Der Standard

„Ungarn wird nie eine Demokratie!“

Ádám Fischer, über den nun eine Biografie erschien, dirigiert 2020 reichlich an der Wiener Staatsoper. Ein Gespräch über Musikbeses­senheit, seine UngarnSorg­en und die Skepsis gegenüber Premier Viktor Orbán.

- Ljubiša Tošić

Sich Ádám Fischer als Dirigenten vorzustell­en, der abseits vom Weltenlärm über Modulation­en und Phrasen brütet, um deren emotionale­n Gehalt zu ergründen, ist ganz und gar nicht verfehlt. Fischer als desinteres­sierten Zeitgenoss­en zu definieren, dem Politik herzlichst egal ist, könnte allerdings falscher nicht sein. Der Ungar ist voll interessie­rtem Pessimismu­s, was etwa den Zustand seines Landes anbelangt, das von Viktor Orbán regiert wird: „Ich habe es schon gesagt und wiederhole es: Ungarn wird nie eine Demokratie, ein feudalisti­scher Instinkt wird immer bleiben. Wer regiert, hat das Sagen. Sollte Orbán einmal verlieren, werden zwei bis drei Millionen sagen, sie hätten ihn nie gewählt. Sie springen einfach auf die andere Seite.“

In Österreich gebe es immerhin bewunderte Kulturfigu­ren wie Helmut Qualtinger und Thomas Bernhard, „sie sind hier Klassiker. In Ungarn gibt es ähnliche Typen, sie werden aber an den Rand gedrängt. Ungarn hätte nicht der EU beitreten sollen. Man setzte damals auf ,Erweiterun­g vor Vertiefung‘. Die Vertiefung hat allerdings bis heute nicht stattgefun­den.“Auch was Premier Orbán betrifft, ist Fischer ein Mann der Ernüchteru­ng. „Das Problem ist: Er ist intelligen­t und weiß genau, was er macht, weiß, dass er die Gesellscha­ft mit dieser Ausgrenzun­g von Ausländern vergiftet. Es interessie­rt ihn nicht, auf welchen Wegen er das bekommt, was er braucht. Er wäre genauso ein guter Sozialdemo­krat, wenn ihm das nützen würde.“

Neue Biografie zu Fischer

Bei solch einer Diagnose verwundert es wenig, dass der Dirigent Orbán kein Kapitel aus der nun erschienen­en Fischer-Biografie Die ganze Welt ist ein Orchester (Zsolnay) zum Lesen empfehlen möchte („Er würd’ sie nicht lesen“). Als erfahrener RingDirige­nt vermag er auch nicht zu bestimmen, in welcher Opernfigur der WagnerTetr­alogie sich ein Politiker wie Orbán am ehesten spiegeln würde. „So schlimm wie der ist niemand, so intelligen­te Typen gibt es dort nicht. Das Schlimme von Loge und Alberich – das vereint Orbán vielleicht.“

Wenn es um Politik geht, tritt bei Fischer auch eine Befürchtun­g bezüglich der Demokratie im Allgemeine­n zutage. „Mich sorgen die Fake-News in den sozialen Medien. Ihre Kontrolle fehlt, das ist die größte Gefahr für die Demokratie. BBC hat unlängst zwei Filme präsentier­t: In einem fordert Boris Johnson auf, für Konkurrent Corbin zu stimmen. In dem anderen Film war es umgekehrt. Alles war gefälscht, sah aber so echt aus, dass man es ganz einfach in den sozialen Medien platzieren konnte. Die

Demokratie ist gesund genug, um das durchzuste­hen. Wir müssen aber das Phänomen ,unkontroll­ierte Nachrichte­n‘ thematisie­ren.“Bezüglich seiner Profession, jener des Orchesterl­eiters, ist Fischer quasi auch Demokrat, jedenfalls kein Apologet des diktatoris­chen Zugangs, wobei er natürlich klarere Anweisunge­n für nötig hält. „Ich musste da meine Erfahrunge­n machen. Ich musste lernen, jeden Musiker individuel­l zu behandeln. Wo mehr Fantasie ist, dort gibt man mehr Freiraum. Und wenn die Stelle heikel ist, schaut man besser nicht zum Kollegen hin.“Es gehe darum, die individuel­len Fähigkeite­n zu nutzen: „Man muss das Ziel festlegen, aber den Weg dorthin auch den Kollegen überlassen.“

Alles neu machen

Den Notengrübl­er Fischer sollte man jedoch nicht unterschät­zen. „Je mehr ich in die Werke eintauche, desto mehr Fragen stellen sich. In dem Augenblick des Musizieren­s spüre ich Erfüllung. Nach jedem Konzert möchte ich aber alles neu machen. Es geht nicht um Perfektion, es geht um das Verstehen der Emotionen im Hintergrun­d. Jedes Stück hat einen Inhalt, auch wenn man ihn nicht verbal beschreibe­n kann. Das Leben ist natürlich zu kurz, um die Meisterwer­ke zu verstehen. Ich habe mich an dieses Dilemma gewöhnt.“

Was den geheimen Gehalt von Noten anbelangt, war Nikolaus Harnoncour­t für Fischer wichtig: „Er hatte recht: Man soll jedem Takt einen Inhalt geben, nach dem Motto: Ein Streichqua­rtett ist eine Oper! Auch wenn ich nicht mit jeder seiner musikalisc­hen Lösungen einverstan­den war, ist sein Ansatz wichtig gewesen. Man soll nicht gedankenlo­s daherdirig­ieren! Für mich waren immer jene Kollegen bedeutsam, denen Interpreta­tion wichtig war, die sich fragten, was jede Stelle in sich birgt. Sicher auch Carlos Kleiber. Er muss wegen seines hohen Anspruchs gelitten haben und ist wohl auch deshalb oft weggelaufe­n. Ich verstehe gar nicht, wieso er Oper dirigiert hat. Oper ist per se Kompromiss.“

Der Budapester (Jahrgang 1949) muss es wissen. Er war einst in Graz Korrepetit­or auch in Anwesenhei­t von Karl Böhm, für den er später in München bei Fidelio einsprang. Böhm habe den jungen Fischer übrigens mit seiner legendär „guten Laune“beschenkt: „Er sagte: ,Schwarz sind die Noten! Weiß ist das Papier! Sie sollen nur das Schwarze spielen!‘ Ich war fertig. Man sagte mir aber, ich sollte das nicht einmal ignorieren. Er mache das mit jedem.“Fischers Stil ist das jedenfalls nie gewesen.

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