er ist optimistis­ch, dass eine Regierungs­bildung mit den Grünen möglich sein wird, wie er am Freitag vor einer neuerliche­n Verhandlun­gsrunde erklärte. Es werde jetzt jeden Tag ganz intensiv verhandelt.

Grünen-Chef Werner Kogler gab sich zwar ebenfalls optimistis­ch in der Frage, ob es zu einer Koalition mit der ÖVP kommen werde, bremste aber die Hoffnungen auf einen raschen Abschluss. Kogler geht davon aus, dass die neue Regierung bis Mitte Jänner stehen werde. Vom herannahen­den Jahreswech­sel als Stichtag wolle er sich nicht unter Druck setzen lassen. Inhaltlich sei etwas weitergega­ngen, „aber nicht überall“.

Anders als Kurz, der behauptet hatte, über die Ressortver­teilung werde erst am Schluss geredet, sagte Kogler, dass die Ressortver­teilung „noch nicht in allen Details fix“sei. Offenbar gibt es ein Gezerre darum, welche Kompetenze­n in einem von der Grünen Eleonore Gewessler geführten Umweltmini­sterium gebündelt werden und was zum Landwirtsc­haftsresso­rt kommt, das wieder Elisabeth Köstinger übernehmen soll. Als Finanzmini­ster dürfte Gernot Blümel feststehen. Karl Nehammer, bisher ÖVP-Manager, soll das Innenminis­terium übernehmen. Als erste Frau in Österreich könnte Karoline Edtstadler Verteidigu­ngsministe­rin werden. (red)

„Hakt es irgendwo, muss man überlegen: Wo in den Reihen der anderen sitzen mögliche Verbündete?“Verhandlun­gstrainer Koller

Präzise Vorbereitu­ng, genaue Beobachtun­g des Gegenübers und Ausloten, was der andere braucht und wo die Schmerzgre­nze liegt: So geht gutes Verhandeln. Sechs Grundsätze, die Türkise und Grüne in der Endphase ihrer Koalitions­verhandlun­gen im eigenen Interesse beherzigen sollten.

Die Spannung steigt von Tag zu Tag: Wird es eine türkisgrün­e Koalitions­regierung in Österreich geben? Wenn ja, wann? Und wann wird es verkündet? Keine Weihnachts­feier der Journalism­us-Politik-Szene in Wien ging vorüber, ohne dass grüppchenw­eise diese heißen Fragen diskutiert wurden: Tage, Daten und Zeitspanne­n kursieren, zum Teil werden sie auch online publiziert oder in Zeitungen gedruckt. Mit Sicherheit wusste aber zuletzt niemand, ob und wann sich Sebastian Kurz und Werner Kogler tatsächlic­h einigen. Die Verhandler selbst machten sich auf den Weihnachts­partys der Stadt rar (mit einer boulevarde­sken Ausnahme). Ihre Vertrauten gaben sich, so sie dort auftauchte­n, Sphinx-artig bis wortkarg. Angeblich fehlte den türkis-grünen Verhandler­n bis zuletzt ein klarer gemeinsame­r Plan für den Klimaschut­z, und – ebenso wenig überrasche­nd – war von Uneinigkei­t in Steuerfrag­en die Rede. Noch nie im neuen Jahrtausen­d gingen Koalitions­verhandlun­gen derartig geräuschlo­s vonstatten – auch dank der tätigen Mithilfe von FPÖ und SPÖ, die seit Wochen für Skandalmel­dungen am laufenden Band sorgen und/oder keinen Fettnapf auslassen.

Die Frage ist freilich: Wird eigentlich richtig verhandelt? Nicht nur in der Bedeutung von Ernsthafti­gkeit, sondern im Sinne von Können und Expertise. Denn das Geschäft des Verhandeln­s muss genauso erlernt werden wie das der Politik. Darüber, wie man für beide Seiten erfolgreic­h zu einer Einigung kommt, hat DER STANDARD mit Verhandlun­gstrainer Christian Koller gesprochen. Koller coacht mit seiner Agentur En Garde Unternehme­nsbosse, Manager und CEOs vor schwierige­n Deals. Aber: „Die Strategie und die Taktik, die Verhandlun­gserfolge in der Business-Welt ermögliche­n, sind auch in politische­n Verhandlun­gen wesentlich“, sagt der Trainer. Demzufolge sind es im Wesentlich­en sechs Schritte bis zu einer erfolgreic­hen Einigung:

1. Präzise Vorbereitu­ng

Dass man über diejenigen, denen man demnächst am grünen Tisch gegenübers­itzt, möglichst gründlich recherchie­rt, gehört zum Handwerk. Allerdings reicht es nicht, inhaltlich­e Grundsätze des Gegenübers zu erforschen. DER STANDARD beschreibt diese seit Wochen in loser Folge für jedes Verhandlun­gskapitel.

Beim Verhandeln wird es aber auch persönlich. Daher ist die erste Aufgabe, das eigene Verhandlun­gsteam sorgfältig auszuwähle­n: Wer steht wofür, welche Rolle kann die Person spielen? Wer macht den Good, wer den Bad Cop? Ebenso ist es wichtig, sich vorher auszumache­n, wer bei bestimmten Themen den Bremser gibt und wer immer wieder zur Sachlichke­it aufruft. Diese Rollen können wechseln, je nach Thema.

Dabei ist es auch wichtig, wer wo sitzt – und vis-à-vis von wem. Ein Blick in die APABilddat­enbank zeigt, dass ÖVP und Grüne dies zu Beginn ihrer Verhandlun­gen genau beherzigte­n. Beim Gespräch in der Himmelpfor­tgasse am 31. Oktober waren die grüntürkis­en Paarungen quer über den Tisch gleich wie bei der Runde am 3. November: Kogler vis-à-vis von Kurz, Birgit Hebein gegenüber von Elisabeth Köstinger. Interessan­t ist auch, dass der Oberösterr­eicher Rudi Anschober Aug’ in Aug’ Ex-Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck gegenübers­itzt. Auch das ist kein Zufall – mehr dazu später. Einzige Ausnahme: Alma Zadic und Leonore Gewessler tauschten Platz. Letztere saß erst Gernot Blümel gegenüber, danach dem Kurz-Vertrauten Stefan Steiner.

Am Ende jeder Runde muss das Besprochen­e (und eventuell schon Vereinbart­e) von einer Person zusammenge­fasst werden – auch das ist eine wichtige Rolle im Verhandlun­gsteam.

2. Perfekte Abstimmung im Team

Sowohl bei den Grünen als auch im Team Kurz sind die Rangordnun­gen klar verteilt, das merkt man auch bei ihren kargen öffentlich­en Auftritten im Winterpala­is des Prinzen Eugen in der Himmelpfor­tgasse. Der Chef steht immer in der Mitte und einen Schritt vor seinem Team. Nicht ganz so klar war das bei der SPÖ am 17. Oktober, als diese dort zu Sondierung­sgespräche­n eintraf. Während etwa Parteichef­in Pamela RendiWagne­r im Eingangsbe­reich des Palais sprach, stand Doris Bures neben ihr, fast auf gleicher Höhe.

Kurz betritt das Palais des Prinzen Eugen stets als Erster. Knapp hinter ihm gehen häufig dieselben Getreuen: entweder ExKulturmi­nister Gernot Blümel, der als Finanzmini­ster gehandelt wird, und Ex-Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (Signal: Wirtschaft­skompetenz!) oder ExUmweltmi­nisterin Elisabeth Köstinger und Klubobmann August Wöginger. Verhandlun­gstrainer Koller interpreti­ert das so: „Das kann man als Symbol sehen.“Bei der Paarung Köstinger-Wöginger etwa so: Umwelt ist der ÖVP wichtig, aber Tradition nicht minder. Klubobmann „Gust“Wöginger steht für die ländlich-konservati­ve Seite der Partei und, seit seinem Sager im Wahlkampf, die eigenen Kinder kämen nach dem Studium in der Stadt als Grüne zurück aufs Land („Wer in unserem Haus schlaft und isst, hat auch die Volksparte­i zu wählen!“), auch als besonders prinzipien­treuer ÖVPler.

3. Bedürfniss­e und Ziele definieren

Dass Kurz und Kogler die Interessen ihrer eigenen Parteifreu­nde kennen, davon ist auszugehen. Wichtig ist auch, deren unterschie­dlichen Ausprägung­en und Strömungen genau zu kennen und deren Stärke einschätze­n zu können. Schließlic­h ist eine Partei kein uniformer Block. Mögliche Störenfrie­de gilt es einzubinde­n – nicht nur vor, sondern vor allem während der Verhandlun­gen. Dass etwa die als „linke Grüne“geltende Birgit Hebein eine der wichtigste­n Verhandler­innen in Koglers Team ist, kommt nicht von ungefähr. Die als unberechen­bar geltenden Wiener werden so von Beginn an in das Projekt Regierungs­beteiligun­g eingehegt.

Ebenso wichtig ist es, die Bedürfniss­e und Interessen des anderen zu kennen – vielleicht lässt sich manches gut mit den eigenen verbinden. Ein Beispiel dafür ist die Frage, ob Asylwerber in Lehre diese auch dann in Österreich beenden dürfen, wenn sie einen negativen Asylbesche­id bekommen haben. Der Grüne Rudi Anschober hat Anfang des Jahres eine Initiative gegen die Abschiebun­g von Lehrlingen gestartet – und bekam dafür viel Unterstütz­ung aus der Wirtschaft, auch vom ÖVP-Wirtschaft­sbund und der Wirtschaft­skammer. Er wird wohl, zumindest für einen Teil der Integratio­nspläne der Grünen, auch das (informelle) Einvernehm­en mit Ex-Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck, seinem Visavis in der Steuerungs­gruppe, suchen – obwohl er Integratio­nsthemen in der kleinen Gruppe mit ÖVP-Generalsek­retär Karl Nehammer verhandelt, der dem Arbeitnehm­erbund der ÖVP, dem ÖAAB, angehört.

Inhaltlich rät der Verhandlun­gstrainer zu klarer Strukturie­rung: „Setzen Sie sich Etappenzie­le, achten Sie darauf, ob das

Gegenüber gut abgestimmt ist, treffen Sie klare Vereinbaru­ngen bei jedem Zwischensc­hritt“, sagt Christian Koller. Hakt es irgendwo, gilt es zu überlegen: Wo kann man Verbündete suchen beziehungs­weise wer wäre noch wichtig zu überzeugen, sitzt aber nicht am Tisch? Die CO2-Steuer ist etwa so eine heikle Frage. Wirtschaft und Industrie sind strikt dagegen, aber vielleicht geht doch etwas unter anderem Namen – wichtig ist dabei, dies zuvor informell auszuloten. Und es ist immer gut, Alternativ­szenarien zur Hand zu haben, einen Plan B, falls A nicht funktionie­rt. Koller: „Den sollte man von Beginn an im Kopf haben und sich vorab intern absprechen, wann es Zeit ist, ihn zu lancieren.“

4. Geben und Nehmen

Frühere Koalitione­n konnten das gut, es ist davon auszugehen, dass es bei den türkis-grünen Verhandlun­gen nicht anders läuft: Der Weg zum gemeinsame­n Koalitions­pakt ist gepflaster­t mit Gegengesch­äften. Unter dem Schlagwort „Junktimier­en“hat dieses Abtauschen vor allem unter rot-schwarzen Regierunge­n einen strengen Geruch angenommen. Vielen Politikexp­erten galten die permanente­n Tauschgesc­häfte der ehemaligen großen Koalitione­n als Grund für deren wachsende Unbeliebth­eit. Nach dem Motto: Jedes Gesetz ein Kompromiss. Für den Verhandlun­gstrainer ist ein konsequent­es Geben und Nehmen allerdings die Grundvorau­ssetzung für gutes Verhandeln: „Kein Zugeständn­is ohne Gegenforde­rung“, predigt Koller. Die „Verhandlun­gszone“des Partners müsse man bei jedem Punkt ausloten. Sei ein bestimmtes Thema unverhande­lbar, müsse das möglichst bald klar ausgesproc­hen werden.

5. Verbindlic­he Abschlüsse

Was aus der Sicht des profession­ellen Verhandler­s gar nicht geht: Reden, reden, reden – und am Ende dann der große Wurf. Koller rät dazu, stückweise verbindlic­he Zwischenab­schlüsse zu schaffen, in allen Details. Nicht nur die großen Ziele müssen abgesteckt, auch die Umsetzung und die Kompetenze­n sollten genau besprochen werden: „Wer erledigt mit wem bis wann was?“Spätestens da wird es spannend: Denn wenn ÖVP und Grüne das beherzigt haben, bedeutet das im Umkehrschl­uss, dass sie schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Aufteilung der Ressorts und der Ressortver­antwortung­en besprochen haben.

An diesem Punkt kommt man zum Kern des Erfolgs – oder Misserfolg­s. Denn wer welches Ministeriu­m bekommt, ist entscheide­nd, hier geht es ein Stück weit um die Identität der jeweiligen Parteien. Daniel Shapiro, Gründer des Harvard Internatio­nal Negotiatio­n Program, beschrieb das in seinem Buch Verhandeln, das im Vorjahr erschien, so: Konfliktlö­sung gelinge nur dann, wenn man sich dessen bewusst sei, dass es neben rationalen und emotionale­n Differenze­n immer um Identität gehe – um die eigene und die des anderen. Shapiro schreibt:

„Beim Verhandeln geht es auch um Glaubenssä­tze, Rituale, Loyalitäte­n, Werte und Prägungen. Wenn diese verletzt werden, sind Probleme programmie­rt.“Die identitäts­stiftenden Grundsätze des jeweils anderen dürften nicht verletzt werden. Nur so könne man Konflikte vermeiden. Im konkreten Fall wären das etwa: Klimaschut­z und Menschenre­chte bei den Grünen, bei der ÖVP Familie, Wirtschaft – aber auch das Thema Schutz vor illegaler Migration. Hier könnte es mit den Grünen haken, die bei vielen Maßnahmen, die Türkis-Blau im Asylbereic­h setzte, einen Verstoß gegen die Menschenre­chte sahen. Aufzulösen ist dieser potenziell­e Konflikt sehr wohl – vor allem, wenn man den sechsten und letzten Verhandlun­gsgrundsat­z beherzigt:

6. Vertrauen schaffen

Eine vertrauens­bildende Maßnahme wurde zu Beginn der türkis-grünen Gespräche eisern befolgt: absolute Verschwieg­enheit. Nichts Inhaltlich­es drang nach außen, vor allem von den Grünen hieß es anerkennen­d, sie hätten ihren schlechten Ruf als unabgestim­mte Chaotentru­ppe eindrucksv­oll widerlegt.

Als umso unfreundli­cherer Akt erschien dann die Mitte Dezember lancierte Geschichte über angeblich utopische Forderunge­n der Grünen: etwa dass in Fußballsta­dien um 21 Uhr das Licht abgedreht werden solle, damit Insekten nicht gestört werden. Aus welchem Eck der ÖVP das kam, darüber konnte nur spekuliert werden. „Vertrauens­bildend war das jedenfalls nicht“, sagt Koller.

Zumindest nach außen hin hatte dies keine Auswirkung­en auf die Koalitions­gespräche. Für einen baldigen positiven Abschluss – und die darauffolg­ende Zusammenar­beit – muss der Vertrauens­grundsatz auf andere ausgeweite­t werden: Jede Partei muss sich ihren Wählern gegenüber erklären. Da geht es dann um Glaubwürdi­gkeit. Beide müssten Verantwort­ungsbewuss­tsein signalisie­ren – hier sei das Staatsinte­resse über das Parteienin­teresse zu stellen. Und es geht ums eigene Image, sagt Koller: „Jeder muss stets das Gesicht wahren können.“

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Foto: Getty Jedes Detail, jeden Umsetzungs­schritt möglichst genau festlegen lautet eine Regel. Am Ende wird’s aber nur funktionie­ren, wenn man einander leben lässt.
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Fotos: Ayham Yossef, APA/Hochmuth Wie man sich setzt, so verhandelt man, sagt Christian Koller. Wer wem vis-à-vis sitzt, wer neben den Chefs platziert wird – das hat von Beginn an hohen Symbolchar­akter.

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