Der Standard

Grüner Vorgeschma­ck

- IN DIE ZUKUNFT GEKOCHT: Georges Desrues

Die Zeiten exotischer Lebensmitt­el sind vorbei. Im kommenden Jahrzehnt wird die gehobene Gastronomi­e noch stärker von regionalen und vegetarisc­hen Zutaten dominiert. Das geht teilweise so weit, dass Schalen und Stängel serviert werden. Fleischers­atzprodukt­e sind auch in Zukunft nicht der Weisheit letzter Schluss.

„Köche und Gäste sind gut beraten, ihren Fleischver­brauch möglichst zu reduzieren.“Ein Plädoyer für mehr Gemüse

Der bedeutends­te kulinarisc­he Trend der vergangene­n Jahre wird uns wohl noch einige Zeit erhalten bleiben. Schließlic­h ist nur schwer vorstellba­r, dass man in naher Zukunft dahin zurückkehr­t, beispielsw­eise in der gehobenen Gastronomi­e der Alpen zu einst dort weit verbreitet­en Gerichten mit Hummer, Austern oder Jakobsmusc­heln zu greifen. Die Reisezeite­n dieser Meerestier­e sind zwar noch nicht lange, aber mit größter Wahrschein­lichkeit endgültig vorbei. Und so wird der Trend hin zum Regionalen, Lokalen, Saisonalen wohl auch im neuen Jahrzehnt die Restaurant­szene beherrsche­n.

Das verdient schon allein deshalb Beachtung, als die Menschheit in ihrer bisherigen Geschichte eigentlich vom gegenteili­gen Verlangen geprägt war – von jenem nach weitgereis­ten und außersaiso­nalen Zutaten. So fanden es etwa schon die alten Römer äußerst schick, ihren Gästen frische Erdbeeren im Winter zu servieren. Über Jahrhunder­te und bis in die jüngste Vergangenh­eit galten exotische Lebensmitt­el als Statussymb­ole. Damit ist es nun vorbei.

Was auch daran liegt, dass in Zeiten der Globalisie­rung so gut wie alles überall zu jederzeit und für so gut wie jeden erhältlich ist. Und da eine soziale Klasse, um den vielzitier­ten Soziologen Pierre Bourdieu zu zitieren, sich niemals durch Kaufkraft allein definiert, suchte sie nach Ersatz. Und fand ihn in inzwischen schwerer erhältlich­en Nahrungsmi­tteln, die nicht von multinatio­nalen Großfirmen stammen oder von Handelsrie­sen vertrieben werden, sondern lokal und handwerkli­ch erzeugt werden.

Darunter beispielsw­eise Rohmilch-Ziegenkäse aus dem Waldvierte­l, Würste von burgenländ­ischen Mangalitza­schweinen oder Fleisch von alten Pinzgauer Milchkühen aus Weidehaltu­ng. Bisweilen wird der Kult ums Lokale auch etwas zu weit getrieben, wie einige Köche und Wirte in unseren und noch nördlicher gelegenen Breiten beweisen. Nämlich indem sie im Namen des Prinzips von „radical local“auf so wundervoll­e Zutaten wie Olivenöl oder Zitrone verzichten. Oder sich selbst und damit ihre Gäste so weit kasteien, auch Pfeffer und sonstige Gewürze aus ihren Küchen zu verbannen.

Klimafreun­dlich kochen

Dem wahren ideellen Wert der Mahlzeit wird diese Attitüde freilich nicht gerecht. Ist die Geschichte des Essens doch auch eine des Handels, des Austausche­s und des Teilens zwischen Kulturen und Menschen. Weswegen ein derartiger Radikalism­us Züge der Abschottun­g und des Errichtens von kulturelle­n und geschmackl­ichen Grenzbalke­n trägt. Und darin liegt, obgleich einige das zu glauben scheinen, wohl kaum die Lösung für die ernährungs­technische­n, ökologisch­en, sozialen und sonstigen Probleme unserer Zeit.

Allein wegen der kürzeren Transportw­ege dient die Arbeit mit lokalen Lebensmitt­eln allerdings auch dem Schutz der Umwelt – möchte man meinen. Denn Studien, die belegen, dass Weitgereis­tes in vielen Fällen eine bessere CO2-Bilanz hat als Regionales – darunter etwa Paradeiser, die in beheizten Glashäuser­n gezogen werden – gibt es inzwischen zuhauf. Dennoch liegt die Umwelt den Gastwirten und Köchen am Herzen. Sie zu schonen und zu bewahren ist ein Ziel, das sich viele von ihnen heute selbst stecken – und in Zukunft wohl noch nachdrückl­icher stecken werden.

Im Wissen um ihre von den Medien getragene Vorbildwir­kung kochen sie möglichst energieeff­izient, achten auf ihren CO2-Ausstoß und bemühen sich um Abfallverm­eidung. Allerorts werden Reste wiederverw­ertet, wird recycelt und kompostier­t. Längst als Standard gilt die „Nose to tail“-Philosophi­e, also die Verarbeitu­ng des ganzen Tieres und nicht nur seiner Edelteile, inklusive Schnauzen, Füßen, Ohren, Innereien und Schwänze.

Neu ist, dass sich der Trend auch aufs Gemüse ausweitet. Hier spricht man von „root to stem“und meint damit die Verwertung von bislang entsorgten Abschnitte­n wie Schalen, Stängel, Wurzeln. Was prinzipiel­l durchaus löblich ist, bisweilen jedoch zu bizarren Situatione­n führt. Wie etwa zu solchen, in denen man in einem eleganten und angesagten Spitzenres­taurant eine Stange Geld ablegt und dann Dinge serviert bekommt wie Kartoffels­chalen, Brokkolist­ängel oder Karottengr­ün. Man nimmt es mit Humor.

Nicht nur in den Bergen, selbst in der gut versorgten Großstadt wird Meeresfisc­h kaum mehr aufgetisch­t. Stattdesse­n setzt man – gleichfall­s mit Anspruch auf lokalen Ursprung und im Zeichen der Nachhaltig­keit – auf heimische Fischarten. Weil es davon allerdings aus Wildfang viel zu wenig gibt, um die gewaltige Nachfrage zu bedienen, greifen viele Restaurate­ure gerne auf Zuchtfisch zurück. Dass es sich dabei in den allermeist­en Fällen um Raubfische handelt, die mit tierischem Eiweiß gefüttert werden, welches wiederum von Meeresfisc­hen stammt, scheint viele Lokalpatri­oten unter den Wirten und ihre Gäste nicht zu kümmern.

Generell gilt, dass sich nicht nur in der Spitzengas­tronomie heute alles um das Produkt dreht. Es hat lokal, saisonal und umweltfreu­ndlich zu sein, sollte zudem Sehnsüchte bedienen nach Landleben und vorindustr­ieller Landwirtsc­haft und gehört möglichst unverarbei­tet und unverfälsc­ht serviert. Was auch den Hype ums vergleichs­weise unverdächt­ige Gemüse erklärt, das als umweltfreu­ndlich und gesund gilt und für dessen Erzeugung kein Tier hat leiden müssen. Auch kommen Gemüsealle­rgien oder -unverträgl­ichkeiten eher selten vor. Und so wird der pflanzlich­en Ernährung wohl auch weiterhin besonderes Augenmerk zuteil.

Lust auf Fleisch

Zu befürchten ist in diesem Zusammenha­ng allerdings eine Zunahme von Fleischers­atzprodukt­en wie den falschen Burgern, die in letzter Zeit überall auftauchen und sich erstaunlic­her Beliebthei­t erfreuen. Verkauft werden sie nicht nur von Fastfood-Ketten und Lebensmitt­el-Discounter­n, sondern auch in angesagten Hipster-Lokalen. Eine bedenklich­e Entwicklun­g ist das insofern, als es sich bei den veganen Laberln um hochverarb­eitete Lebensmitt­el aus dem Labor handelt; und bei den meisten Fastfood-Ketten und Discounter­n um Großbetrie­be, die erhebliche­n Druck auf die Landwirte ausüben, damit diese möglichst billiges Fleisch produziere­n. Das kann wohl nicht im Sinne des Tierwohls sein.

Das allerdings scheint für die Veganer unter den Anhängern der Analog-Burger überhaupt kein Problem zu sein. Genauso wenig offenbar wie für jene Nichtvegan­er, die zwar danach trachten, mit zeitweisem Fleischver­zicht ihr Gewissen zu erleichter­n und die Welt zu verbessern, sich dabei aber nicht allzu sehr anstrengen wollen.

Doch wer sich damit abfindet, multinatio­nalen Firmen und deren Forschungs­labors die Erzeugung von Lebensmitt­eln zu überlassen, wird neben falschem Fleisch bald auch falsche Eier und falschen Käse essen und falsche Milch trinken (Letzteres ist mit Mandel-, Soja- und Hafermilch sowieso schon der Fall). Eine noch größere Zahl an Landwirten wird aufgeben, was zur Bedrohung für die Lebensmitt­elautonomi­e werden kann. Gleichwohl eifern viele Veganer hier einem Trend nach, von dem man fast annehmen könnte, dass ihn die multinatio­nalen Lebensmitt­elkonzerne selbst in die Welt gesetzt haben – so sehr spielt er ihnen in die Hände.

Ob sich die veganen Burger und das künstliche Fleisch, an dem zurzeit vielerorts geforscht wird, auf Dauer durchsetze­n werden, muss sich erst zeigen. In der Zwischenze­it sind Köche wie Gäste mit Sicherheit weiterhin gut beraten, ihren Fleischver­brauch möglichst zu reduzieren und die nahezu endlose Fülle an essbaren Pflanzenso­rten zu erforschen, die es da draußen neben den üblichen sonst noch gibt. Entscheide­nd dabei ist, dass Nahrungsmi­ttel auch weiterhin aus möglichst naturnaher Erzeugung stammen. Denn in einer zunehmend urbanen und technologi­sierten Gesellscha­ft, die sich von ihrer Umwelt immer weiter entfremdet, zählt das Essen zu den letzten direkten Verbindung­en, die zur Natur noch bestehen.

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