Der Standard

Österreich­er laut FPÖ-Bericht „gute Deutsche“

Der Historiker­bericht der FPÖ sorgt auch Tage nach seiner Veröffentl­ichung für deutliche Kritik. So werden brisante Aspekte der freiheitli­chen Vergangenh­eit ausgespart und rechtsextr­eme „Einzelfäll­e“herunterge­spielt.

- Markus Sulzbacher, Fabian Schmid

Er hätte bereits vor über einen Jahr veröffentl­icht werden sollen. Nun wurde der Historiker­bericht zur Aufarbeitu­ng der freiheitli­chen Parteigesc­hichte einen Tag vor Weihnachte­n präsentier­t. Die Arbeit ist 668 Seiten stark und umfasst 19 Beiträge.

Parteipoli­tischer Spin

Herzstück des Berichts ist der Text über die NS-Vergangenh­eit von FPÖ-Funktionär­en, daneben finden sich Beiträge, die man sich von einer Historiker­kommission nicht erwarten würde – denn sie verfolgen einen klaren parteipoli­tischen Spin. Etwa ein Text über „den Umgang der FPÖ mit dem Islam“, geschriebe­n von einer Verbündete­n der rechtsextr­emen Identitäre­n, oder ein Aufsatz über die „Einzelfäll­e“in den Reihen der Blauen. Dazu kommt eine Sammlung älterer Presseauss­endungen der FPÖ zum Thema Israel und Antisemiti­smus.

Seit der Bericht im Internet veröffentl­icht wurde, hagelt es Kritik. Vor allem auf Twitter wird er zerpflückt.

Es findet sich in der Arbeit keine „selbstkrit­ische Auseinande­rsetzung“, sagt etwa die Historiker­in Heidemarie Uhl von der Akademie der Wissenscha­ften. Auch wurde zeitgeschi­chtliche Forschung teilweise völlig negiert.

So wird Anton Reinthalle­r, der erste Parteiobma­nn der FPÖ, als „gemäßigter Nazi“beschriebe­n, den „keine hartnäckig­en, von der Flüsterpro­paganda des politische­n Gegners genüsslich aufgegriff­ene Gerüchte über Fehlverhal­ten während des Krieges“verfolgten. Eine kritische Betrachtun­g sieht wohl anders aus, zumal Reinthalle­r direkt aus dem Zentrum des NS-Systems kam. Der Oberösterr­eicher war bereits vor dem sogenannte­n Anschluss bekennende­r Nationalso­zialist, trat 1938 der SS bei, wurde Reichstags­abgeordnet­er und dann Unterstaat­ssekretär des Großdeutsc­hen Reiches. Nach dem Krieg wurde Reinthalle­r wegen seiner Verstricku­ng in das NS-Regime zu drei Jahren Kerker verurteilt.

Laut der Salzburger Historiker­in Margit Reiter, die mit Die Ehemaligen das Standardwe­rk über die Gründung der FPÖ verfasste, inspiziert­e der SS-Brigadefüh­rer Reinthalle­r auch mindestens einmal das Konzentrat­ionslager Mauthausen, in dem auch Leopold Figl (ÖVP), der spätere, erste Bundeskanz­ler der Zweiten Republik, von den Nazis gefangen gehalten wurde.

Viele Zitate, wenig Neues

Seltsam mutet an, dass im zentralen Kapitel („Die NS-Vergangenh­eit der Funktionär­e von VdU und FPÖ“) hauptsächl­ich aus einem Text von Margit Reiter und Büchern FPÖ-naher Autoren wie dem Wiener Universitä­tsprofesso­r Lothar Höbelt zitiert wird. Dabei beklagt Reiter in ihrem eigenen Buch die schlechte Quellenlag­e, da ihr der Zugang zu Parteiarch­iven von FPÖ und VdU verwehrt worden war – genau, um diese Quellen abzuschöpf­en, war ja die Historiker­kommission der FPÖ gegründet worden. Aber Quellen abseits von Reiter und FPÖ-nahen Autoren sind im Bericht vergleichs­weise nur in Spurenelem­enten vorhanden.

Die FPÖ nutzt den Bericht auch, um sich klar zu positionie­ren. So hält sie mit ihrem Deutschnat­ionalismus nicht hinterm Berg. Im Kapitel „Nationsbeg­riff und FPÖ“wird betont, dass „man auch ohne Bekenntnis zur „österreich­ischen Nation“ein „guter Österreich­er“sein kann. Und es wird betont: Österreich­er sind auch „gute Deutsche“.

Für Aufsehen sorgt der von FPÖ-Generalsek­retär Christian Hafenecker verfasste Aufsatz über die sogenannte­n rechtsextr­emen „Einzelfäll­e“in seiner Partei. Dieser sei eine „seltsame Rechtferti­gungssuada“, meinte etwa die SPÖ-Abgeordnet­e Sabine Schatz. Hafenecker erklärt darin, dass es kein „Einzelfall“sei, wenn sich jemand nicht mehr erinnern kann, warum er einen Beitrag eines Gasthauses auf Facebook likte, der „Hitlers Geburtstag feierte und ein Schnitzel für 8,88 Euro (NeonaziCod­e für „Heil Hitler“) anbot“.

Unfreiwill­ig komisch ist hingegen die Erwähnung der Wiener Burschensc­haft Olympia. Diese sei „nach eigener Bezeichnun­g eine Burschensc­haft“, heißt es. Es sei aber nicht offengeleg­t, „wer dort Mitglied ist“. Diesbezügl­ich hätte FPÖ-Klubdirekt­or Norbert Nemeth vermutlich Auskunft geben können, der nicht nur Olympe ist, sondern auch einen Beitrag für den Bericht verfasst hat.

Brisanter Aspekt ausgespart

Zusätzlich erklärt Hafenecker eine vom ehemaligen Parteichef Heinz-Christian Strache auf Facebook veröffentl­ichte Karikatur für nicht antisemiti­sch – eine Behauptung, der nicht nur jüdischen Organisati­onen vehement widersprec­hen. Auch merkt er an, dass der Rechtsextr­emismus-Begriff „vor allem als politische­r Kampfbegri­ff aufgefasst werden muss“.

Der Wiener Historiker Thomas Riegler wundert sich im Gespräch mit dem STANDARD, dass die FPÖ einen „brisanten Aspekt ihrer Gründungsg­eschichte fast ganz ausgespart hat“. Ohne Einverstän­dnis der US-Besatzungs­macht hätte es nämlich den FPÖVorläuf­er VdU (Verband der Unabhängig­en) nicht gegeben. Die Amerikaner wollten so das „antikommun­istische Potenzial“stärken. Dafür kam es auch zur Zusammenar­beit von VdU und FPÖFunktio­nären mit US-Geheimdien­sten.

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Einen Tag vor Weihnachte­n präsentier­te die FPÖ ihren Historiker­bericht. Er stößt auf viel Kritik.

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