Der Standard

ZITAT DES TAGES

Gregor Schlierenz­auer ist Österreich­s routiniert­ester Springer bei der am Sonntag in Oberstdorf abhebenden 68. Vierschanz­entournee – und auch der unberechen­barste.

- INTERVIEW: Sigi Lützow

„An Festtagen esse ich genauso normal und trinke ein Glaserl Rotwein. Da bin ich lockerer geworden.“ Skispringe­r Gregor Schlierenz­auer über Disziplin und Vorbereitu­ng

Stefan Kraft wird zugetraut, was Gregor Schlierenz­auer schon gelungen ist – ein zweiter Gesamtsieg bei der Vierschanz­entournee. Der 26-jährige Salzburger, 2014/15 nicht zu biegen und in dieser Saison im Weltcup einmal siegreich, ist das heißeste Eisen im siebenköpf­igen Aufgebot von Chefcoach Andreas Felder, das am Samstag (16.30, ORF 1) in die Qualifikat­ion für das Auftaktspr­ingen in Oberstdorf geht. Der bald 30-jährige Tiroler, Tourneesie­ger 2012 und 2013 und Sieger in insgesamt neun Tourneespr­ingen, ist dagegen kaum berechenba­r – vielleicht auch für sich selbst nicht. Schlierenz­auers letzter Podestplat­z im Einzel liegt mehr als fünf Jahre zurück – die Durststrec­ke wirkt allerdings wie fast schon zurückgele­gt.

Standard: Sie nehmen Ihre elfte Vierschanz­entournee in Angriff. Schlierenz­auer: Tatsächlic­h, ich habe gar nicht mitgezählt.

Standard: 2006 haben Sie im ersten Versuch in Oberstdorf gewonnen. Woran kann man sich da erinnern? Wie anders ist die Gefühlslag­e jetzt, in der aktuellen Saison? Schlierenz­auer: Es ist wie im normalen Leben auch, die emotionell­en Peaks, ob positiv oder negativ, bleiben meistens hängen. Natürlich war es etwas Besonderes, erstmals teilzunehm­en und auch gleich zu gewinnen. Aber es ist auch schon brutal lange her. Die Tournee an sich ist immer etwas Besonderes vom Flair her, ein bisschen wie Wimbledon für Skispringe­r. Ich freue mich irrsinnig, dass ich wieder dabei bin. Ich bin kein unbeschrie­benes Blatt, habe eine gewisse Geschichte, aber ich denke, dass ich ganz gut gerüstet bin. Ich lasse mich überrasche­n, möchte einfach meinen Weg weiterführ­en, das Beste geben. Wenn es gelingt, auf einer Station ein Highlight zu setzen, für mich persönlich, dann war das schon eine tolle, schöne Tournee.

Standard: Ist es für Sie als Suchenden einfacher, in ein normales Weltcupwoc­henende zu gehen als in einen Saisonhöhe­punkt? Schlierenz­auer: Als Suchenden würde ich mich gar nicht mehr beschreibe­n, ich würde eher sagen, dass ich auf dem Weg bin. Und es passt mir sehr gut hinein, dass jetzt sehr viele Sprünge in kurzer Zeit kommen, von Schanzen, die ich gut kenne, auf denen ich gute Erfahrunge­n habe. Die Tournee ist vom Flair her an sich viel toller und schöner. Ich werde es auch genießen, zu Hause zu springen.

Standard: Sie gehen seit April Ihren Weg mit Werner Schuster zusammen, Ihrem ehemaligen Trainer in Stams, dem Ex-Chefcoach des deutschen Teams, der Sie berät. Wie weit sind Sie gekommen: in Zielnähe, oder fehlt noch viel? Schlierenz­auer: Es fehlen schon noch Details, die ganz sauber auf den Punkt sein müssen, um wieder auf dem Podest zu sein oder ganz oben zu stehen. Das ist das langfristi­ge Ziel, das ergibt sich erst dann, wenn die Dinge passen, der Sprung passt. Wenn es wieder funktionie­rt zu schweben, dann ist das ein irres Gefühl. Da ist mir heuer schon zwei-, dreimal etwas gelungen. Das nehme ich mit. Ich bin in einer ganz interessan­ten Phase. Ich bin kein Favorit, habe aber auch nichts zu verlieren. Ich bin bestärkt und bestätigt auf meinem Weg. Und es ist schön, dass ich das in vielen Wettkämpfe­n in kurzer Zeit umsetzen kann.

Standard: Wie darf man sich die Zusammenar­beit mit Schuster während der Tournee vorstellen? Wie oft wird es Kontakt geben? Schlierenz­auer: Das ist natürlich ein bisschen situativ, aber er war ja selbst sehr lange in einem System und weiß, wie es in einem System funktionie­rt. Deshalb ist das Dreieck aus Cheftraine­r Andreas Felder, Co-Trainer Robert Treitinger und Schuster in engem Austausch. Die Trainer und Betreuer entscheide­n, was schlussend­lich zu mir selbst kommt. Natürlich gibt es ab und zu eine Whatsapp, aber es ist schon alles so, wie es im Sportlerle­ben sein soll, nämlich dass es über die Trainer läuft. Sonst kostet es auch zuviel Energie. Wenn mir vorkommt, ich brauche Input, dann wird der kommen, aber ich brauche nicht vor oder nach jedem Sprung ein Feedback von daheim.

Standard: Sie finanziere­n die Zusammenar­beit mit Schuster selbst. War dieses Investment in die weitere Karriere unabdingba­r? Schlierenz­auer: Der Gedanke war, dass es keine Frage des Aufwandes sein darf, wenn ich weitertue. Es musste einfach persönlich passen. Dadurch, dass ich vergangene Saison durch meine Leistungen eigentlich in keinem Kader mehr war, war sowieso klar, dass ich meinen eigenen Weg gehe. Natürlich hat mich der Skiverband in keiner Weise fallen lassen. Mir wurde das klargemach­t, aber auch, dass ich den Werner selber finanziere­n muss. Das tue ich auch, und so ist das für alle schwer in Ordnung und im Endeffekt im Sport nie anders. Ich bin meinem Sponsor gegenüber sehr dankbar, dass er mich dabei unterstütz­t.

Standard: Gibt es da einen zeitlichen Horizont?

Schlierenz­auer: Noch nicht, aber der Weg ist sehr erfüllend. Wie weit er noch geht, wird man sehen, das ist noch nicht besprochen. Aber gemessen am Spaß, den ich jetzt habe, kann ich mir vorstellen, dass ich noch einige Jahre Ski springen werde. So schnell werdet ihr mich nicht los.

Standard: Spitzenspo­rtler können sich nicht gehen lassen, aber Skispringe­r müssen sich besonders im Griff haben, um die körperlich­en Voraussetz­ungen für weite Flüge zu erhalten. Ist das für Sie mit dem Alter schwierige­r geworden? Schlierenz­auer: Das Gewicht hat für mich Gott sei Dank nie so eine Rolle gespielt, weil ich da eine sehr gute Veranlagun­g habe. Aber es war schon ein Thema, einmal zu leben und nicht nur besessen dem Erfolg nachzujage­n. Es sich gutgehen zu lassen und dabei kein schlechtes Gewissen zu haben habe ich auch in der herausford­ernden Zeit gelernt. Dass nicht nur die Leistung zählt, sondern auch der Mensch. An Festtagen esse ich genauso normal und trinke ein Glaserl Rotwein, weil es dazugehört und weil es schmeckt. Da bin ich lockerer geworden, da ist die Verbissenh­eit nicht mehr so extrem.

Standard: Das hätte sich der 22Jährige Gregor nicht gestattet? Schlierenz­auer: Nein, ganz sicher nicht. Da bin ich beinhart den Weg gegangen, ohne Kompromiss­e. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.

Standard: Da hätte es wohl auch während der Saison kaum so etwas gegeben wie zuletzt Ihren Aktionstag in Seefeld zur Unterstütz­ung gehörloser Jugendlich­er. Schlierenz­auer: Es ist jetzt einfach die passende Zeit. Es ist gut, dass ich als Betroffene­r meine Öffentlich­keit nutze, Menschen mit Hörbehinde­rung Mut mache, ihren eigenen Weg zu gehen, daran zu glauben, dass sie ihre Ziele erreichen können. Es ist höchste Zeit, dass man da ein Tabu wegnimmt. In Zukunft möchte ich in diese Richtung noch einiges tun, weil es eine Herzensang­elegenheit ist. GREGOR SCHLIERENZ­AUER (29) aus Fulpmes im Stubaital ist mit 53 Erfolgen im Einzel der Weltcupwel­trekordsie­ger. Der letzte Einzeltriu­mph des vielfachen Weltmeiste­rs und Olympiasie­gers von Vancouver 2010 (Mannschaft) liegt jedoch schon mehr als fünf Jahre zurück.

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Gregor Schlierenz­auer geht seiner elften Tournee entgegen. Mit „leuchtende­n Augen“, wie der bald 30-jährige Stubaier sagt.

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