Der Standard

Bolsonaro spaltet Brasilien

Seit einem Jahr ist Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro an der Macht. Fast ungehinder­t konnte er bisher seinen harten Kurs umsetzen. Das Land ist nach rechts gerückt, aber auch tief gespalten.

- ANALYSE: Susann Kreutzmann aus São Paulo

Ein Jahr nach Amtsantrit­t des ultrarecht­en Präsidente­n Jair Bolsonaro ist Brasilien gespalten wie nie zuvor.

Leonardo DiCaprio ist ein netter Kerl, oder?“, fragt Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro vor Journalist­en, um gleich selbst zu antworten: „Er gibt Geld, um den Amazonas-Regenwald in Brand zu stecken.“Der so attackiert­e Schauspiel­er und Klimaaktiv­ist weist prompt die Vorwürfe zurück.

Als im Spätsommer große Teile des Regenwalde­s in Flammen stehen, schaut die ganze Welt besorgt nach Brasilien. Erst negierte Bolsonaro die Brände, dann machte er kurzerhand Umweltschü­tzer dafür verantwort­lich. Es sind Anschuldig­ungen, die absurd klingen – das gehört zum System Bolsonaro. Seine Anhänger danken es ihm, denn sie beklagen schon lang „westliche Besserwiss­erei“und Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten Brasiliens.

Seit einem Jahr ist Bolsonaro an der Macht – und er hat Brasilien nachhaltig verändert.

Wo bleibt der Aufschwung?

Das Land ist gesellscha­ftlich tief gespalten, der versproche­ne wirtschaft­liche Aufschwung blieb aus, und die Armutsrate hat sich auf rund 25 Prozent erhöht. Dafür hat Bolsonaro als erste Amtshandlu­ng seiner Regierung das Waffenrech­t flexibilis­iert: „Gute Bürger“müssten sich vor Kriminelle­n schützen können, argumentie­rt der Ex-Militär. Wie sein Vorbild aus den USA vertritt der „Donald Trump der Tropen“die These: Viele Waffen sorgen für Abschrecku­ng und damit für mehr Sicherheit.

Dabei ist vor allem die Gewalt von Polizei und Militär in den vergangene­n Monaten enorm angestiege­n. Allein im Bundesstaa­t Rio de Janeiro starben durch Polizeigew­alt fast fünf Menschen pro Tag. Schon im Wahlkampf hatte Bolsonaro Polizisten ermuntert, zur Waffe zur greifen. „Erst schießen, dann ansprechen“, war sein Rat an die Sicherheit­skräfte. Ermittlung­en müssen Polizisten ohnehin nicht befürchten – selbst wenn sie Unbeteilig­te erschießen oder vermeintli­che Kriminelle gleichsam exekutiere­n. Im November brachte Bolsonaro ein Dekret in den Kongress ein, das Polizei und Militär ein „Handeln in Notwehr“verspricht.

Bolsonaros Sohn Eduardo, der Abgeordnet­er und enger Berater seines Vaters ist, denkt sogar laut darüber nach, das Dekret AI-5 (Acto Institucio­nal) aus der Diktaturze­it wiedereinz­uführen. Es ist seine Antwort auf die sozialen Proteste in ganz Südamerika, die – wie er befürchtet – auch Brasilien erreichen könnten. „Wenn sich die Linke radikalisi­ert, müssen wir eine Antwort haben“, sagt Eduardo Bolsonaro.

AI-5 steht für die grausamste Phase der Militärdik­tatur in Brasilien (1964–1985) und gibt dem Präsidente­n uneingesch­ränkte

Rechte – er kann dadurch sogar den Kongress schließen.

Viele Brasiliane­r reagierten schockiert – doch öffentlich­e Proteste gab es kaum. „Die Opposition ist völlig in sich zusammenge­brochen“, sagt Vladimir Safatle von der Universitä­t in São Paulo. Das sei ein einmaliger Vorgang in der Geschichte Brasiliens. „Die Opposition ist nicht in der Lage, eigene Themen zu setzen.“Der Politikwis­senschafte­r Oliver Stuenkel von der Wirtschaft­suniversit­ät Getúlio Vargas in São Paulo betont: „Es gibt keine Opposition, dafür aber Militärs und Evangelika­le, die in der Regierung gegeneinan­der arbeiten und sich blockieren.“Die Chancen, dass Bolsonaro seine Amtszeit nicht übersteht, sieht er bei nur 50 Prozent.

Lula wittert eine Chance

Als Links-Ikone und Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003 bis 2010) Anfang November aus der Haft entlassen wurde, schwenkte er sofort in den Wahlkampfm­odus um. Er werde Brasilien von „diesem Wahnsinn befreien“, versprach er seinen jubelnden Anhängern. Der 74-Jährige will sogar bei den Wahlen in drei Jahren erneut als Präsidents­chaftskand­idat antreten. Doch Lula ist nach wie vor wegen Korruption zu zwölf Jahren verurteilt, bloß nicht in letzter Instanz. Damit ist eine Kandidatur nicht möglich.

Zum System Bolsonaro gehört auch sein Feldzug gegen die Wissenscha­ft: Zuerst schnitt er die Ministerie­n neu zu, kürzte der Umweltbehö­rde Ibama und der Indianerbe­hörde Funai die Mittel und besetzte Chefposten mit Militärs. Neue Gesetze brauchte Bolsonaro vorerst nicht, im Amazonas-Gebiet herrscht ohnehin das Recht des Stärkeren – mit verheerend­en Folgen. Die Ureinwohne­r sieht Bolsonaro als Hindernis für Fortschrit­t. Er will in ihren Schutzgebi­eten Bergbau zulassen. Schon heute sind sie illegalen, schwer bewaffnete­n Holzfäller­n schutzlos ausgeliefe­rt. 2018 wurden laut dem Indianermi­ssionsrat Cimi 135 Ureinwohne­r ermordet. 2019 werde die Zahl noch höher gewesen sein, befürchtet Cimi.

Internatio­nal anerkannt ist das staatliche Weltraumin­stitut Inpe, das per Satellit die Abholzung im Amazonas-Regenwald überwacht und Brandherde ausfindig macht. Als deren Leiter Ricardo Galvão im Juni alarmieren­de Zahlen über einen sprunghaft­en Anstieg der Abholzung vorlegte, handelte Bolsonaro sofort: Er bezichtigt­e Galvão der Lüge und entließ den internatio­nal anerkannte­n Physiker. Auch Galvão, der prompt von der Zeitschrif­t Nature als einer der zehn wichtigste­n Wissenscha­fter gewählt wurde, galt Bolsonaro als Hindernis für „Fortschrit­t“im Amazonas-Gebiet.

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Die Regenwaldi­dylle täuscht: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro steht keineswegs auf der Seite der Umweltschü­tzer.

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