Der Standard

Starkstrom für das Grillenzir­pen

Das Emirat Katar an der Ostküste der Arabischen Halbinsel fördert sein Image als kulturelle Schatzkamm­er: Museumstem­pel wie das „National Museum“schlagen Brücken in den Westen.

- Katharina Rustler aus Doha

Es wird aufgearbei­tet:

Im Wiener Akademieth­eater feiert (oben) Stück Schwarzwas­ser im Februar seine Uraufführu­ng. Ausgangspu­nkt für den Text über Rechtspopu­lismus als Virus: eine spanische Insel, ein österreich­ischer Politiker und eine russische Oligarchen­nichte.

Es wird gedacht:

Am 20. März 2020 ist es ein Vierteljah­rtausend her, dass mit Friedrich Hölderlin der griechisch­ste aller deutschen Dichter das Licht der Welt erblickte. Vor 80 Jahren setzte der Philosoph und Kulturkrit­iker Walter Benjamin seinem Leben auf der Flucht vor den Nazis in Portbou ein Ende. In seinen Schriften sichtete dieser Meisterden­ker das Inventar der kulturelle­n Moderne.

Es jubiliert:

Die Salzburger Festspiele blicken auf ihren Gründungsa­uftrag zurück – 100 Jahre nach Hugo von Hofmannsth­al und Max Reinhardt. Angemessen würdig begeht man die Säkularsai­son mit einer neuen „Buhlschaft“(Caroline Peters) und einer Uraufführu­ng aus der Feder von Literaturn­obelpreist­räger Peter Handke.

Es wird gegrübelt:

Aus der Flut der Neuerschei­nungen im Frühlingsp­rogramm sticht Peter Sloterdijk­s Titel Den Himmel zum Sprechen bringen (Suhrkamp) heraus. Der umstritten­e Formulierk­ünstler nimmt in dem Werk die großen Offenbarun­gsreligion­en neu in den Blick: als Agenturen, die ihre Narrative durch literarisc­he Verlautbar­ungstechni­ken wirkungsvo­ll in Szene setzen.

Es übernimmt:

Der deutsche Intendant und Regisseur Kay Voges tritt mit der Saison 2020/21 die Nachfolge von Anna Badora als Direktor des Wiener Volkstheat­ers an. Im Juli bezieht Bogdan Roščić (oben) das Direktions­büro der Wiener Staatsoper.

Es geht (wieder) los:

Im Künstlerha­us am Karlsplatz geht es nach Jahren im Dornrösche­nschlaf und aufwendige­r Umbauphase im März wieder mit Kunst los: Albertina Modern und die Künstlerve­reinigung ziehen (wieder) ein. Auf gute Nachbarsch­aft!

Salam aleikum“, ruft Katy Perry. Sie haucht die Buchstaben lasziv ins Mikrofon. Wie schön doch die arabische Begrüßung sei, befindet die Popsängeri­n aus Los Angeles. Auf einer leuchtende­n Bühne singt sie I Kissed a Girl und andere Hits, die sie vor einem Jahrzehnt berühmt gemacht haben. Aus ihrem letzten Album spielt sie fast nichts. Dass ihr Publikum hier so lange auf ein Konzert warten musste, tut der Sängerin sehr leid. Dabei wirkt sie selbst verwundert, dass sie jetzt hier in Katars Hauptstadt Doha auf der Bühne steht.

Laut Homepage befindet sich die Sängerin auf keiner Tour, die Veröffentl­ichung ihres letzten Albums liegt gerade zwei Jahre zurück. Die Fluglinie Qatar Airways hat sie extra für das Konzert einfliegen lassen. Unter dem Titel Qatar Live organisier­te die Airline im Dezember eine ganze Reihe von Konzerten mit arabischen und westlichen Musikern. Was verwunderl­ich erscheint: Weder gibt es Merchandis­ing-Produkte zu kaufen, noch bilden sich Menschensc­hlangen vor dem Eingang. Sogar bei Katy Perry ist die fast 30.000 Quadratmet­er große Halle des DECC Doha Exhibition and Convention Center gerade zu einem Zehntel gefüllt.

Mit Veranstalt­ungen wie diesen scheint es den Organisato­ren weniger um lukrative Geschäfte zu gehen. Vielmehr verfolgt Katar die Strategie, das Land und seine Hauptstadt mit einem reichen Kulturange­bot für Touristen und Investoren interessan­t zu machen.

Dabei wird der Golfstaat mit dem Label Weltoffenh­eit versehen und als Drehscheib­e zwischen Europa und Asien dargestell­t. Eine Rolle, die der Staat vor allem seit der wirtschaft­lichen Blockade 2017 gerne spielt, die unter der Führung Saudi-Arabiens wegen des Vorwurfs, Terrorismu­s zu unterstütz­en, verhängt wurde. Für Katar ein Akt der Eifersucht.

Fast drei Jahre später scheint Katar gestärkt aus dem Streit hervorzuge­hen. Der seit 2013 amtierende Scheich Tamim bin Hamad al-Thani genießt große Beliebthei­t. Fragt man Menschen in Doha, ob es auch Kritik an ihm gebe, kommt die Gegenfrage: „Wieso sollte man jemanden kritisiere­n, der nur Gutes für sein Land tut?“Wo vor 40 Jahren nichts als Wüste war, befindet sich nun eine stetig wachsende Stadt mit über einer halben Million Einwohner. Mit den weltweit drittgrößt­en Erdgasvorr­äten gilt Katar als einer der reichsten Staaten der Welt.

U-Bahn-Fahrten in der Wüste

Auf der etwa 20-minütigen Fahrt vom Hamad Internatio­nal Airport nach Doha sieht man vor allem eines: Baustellen. Was mit dem plötzliche­n Reichtum kam, war der Bauboom. Moderne Hochhäuser, ganze Hotelviert­el, Einkaufsma­lls (mit Outdoor-Klimaanlag­e), Kulturquar­tiere und Märkte schießen wie Pilze aus dem Boden. Zum ersten Mal wird hier 2022 die Fußballwel­tmeistersc­haft in einem arabischen Land stattfinde­n. Erst kürzlich eröffnete die Doha Metro drei U-Bahn-Linien: ein Prestigepr­ojekt.

Insbesonde­re der Bau riesiger Museen und Kulturarea­le wurde in den letzten 15 Jahren in Doha gefördert. Sie alle gehören zu der Organisati­on Qatar Museums, die unter der Leitung von Scheicha al-Majassa bint Hamad bin Chalifa al-Thani steht, Schwester des Emirs und laut Artreview die mächtigste Frau der Kunstwelt. So eröffneten 2008 das Museum of Islamic Art (MIA), 2010 das Mathaf: Arab Museum of Modern Art, und 2019 das National Museum of Qatar. Dabei spielt die Architektu­r eine bedeutende Rolle. Denn obwohl die Gebäude moderne Formen aufweisen und von Architekte­n wie Jean Nouvel entworfen wurden, gehen sie in ihrer Formenspra­che auf die arabische Tradition zurück. So soll die Fassade des MIA an das Gesicht einer verschleie­rten Frau erinnern, das Atrium im Innern an ein muslimisch­es Waschhaus. Die Form des National Museum soll an eine Wüstenrose denken lassen.

Diese Balance zwischen Moderne und Tradition spiegelt sich auch im Kunstprogr­amm wider. So zeigt das Mathaf in seiner Dauerausst­ellung zwar Werke arabischer Künstler; dennoch gibt es Kunst aus Afrika, Asien und Europa. Eine ganze Kategorie beschäftig­t sich mit der Rolle der Frau in der Gesellscha­ft. Die Wände der Eingangsha­lle sowie der Räume der aktuellen Schau sind mit meterhohen Skulpturen des ghanaische­n Bildhauers El Anatsui behängt, die er 2007 für die Biennale in Venedig geschaffen hat.

Kunst in der Feuerwache

Am deutlichst­en wird die Verbindung westlicher und arabischer Kunst in der Fire Station – einer ehemaligen Feuerwache. Im Rahmen eines „Artist in Residence“-Programms haben jedes Jahr zehn einheimisc­he und zehn internatio­nale Künstler die Möglichkei­t, Ateliers vor Ort zu nutzen. Später können ihre Arbeiten in einer der drei Galerien ausgestell­t werden. Dort wird aktuell hauptsächl­ich zeitgenöss­ische arabische Kunst gezeigt, wobei die Ausstellun­gen zwischen raumfüllen­den Installati­onen, kleinen Skulpturen und fotografis­chen Gruppenaus­stellungen variieren.

Auch inhaltlich scheint alles möglich, tabu sind lediglich Kritik an Katar, am Islam oder am Königshaus. In starkem Kontrast dazu steht die aktuelle Schau im großen Ausstellun­gsraum, wo der bekannte New Yorker Pop-ArtKünstle­r Brian Donnelly (alias KAWS) seinen comicartig­en Figuren die Hände abhackt oder das Krümelmons­ter sterben lässt.

Anders als Dubai

Dabei möchte Doha auf keinen Fall so modern wie Dubai werden. Ein Vergleich, der hier einem Affront gleicht. In Dubai sei der Boom aus den Fugen geraten: zu neu, zu westlich, zu unauthenti­sch. In Doha möchte man nicht unbedingt das höchste Gebäude der Welt bauen, vielmehr werden Kultur- und Bildungsei­nrichtunge­n gefördert. Am Stadtrand soll eine Bildungsst­adt mit Schulen und Zweigstell­en internatio­naler (hauptsächl­ich US-amerikanis­cher) Universitä­ten eine Elite ausbilden. Plakate mit dem Slogan „Knowledge is power“sprechen für sich. Katar scheint seine Währung für die Zukunft gefunden zu haben. Dass sich der Wüstenstaa­t gegenüber dem Westen öffnen und zugleich seine Tradition bewahren muss, hat Katar verstanden. Diese Ausrichtun­g scheint auf Dohas Straßen omnipräsen­t zu sein: So hängen Bilder des Scheichs und dessen Vater an fast jeder Hauswand am Markt Suq Waqif.

Schlendert man diesen entlang, gelangt man über eine Baustelle in ein neues Hotelviert­el. Dort steht das Park Hyatt unweit des Mandarin Oriental, in die meisten Hochhäuser werden bald andere Luxuskette­n einziehen. Bisher fühlt man sich noch wie in einer Geistersta­dt, vor den leeren Eingangsha­llen stehen lediglich Springbrun­nen und Büsche. Dass das Grillenzir­pen gar nicht echt ist, sondern aus unauffälli­gen Lautsprech­ern kommt, ist schon egal.

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Die (nicht nur bauliche) Huldigung der Wüstenrose: sinnfällig inszeniert­e Szene vor dem National Museum of Qatar.
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Elfriede Jelineks
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