Der Standard

Die Bücherdete­ktive von Buenos Aires

Wer nach einem seltenen Buch sucht, wendet sich an ein Paar in der argentinis­chen Hauptstadt. Von einem Kloster aus finden die Psychologi­n und der Banker außergewöh­nliche Titel und vergriffen­e Werke.

- Sandra Weiss aus Buenos Aires

Buchhandlu­ngen gibt es viele in Buenos Aires, Lateinamer­ikas Metropole der Leseratten. Doch keine ähnelt der Librería Textos Cautivos. Schon sie zu finden ist eine Herausford­erung. Das winzige Geschäft der Bücherdete­ktive befindet sich im Innenhof eines Klosters im Zentrum der argentinis­chen Hauptstadt. Suchen und Finden, das ist das Hobby von Mirta Ancona (53) und Oscar Campos (52). Sie gelernte Psychologi­n, er Banker. Ihre Spezialitä­t: seltene Bücher.

„Angefangen hat es vor neun Jahren für einen Bankkolleg­en, der ein bestimmtes Buch über Psychologi­e suchte, das im Handel vergriffen war“, erzählt Campos. Dieser, damals schon versierte Leseratte, fand es innerhalb kürzester Zeit in einem Online-Antiquaria­t. „Was für ein Service“, war der Freund begeistert – und so fing es an. Erst für Bekannte, dann mit einem Suchdienst auf der Plattform Facebook.

„Wir waren am Wochenende auf Flohmärkte­n unterwegs, in Antiquaria­ten und kauften kistenweis­e Bücher“, erzählt Ancona. „Als man in unserer Wohnung kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte, zog ich die Reißleine.“

Geruch nach Holz und Leder

Sie eröffneten den ersten Buchladen. Dreimal die Woche, in ihrer Freizeit, öffnen sie das Geschäft. Ein anheimelnd­es Lokal in einem alten Kreuzgang, möbliert mit Antiquität­en. Es riecht nach Holz und Leder. Der Lärm der Stadt ist fern, stattdesse­n zwitschern Vögel im Innenhof. Ein Ort zum Verweilen, zum Schmökern, zum Plaudern. „Genau das ist die Idee“, sagt Ancona und und lacht, während sie einen starken Tee brüht.

Ein Kunde kommt herein, sucht nach einem Buch von Sartre. „Sie haben Glück, das ist gerade im Angebot“, antwortet Ancona und zieht aus einem Stapel zielsicher den gewünschte­n Titel heraus. Er stammt aus einer Haushaltsa­uflösung. Es gibt noch viele andere Wege, um an vergriffen­e Bücher zu kommen, und viele seiner Kunden kennt das Paar nur übers Internet. Eine Recherche über eine radikale politische Splittergr­uppe führte Campos bis nach Peru. „In einem Chat erwähnte einer das Buch, und ein Freund brachte es dann von einer Reise mit“, sagt Campos.

Gut vernetzt zu sein ist das A und O eines Bücherdete­ktivs, so das Paar. Manchmal geht es schnell, mit dem Anruf bei einem befreundet­en Antiquar, manche Suche wird aber auch zur Obsession: Derzeit geht ihm der Auftrag eines Doktorande­n, der ein Heft aus den 40er-Jahren über den Frauenhand­el sucht, nicht aus dem Kopf.

Ein Jahr dauerte die Suche nach einem Bildband über den Leuchtturm am Ende der Welt in Ushuaia für eine US-Fotografin – fündig wurde Campos im Keller einer in Konkurs gegangenen Buchhandlu­ng. Wie man in tausenden von Werken genau das gesuchte entdeckt, das bleibt Campos Geheimnis. „Man braucht den richtigen Blick“, sagt er und schmunzelt. Und das richtige Händchen: Auch die Restaurier­ung lädierter Bücher übernimmt er.

Besonders gefragt sind Werke über argentinis­che Geschichte, Pferde, das Mittelalte­r, Psychologi­e, Tango und Fußball. „Es gibt ein Buch von Menotti, Futbol sin trampa, über seinen Fußballsti­l, das oft auch aus dem Ausland angefragt wird“, sagt Ancona. Es zu finden ist allerdings schwierig. Je nach Aufwand kommt für so eine

Suche zum Kaufpreis des Buchs ein saftiger Aufschlag hinzu. Allzu hoch kann das Paar die Preise aber nicht ansetzen, denn Argentinie­n steckt wieder einmal in der Krise, und an Büchern spart die Mittelschi­cht zuerst. Deshalb gibt es bei Librería Textos Cautivos öfter Sonderange­bote. Besonders bei Sammlungen aus Haushaltsa­uflösungen lohnt sich das für Käufer und Verkäufer.

Traum vom Beruf

Doch wer unbedingt ein Buch will, so wie Mónica López, greift auch einmal tiefer in die Tasche. Die Büroangest­ellte und Hobbyköchi­n hat ein vergriffen­es Sachbuch über das Brotbacken in Auftrag gegeben. Für das schmale Taschenbuc­h zahlt sie umgerechne­t 15 Euro. „Ich habe die Buchhandlu­ng vor ein paar Monaten entdeckt und komme nun oft in der Mittagspau­se vorbei“, sagt sie. Auch durch Mundpropag­anda ist das Geschäft der Bücherdete­ktive stetig gewachsen. „Unser Traum ist, einmal davon leben zu können“, sagt Campos.

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