Wie viel persönlichen Kontakt braucht das Recruiting?
Ein Interviewroboter aus Schweden soll den Recruiting-Prozess fairer machen
Jedes Jobinterview ist unfair. Das ist die Prämisse, von der eine schwedische Personalagentur ausging, als die Idee zu ihrem Interviewroboter geboren wurde. Seit einigen Jahren forscht und baut man dort in Zusammenarbeit mit einem Start-up an dem Gerät, das Tengai heißt und optisch an einen haarlosen Friseur-Übungskopf zum Aufstellen erinnert. In Zukunft soll dieser Kopf das Gespräch mit Kandidaten übernehmen und dabei in erster Linie das sein, was laut der Herstellerfirma auch der beste Recruiter der Welt nicht ist: unvoreingenommen.
Der Roboter hat ein freundliches Gesicht, stellt eigenständig offene und geschlossene Fragen, reagiert mit Stimme und Mimik und hakt bei Bedarf nach. Jedem Bewerber werden dieselben Fragen gestellt und die Antworten dem Algorithmus der jeweiligen Vakanz entsprechend ausgewertet. Äußerlichkeiten oder Persönlichkeitsmerkmale zählen nicht. So weit die Theorie, die ja eigentlich ganz vernünftig klingt. Ein gewisses Maß an Anti- oder Sympathie schwingt schließlich auch in hochprofessionellen Bewerbungsgesprächen mit – ob und wie schnell das eigene Gehirn wirklich auf kleinste Reize am Gegenüber reagiert, kann man selbst oft nicht wahrnehmen, geschweige denn steuern.
Wie es den Bewerbern im Dialog mit der künstlichen Intelligenz gehen wird, ist eine andere Frage. Die direkte Konfrontation mit einer KI ist derzeit abseits von Siri und Alexa für die meisten noch eine ungewöhnliche Situation. Ob sich ein Vieraugengespräch mit einem Roboter also positiv auf nervliche Anspannung und Druck auswirkt, mit denen die Bewerbungssituation meist einhergeht, bleibt abzuwarten.
Wie in vielen anderen Arbeitsbereichen wird auch der Bereich Recruiting weiter technisch und digital optimiert werden. Hier gilt es, einen Mittelweg zwischen Praktikabilität und Gleichförmigkeit zu finden. Der persönliche Kontakt sollte dabei nie völlig auf der Strecke bleiben, ein für Bewerber ungebrochen wichtiger Unternehmenswert ist schließlich Authentizität, und die wird kaum durch vollständig standardisierte Prozesse und Anonymisierung erreicht. Unternehmen sind hier uneins: Zwar gibt mehr als die Hälfte der 520 Top-Arbeitgeber Österreichs auf ihren Karriere-Websites einen allgemeinen HR-Kontakt an – die Angabe eines konkreten Ansprechpartners ging in den letzten zehn Jahren allerdings um acht Prozent zurück. Bewerbern wird also seltener die Chance geboten, sich mit Fragen telefonisch oder per E-Mail direkt an eine bestimmte Person zu wenden. Hier schlummert ein einfach umzusetzendes Optimierungspotenzial: Die Möglichkeit zur direkten Kontaktaufnahme mit dem Recruiter zeigt Bewerbern, dass ein bestimmter Mitarbeiter für sie zuständig ist, man also als Arbeitgeber an ihnen und ihren Fragen interessiert ist und dafür auch Ressourcen bereitstellt.
Anfang des nächsten Jahres sollen die ersten Roboter aus Schweden in englischer Sprache vom Band laufen und an Kunden aus aller Welt ausgeliefert werden. Die Erfahrungen von Unternehmen und Bewerbern werden zeigen, ob sich das Bewerbungsverfahren auf diese Weise tatsächlich für alle Beteiligten verbessern lässt. MARKUS GRUBER ist Geschäftsführer der Career Institut & Verlag GmbH sowie Initiator der Best-Recruiters-Studie. CAROLINE METZGER ist Projektleiterin Best Recruiters. Die Best-Recruiters-Studie analysiert jährlich die Recruiting-Maßnahmen der 1300 umsatz- und mitarbeiterstärksten Unternehmen im deutschsprachigen Raum. ➚ www.bestrecruiters.eu