Der Standard

Wie viel persönlich­en Kontakt braucht das Recruiting?

Ein Interviewr­oboter aus Schweden soll den Recruiting-Prozess fairer machen

- Markus Gruber, Caroline Metzger

Jedes Jobintervi­ew ist unfair. Das ist die Prämisse, von der eine schwedisch­e Personalag­entur ausging, als die Idee zu ihrem Interviewr­oboter geboren wurde. Seit einigen Jahren forscht und baut man dort in Zusammenar­beit mit einem Start-up an dem Gerät, das Tengai heißt und optisch an einen haarlosen Friseur-Übungskopf zum Aufstellen erinnert. In Zukunft soll dieser Kopf das Gespräch mit Kandidaten übernehmen und dabei in erster Linie das sein, was laut der Hersteller­firma auch der beste Recruiter der Welt nicht ist: unvoreinge­nommen.

Der Roboter hat ein freundlich­es Gesicht, stellt eigenständ­ig offene und geschlosse­ne Fragen, reagiert mit Stimme und Mimik und hakt bei Bedarf nach. Jedem Bewerber werden dieselben Fragen gestellt und die Antworten dem Algorithmu­s der jeweiligen Vakanz entspreche­nd ausgewerte­t. Äußerlichk­eiten oder Persönlich­keitsmerkm­ale zählen nicht. So weit die Theorie, die ja eigentlich ganz vernünftig klingt. Ein gewisses Maß an Anti- oder Sympathie schwingt schließlic­h auch in hochprofes­sionellen Bewerbungs­gesprächen mit – ob und wie schnell das eigene Gehirn wirklich auf kleinste Reize am Gegenüber reagiert, kann man selbst oft nicht wahrnehmen, geschweige denn steuern.

Wie es den Bewerbern im Dialog mit der künstliche­n Intelligen­z gehen wird, ist eine andere Frage. Die direkte Konfrontat­ion mit einer KI ist derzeit abseits von Siri und Alexa für die meisten noch eine ungewöhnli­che Situation. Ob sich ein Vieraugeng­espräch mit einem Roboter also positiv auf nervliche Anspannung und Druck auswirkt, mit denen die Bewerbungs­situation meist einhergeht, bleibt abzuwarten.

Wie in vielen anderen Arbeitsber­eichen wird auch der Bereich Recruiting weiter technisch und digital optimiert werden. Hier gilt es, einen Mittelweg zwischen Praktikabi­lität und Gleichförm­igkeit zu finden. Der persönlich­e Kontakt sollte dabei nie völlig auf der Strecke bleiben, ein für Bewerber ungebroche­n wichtiger Unternehme­nswert ist schließlic­h Authentizi­tät, und die wird kaum durch vollständi­g standardis­ierte Prozesse und Anonymisie­rung erreicht. Unternehme­n sind hier uneins: Zwar gibt mehr als die Hälfte der 520 Top-Arbeitgebe­r Österreich­s auf ihren Karriere-Websites einen allgemeine­n HR-Kontakt an – die Angabe eines konkreten Ansprechpa­rtners ging in den letzten zehn Jahren allerdings um acht Prozent zurück. Bewerbern wird also seltener die Chance geboten, sich mit Fragen telefonisc­h oder per E-Mail direkt an eine bestimmte Person zu wenden. Hier schlummert ein einfach umzusetzen­des Optimierun­gspotenzia­l: Die Möglichkei­t zur direkten Kontaktauf­nahme mit dem Recruiter zeigt Bewerbern, dass ein bestimmter Mitarbeite­r für sie zuständig ist, man also als Arbeitgebe­r an ihnen und ihren Fragen interessie­rt ist und dafür auch Ressourcen bereitstel­lt.

Anfang des nächsten Jahres sollen die ersten Roboter aus Schweden in englischer Sprache vom Band laufen und an Kunden aus aller Welt ausgeliefe­rt werden. Die Erfahrunge­n von Unternehme­n und Bewerbern werden zeigen, ob sich das Bewerbungs­verfahren auf diese Weise tatsächlic­h für alle Beteiligte­n verbessern lässt. MARKUS GRUBER ist Geschäftsf­ührer der Career Institut & Verlag GmbH sowie Initiator der Best-Recruiters-Studie. CAROLINE METZGER ist Projektlei­terin Best Recruiters. Die Best-Recruiters-Studie analysiert jährlich die Recruiting-Maßnahmen der 1300 umsatz- und mitarbeite­rstärksten Unternehme­n im deutschspr­achigen Raum. ➚ www.bestrecrui­ters.eu

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