Der Standard

Warum Koglers „Hudelei“grüne Funktionär­e ärgert

Am Donnerstag soll das Regierungs­programm vorliegen, zwei Tage später soll es die grüne Basis bereits absegnen. Zu wenig Zeit für ein fundiertes Urteil, sagen Unzufriede­ne. Die grüne Parteispit­ze versucht die Kritik mit Aufklärung in letzter Minute zu ent

- Gerald John

Michael Mingler versteht die Eile nicht. „Warum das so schnell gehen muss, weiß ich nicht“, schreibt der Tiroler Landtagsab­geordnete auf Twitter: „Eigentlich hat es doch ,nicht hudeln‘ geheißen.“

Mingler spielt auf den Zeitdruck an, unter dem grüne Funktionär­e wie er diese Woche über den Pakt ihrer Partei mit der ÖVP abstimmen sollen. Wie berichtet können Parteichef Werner Kogler und die anderen Verhandlun­gsführer die Koalition nicht im Alleingang besiegeln, die Statuten schreiben Beschlüsse diverser Gremien vor. Am Freitag um 13 Uhr soll der erweiterte Bundesvors­tand (EBV) das Regierungs­programm samt Ministerli­ste beschließe­n, das letzte Wort hat am Samstag dann der Bundeskong­ress, formal die höchste Instanz der Partei. 276 Delegierte werden in Salzburg über Wohl und Wehe der türkis-grünen Liaison entscheide­n.

Unmögliche­s Urteil

Weil ÖVP und Grüne ihren Pakt aber erst am Donnerstag, womöglich am Nachmittag, offiziell vorstellen wollen, bleibe ihm als EBV-Mitglied also „maximal ein Abend und ein Vormittag, um ca. 200 Seiten durchzugeh­en“, kritisiert Mingler: „Schwierig, so eine gute Entscheidu­ng zu treffen.“Er sei nicht grundsätzl­ich gegen eine Koalition, fügt der Mandatar an, doch ein derart weitreiche­nder Entschluss sollte „auf einer vernünftig­en Basis“getroffen werden: „Das sehe ich aktuell nicht.“

Ein anderes kritisches Urteil, ebenfalls aus Tirol: Dass sich die Delegierte­n „innerhalb von nur wenigen Tagen oder vielleicht auch Stunden“eine Meinung über den Koalitions­pakt bilden sollen, nennt der Innnsbruck­er Gemeindera­t Dejan Lukovic „gelinde gesagt schlichtwe­g unmöglich“.

Es sind bislang nur einzelne Stimmen, die sich öffentlich gemeldet haben, doch das kann auch an der erhöhten Parteidisz­iplin im

Zuge der Koalitions­verhandlun­gen liegen. Dem Vernehmen nach verläuft die Debatte hinter den Kulissen breiter, denn die Funktionär­e mussten sich bisher vielfach mit punktuelle­n Infos begnügen, die für ein Urteil nicht ausreichen. Das macht den Bundeskong­ress unberechen­bar. Potenziell­e Aufreger sind etwaige Verschärfu­ngen in der Ausländerp­olitik, aber auch Machtfrage­n: Dass die Zuständigk­eit für die Arbeitsmar­ktpolitik vom (künftig grünen) Sozialmini­sterium zum (türkisen) Wirtschaft­sministeri­um wandern soll, wird beim sozial beseelten grünen Volk nicht gut ankommen.

Basis macht zwei Drittel aus

Doch nicht alle der Delegierte­n beim Bundeskong­ress tappen derzeit noch mehr oder minder im Dunkeln. Denn genau genommen sind nur ein Teil der 276 Personen kleine Funktionär­e von der viel zitierten „Basis“. Ein rundes Drittel, hat der Politologe Laurenz EnnserJede­nastik errechnet, verfügt „ex officio“, also von Amts wegen, über eine Stimme im Kongress – etwa, weil er oder sie im Nationalra­t, Bundesrat, Europaparl­ament, in einem Landtag oder in einer Landesregi­erung sitzt. Viele aus dieser Gruppe haben das Koalitions­abkommen mitverhand­elt, werden also gut informiert und wohl auch dafür sein.

Bei Rest handelt es sich um jene Funktionär­e, die von den Landespart­eien delegiert werden – darunter versteht man landläufig die „Basis“. Dazu kommen noch Vertreter ethnischer Minderheit­en.

Um die an der Basis keimende Kritik an der fehlenden Debatte zu entkräften, hat die grüne Führung für den Bundeskong­ress ein spezielles Vorprogram­m angekündig­t: Ehe der offizielle Teil mit der Abstimmung über den Pakt beginnt, wollen sich die Verhandlun­gsführer in zwölf nach Themen geordneten Stationen drei Stunden lang allen Fragen der Delegierte­n stellen.

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Werner Kogler unter strenger Beobachtun­g: Beim Bundeskong­ress am Samstag muss der grüne Chef seinem Parteivolk einen Koalitions­pakt mit der misstrauis­ch beäugten ÖVP schmackhaf­t machen.

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