Der Standard

Helden braucht das Land

Braucht eine Demokratie Helden? Der Philosoph Dieter Thomä meint, ja. Er erklärt, worin sich Edward Snowden und Greta Thunberg unterschei­den und warum sich Populisten wie Trump oder Strache in der Märtyrerro­lle gefallen.

- INTERVIEW: Stefan Weiss

Der Philosoph Dieter Thomä plädiert für Helden als Vorbild für die Demokratie und warnt vor Populisten als Märtyrer.

Demokratis­che Helden setzen sich für Freiheit und Menschlich­keit ein. Ihre Stärke tut uns gut, färbt auf uns ab.

In aufgeklärt­en Demokratie­n ist die Heldenvere­hrung schwer in Verruf geraten. Immer häufiger fällt das Wort vom „postherois­chen Zeitalter“, immer eifriger werden Helden, kaum ausgerufen, wieder vom Sockel gestoßen. Der Philosoph Dieter Thomä hält davon wenig und setzt mit seinem Buch Warum Demokratie­n Helden brauchen – Plädoyer für einen zeitgemäße­n Heroismus (Ullstein, 2019) zu einer Gegenrede an. Das abgelaufen­e Jahrzehnt, meint er, sei jedenfalls „kein postherois­ches“gewesen: „Im Gegenteil“.

STANDARD: Wie wird man denn ein Held, eine Heldin?

Thomä: Helden und Heldinnen bringen sich in Gefahr, sie setzten sich Bedrohunge­n aus, sie lehnen sich aus dem Fenster. Sie tun das aber nicht, weil sie auf einem Egotrip sind, sondern weil sie nach etwas streben, das über sie selbst hinausgeht. Und sie heben sich aus der Masse heraus, werden ein Kristallis­ationspunk­t für Sehnsüchte und Ideale. Wir treiben also ein heikles Spiel, denn damit ist immer auch die Idee der Gleichheit infrage gestellt.

STANDARD: Sie wenden sich in Ihrem Buch trotzdem gegen das Herbeirede­n eines postherois­chen Zeitalters. Ist es nicht ein Zeichen von Aufgeklärt­heit, dass man Helden heute kritisch beäugt? Thomä: Es ist interessan­t, dass uns Erwachsene­n das Heldentum ausgeredet werden soll und wir zugleich eine Schutzzone dafür bei unseren Kindern aufrechter­halten. Wir erlauben dem Kind ein Aufschauen zu Figuren, die größer sind als es selbst. Ich glaube, dass es auch uns Erwachsene­n guttut, sich das zu erhalten. Friedrich Nietzsche hat gesagt: Wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Es geht um die Lust, an einer Herausford­erung zu wachsen. Stattdesse­n ist es heute ein beliebtes Gesellscha­ftsspiel geworden, dass man Helden vom Sockel stößt. Mit herausrage­nden Figuren fremdelt man, während Pizzaboten als Lieferheld­en gefeiert werden. Das halte ich für gefährlich.

STANDARD: Gefährlich wofür? Thomä: Für die Demokratie. Weil das Bild einer Gesellscha­ft, in der es keine Helden mehr gibt, dem Bild einer Komfortzon­e entspricht, in der alle großen Herausford­erungen entschwund­en sind. Die Demokratie ist aber keine Komfortzon­e. Demokratie ist nie statisch, sie verwandelt sich, wird jeden Tag neu gelebt, bestätigt. Es führt auf den falschen Pfad, wenn wir uns eine Demokratie denken, in der nichts mehr passiert außer der Verwaltung des Bestehende­n.

STANDARD: Das heißt, der demokratis­che Held stellt als notwendige­r Störenfrie­d die Lebendigke­it der Demokratie sicher?

Thomä: Das ist nur ein Element. Ein anderes ist, dass sich er oder sie auch für die Verteidigu­ng der demokratis­chen Strukturen einsetzt. Es gibt Helden der Verwandlun­g und der Überwindun­g, es braucht aber auch Helden der Verfassung und der Verteidigu­ng. So oder so setzen sich demokratis­che Helden für Freiheit und Menschlich­keit

ein. Ihre Stärke tut uns gut und färbt auf uns ab. Wenn wir die Helden aus der Demokratie verjagen, laufen wir Gefahr, dass wir die Heldenbewu­nderung jenen überlassen, die damit ein demokratie­feindliche­s Spiel betreiben.

STANDARD: Wer gehört für Sie zu den demokratis­chen Helden, die das vergangene Jahrzehnt geprägt haben? Von Edward Snowden bis

Greta Thunberg?

Thomä: Im letzten Jahrzehnt gab es erstaunlic­h viele Helden. Wenn wir über die westliche Welt hinausblic­ken, beginnt ihre Geschichte vielleicht 2010 mit dem tunesische­n Obsthändle­r Mohamed Bouazizi, der mit seiner Selbstverb­rennung aus Protest gegen die Diktatur den Arabischen Frühling lostrat. Auch im Westen gab es viele Belege dagegen, dass wir in einer heldenfrei­en Komfortzon­e leben. Edward Snowden sticht natürlich heraus. Er kritisiert den amerikanis­chen Status quo, indem er Staatsgehe­imnisse verrät. Er beruft sich dabei aber auf den Geist der Verfassung, den Schutz der Person vor Überwachun­g. Das Land dankt es ihm, indem es ihn als Verräter verfolgt. Man sieht: Helden sind immer umstritten.

STANDARD: Das Phänomen Thunberg halten viele für eine PR-Show der Eltern des Mädchens.

Thomä: Ich bezeichne sie gern als Heldin in der Probezeit. Die Wunschmasc­hinen der modernen Mediengese­llschaft sind in der Lage, einzelne Figuren sehr rasch auf einen Sockel zu heben. In diesem Zusammensp­iel kommt es dann immer darauf an zu fragen: Wer ist der Treiber der Entwicklun­g? Inwiefern ist Greta Thunberg Getriebene, und inwiefern treibt sie die Sache selbst an? Thunbergs Heldinnens­tatus wird sich daran messen, wie sie künftig mit diesen zahlreiche­n Projektion­en, die auf sie gerichtet sind, umgehen wird. Zu Helden gehört jedenfalls eine gewisse Nachhaltig­keit und Standhafti­gkeit.

STANDARD: Weltpoliti­sch prägte das Jahrzehnt der Wechsel der US-Präsidente­n von Barack Obama zu Donald Trump. Ihrer jeweiligen Klientel gelten beide als Helden. Sind sie das wirklich? Thomä: Am eindrucksv­ollsten ist es, wenn Helden eine Sache vertreten, die über allen Zweifel erhaben ist, die für die Menschheit als Ganzes steht. Das ist ja auch ein Grund, warum Greta Thunberg so viel Sympathie entgegenge­bracht wird. Bei Politikern ist es fast unmöglich, dass sie nicht in irgendeine­r Form parteiisch sind, daher sprechen sie meist nur für einen Teil der Bevölkerun­g. Erst recht gilt das für US-Präsidente­n.

STANDARD: Wie konstruier­en sie ihren jeweiligen „Heldenstat­us“? Thomä: Obama hat die Beziehung zwischen ihm und seinen Anhängern stets mit dem Wort „Wir“– „Yes we can“, „We are the ones we’ve been waiting for“– belebt. Also die Botschaft: Ja, er sticht heraus, aber er tut dies als „einer von uns“. Bei Trump wird die Beziehung zwischen ihm selbst und den Anhängern immer mit dem Wort „ich“belegt. Kein Präsident vor ihm hat öfter das Wort „ich“gebraucht. Bei ihm lautet die Botschaft: „Ich bin der Einzige, der den Karren aus dem Dreck ziehen kann.“Trump benutzt das Denkmuster undemokrat­ischer Helden: Ich bin stark, die anderen sind schwach. Ich allein mache Amerika wieder groß.

STANDARD: Populisten wie Trump oder Ex-FPÖ-Chef Strache pendeln oft zwischen Opfer- und Heldenroll­e. Wie hängt das zusammen? Thomä: Zunächst muss man allgemein beobachten, dass der Opferstatu­s in unserer Gesellscha­ft enorm populär geworden ist. Der große Vorzug eines Opfers ist der, dass es moralisch über allen Zweifel erhaben ist. Das Problem ist, dass es einen Missbrauch des Opferstatu­s gibt von jenen, die sich als Opfer inszeniere­n. Für Populisten bedeutet das den Vorteil, dass sie enorme Drohkuliss­en aufbauen können: Sie sehen sich als Opfer von Verschwöru­ngen, als Ausgegrenz­te. In einer gemeinsame­n Opferfanta­sie können sich dann all jene damit identifizi­eren, die das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein.

STANDARD: Straches Karriere erzählt auch die klassische Geschichte vom Emporkömml­ing, der an seiner eigenen Selbstüber­schätzung scheitert. Für seine (Ex-)Verehrer ist er ein „gefallener Held“. Thomä: Der Mechanismu­s, dass Menschen hochgejube­lt werden und dann tief fallen, ist enorm verbreitet. Etwa auch bei Spitzenspo­rtlern. Der klassische sogenannte gefallene Held war der im Krieg Gefallene, der sich damit für die Märtyrerro­lle empfohlen hat. Es gibt aber auch den gefallenen Helden, der fällt, weil er einen Fehler begangen hat. Bei Strache tobt ein Deutungsst­reit: Er selbst und seine Anhänger interessie­ren sich für die Märtyrerro­lle, ich glaube aber doch, dass sich die andere Deutung durchsetze­n wird.

STANDARD: Heute ist oft die Rede von den „Helden des Alltags“. Können Sie damit etwas anfangen? Thomä: Es gibt Gelegenhei­tshelden, Menschen, die in bestimmten Situatione­n über sich hinauswach­sen: Lebensrett­er, Whistleblo­wer. Sie kommen zwar aus dem Alltag, verlassen diesen aber in einer bestimmten Situation. Sie bewähren sich in Momenten, die eben nicht alltäglich sind. Dann gibt es aber auch Berufe, die enorm risikobeha­ftet sind, etwa Bergretter. Das eigene Leben aufs Spiel zu setzen ist für sie Alltag.

STANDARD: Und was ist mit den Superhelde­n, die das Kino der Zehnerjahr­e geradezu dominierte­n? Thomä: Ich wollte eigentlich eine vernichten­de Polemik gegen diese Filme schreiben. Denn der Effekt, den Superhelde­n haben, ist der, dass wir selbst sehr ohnmächtig dasitzen, beim Popcorness­en dick werden und Übermensch­en auf der Leinwand zusehen. Gleichzeit­ig macht der Erfolg dieser Filme deutlich, welche Bereitscha­ft zur Bewunderun­g von Helden in uns schlummert. Es gibt also im „postherois­chen Zeitalter“ein großes Bedürfnis nach Helden.

STANDARD: Welche Comic-Helden imponieren Ihnen dennoch? Thomä: Die, die auch eine menschlich­e, eine schwache Seite haben. Damit bieten sie Identifika­tionspunkt­e an. Und es kommt hinzu, dass einige Superhelde­n in ihrer Entstehung gar nicht als Figuren einer Parallelwe­lt erdacht wurden, sondern im emanzipato­rischen Sinn: Superman wurde von Juden im Kampf gegen Hitler erfunden, Wonder Woman von Feministin­nen als Vorbild für die Befreiung der Frau, bei Black Panther ging es darum, den Schwarzen eine Stimme zu geben. Das heißt: Je näher Superhelde­n an die gesellscha­ftliche Wirklichke­it heranrücke­n, desto eher kann man ihnen Positives abgewinnen.

DIETER THOMÄ (60) wurde in Heidelberg geboren. Er ist Professor für Philosophi­e an der Universitä­t St. Gallen.

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Der Whistleblo­wer Edward Snowden, der 2013 den NSA-Überwachun­gsskandal aufdeckte, prägte die gesellscha­ftliche Debatte der Zehnerjahr­e: Seine Autobiogra­fie „Permanent Record“erschien 2019.
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