Der Standard

Das letzte Viertel Trump – oder eine Ära

Die US-Wahlen im kommenden November werfen ihre Schatten voraus, für die Demokraten können sie nicht früh genug kommen. Präsident Trump agiert immer erratische­r – seine Abwahl ist dennoch alles andere als sicher.

- Frank Herrmann aus Washington

Es ist 359 Tage her, dass in Washington eine Ausnahmeph­ase zu Ende ging. Seit dem 3. Jänner 2019 kann Donald Trump nicht mehr schalten, wie es ihm beliebt. Und auch wenn es der Präsident noch immer anders sieht: Vor fast genau einem Jahr ist die US-amerikanis­che Demokratie zu ihrem Normalzust­and zurückgeke­hrt, zur tatsächlic­hen, nicht nur auf dem Papier vorgesehen­en Teilung der Macht zwischen Regierung und Parlament. Von da an nämlich bildeten die Demokraten die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus, womit sie korrigiere­n, notfalls blocken konnten, was das Weiße Haus durchzuset­zen versuchte.

Prompt verlor der Präsident gleich die erste Machtprobe gegen Nancy Pelosi, die nunmehr als Chefin der Abgeordnet­enkammer, Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, zur mächtigen Gegenspiel­erin wurde. Nach fünfwöchig­em Nervenkrie­g brach er einen partiellen Regierungs­stillstand ab, ohne dass der Kongress zunächst auch nur einen Cent für den Bau von Betonmauer­n beziehungs­weise Stahlzäune­n an der Grenze zu Mexiko bewilligt hätte, geschweige denn die sechs Milliarden Dollar, die er verlangt hatte. Zugleich bedeutete das Patt der Macht Stillstand: Auf keiner der Großbauste­llen des Landes konnte mehr etwas vorangehen. Auf der wichtigste­n, der eines Gesundheit­ssystems, das einerseits exorbitant teuer ist und anderersei­ts Millionen von Nichtversi­cherten im akuten Krankheits­fall dem Risiko eines finanziell­en Ruins aussetzt, wurden nicht einmal Korrekturv­ersuche in Angriff genommen. Trump hat Obamacare, das Projekt seines Vorgängers, zwar finanziell ausgehöhlt, es aber durch nichts Konstrukti­ves ersetzt – ganz anders, als er das im Wahlkampf 2016 noch vollmundig versproche­n hatte.

In der Außenpolit­ik, auf einem Feld, auf dem der Präsident nach wie vor großen Handlungss­pielraum hat, ohne dass ihm der Kongress in die Parade fahren könnte, baute Trump auf die Wirkung der rücksichts­los eingesetzt­en Brechstang­e. Mit „maximalem Druck“, so die offizielle Wortwahl, versuchten er und sein mittlerwei­le abgegangen­er Sicherheit­sberater John Bolton den Iran zu Verhandlun­gen über ein neues Atomabkomm­en zu zwingen, das zeitlich nicht mehr begrenzt ist wie das alte, von ihm gekündigte, und zudem Aspekte wie das Raketenpro­gramm und die aggressive Regionalpo­litik Teherans einbezieht.

Ein knapp vermiedene­r Krieg

Erfolge hat er bislang nicht vorzuweise­n, Bolton musste Mitte des Jahres gehen – oder ging, seiner eigenen Behauptung nach, selbst. Bestätigt sieht sich Trump trotzdem durch die jüngste Protestwel­le in der Islamische­n Republik. Sanktionen von drakonisch­er Härte sollen den Volkszorn schüren und das Regime in die Knie zwingen: Das ist Trumps Strategie, eine andere hat er nicht. Vor bewaffnete­m Eingreifen schreckte er bisher zurück. Im Juni blies er in letzter Minute einen Angriff, der geplant war, ab, weil iranisches Militär eine US-Drohne abgeschoss­en hatte. Das, könnte man sagen, ist gerade noch einmal gutgegange­n.

Der zweite große Poker war der mit China, aus Sicht Washington­s der zentrale Rivale des 21. Jahrhunder­ts. Einmal drohte Trump mit immer höheren Zollbarrie­ren, ein anderes Mal prophezeit­e er prompt, unerwartet, meist auf Twitter und großteils folgenlos, baldige Entspannun­g. Einerseits sprach er von einer historisch­en Mission, die er zu erfüllen habe. Von der überfällig­en, von seinen Vorgängern vernachläs­sigten Aufgabe, Peking in die Schranken zu weisen, nachdem es jahrelang geistiges Eigentum stehlen und den eigenen Export mithilfe massiver Staatssubv­entionen ankurbeln durfte. Dann wieder schien er kalte Füße zu bekommen, denn eskalieren­de Handelskri­ege könnten auch in den USA eine Rezession auslösen, womöglich schon 2020, wenn Trump mit dem Argument stabilen Wirtschaft­swachstums wiedergewä­hlt werden will. Außerdem braucht er Pekings Wohlwollen ja auch für seine Entspannun­gspolitik mit Nordkorea – die freilich Ende 2019 in akuter Gefahr schien.

Bei den Demokraten begann derweil der Wettlauf darum, wen die Partei ins Wahlduell schickt. Bisher ist es ein Marathon mit Favoritens­türzen. Scheinbar aussichtsr­eiche Anwärter auf den Sieg gingen ab, noch bevor die erste Vorwahl über die Bühne gegangen war. Die eine war Kamala Harris, Senatorin aus Kalifornie­n, der andere Beto O’Rourke, Ex-Kongressab­geordneter aus der texanische­n Grenzstadt El Paso, in dem manche einen zweiten Obama zu erblicken glaubten – eine Täuschung, wie sich in den TV-Debatten erwies. Überraschu­ngskandida­t ist stattdesse­n Pete Buttigieg, Sohn eines aus Malta stammenden Vaters, dessen Name – lautmaleri­sch Buttedsche­dsch – viele Amerikaner­n so schwer über die Lippen geht, dass sie ihn „Mayor Pete“nennen. Der 37-Jährige ist Bürgermeis­ter von South Bend, einer Industries­tadt im mittelwest­lichen Indiana. Dann wäre da noch das Quartett der Veteranen: Umfragefav­orit Joe Biden, Bernie Sanders, Elizabeth Warren. Der spät eingestieg­ene Milliardär Michael Bloomberg, wie die drei anderen Genannten jenseits der 70, blieb vorerst farblos.

Womöglich noch 60 Monate Trump

Theoretisc­h ist noch offen, ob es überhaupt Trump sein wird, gegen den die Opposition den Kampf ums Weiße Haus führt. Im September versuchte Sprecherin Pelosi via Impeachmen­t-Verfahren das vorzeitige Ende seiner Amtszeit einzuläute­n. Vorausgega­ngen war am 25. Juli ein Telefonat, in dessen Verlauf Trump seinen ukrainisch­en Amtskolleg­en Wolodymyr Selenskyj drängte, ihm durch Korruption­sermittlun­gen gegen Biden, den potenziell­en Wahlgegner, zu helfen. Die Fakten scheinen klar – doch die Schlacht ums Impeachmen­t ist eine politische, keine juristisch­e. Solange nicht 20 der 53 republikan­ischen Senatoren auf Distanz gehen, kann Trump noch zwölf, vielleicht sogar sechzig Monate regieren.

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Werden die US-amerikanis­chen Wählerinne­n und Wähler bei der Wahl Ende 2020 Trump die Tür weisen? Noch ist das nicht sicher – trotz 1071 erratische­r Tage im Weißen Haus.

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