Katalanenführer vorübergehend aus Haft entlassen
Junqueras darf wohl nach Straßburg zu EU-Parlament
Die ohnehin schon komplizierte juristische Frage, wie man mit den Chefs der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung umgehen soll, ist seit Montag um eine Facette reicher. Die Chefanklage in Spanien hat in einem Bericht empfohlen, dem inhaftierten Chef der gemäßigten Separatistenpartei ERC, Oriol Junqueras, eine Reise zum Sitz des EU-Parlaments in Straßburg zu erlauben. Er soll dort die Formalitäten zur Annahme seines im Mai gewonnenen EU-Mandats erledigen können. Danach müsse sich der Parteichef aber wieder in Haft begeben. Die Empfehlung, der Spaniens Höchstgericht erst folgen muss, lässt in der Umsetzung einige Möglichkeiten offen – könnte aber vor allem die seit acht Monaten stockende Regierungsbildung in Madrid voranbringen.
Junqueras war in einem höchst umstrittenen Prozess im Oktober zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Ihm wurden im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum von Oktober 2017, das Spanien als illegal erachtet, „Aufruhr“und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Junqueras war damals stellvertretender Chef der Regionalregierung und mit der Ausrichtung des Votums befasst. Zum Zeitpunkt der EUWahl im Mai 2019 befand er sich in Untersuchungshaft, war also nicht rechtskräftig verurteilt.
Deckung für Zugeständnisse
Der Europäische Gerichtshof urteilte daher am 19. Dezember, dass er zum Zeitpunkt der Verurteilung schon parlamentarische Immunität genossen habe. Und das wiederum ist der Grund für die nunmehrige Empfehlung, ihm die Annahme seines Mandats zu ermöglichen. Was dann passieren soll, ist unklar: Folgt man der Empfehlung, müsste Junqueras wieder nach Spanien reisen und sich zurück in Haft begeben. Seine Verteidigung ist der Ansicht, er müsse erst wieder in Haft, wenn das EU-Parlament einer von Spanien geforderten Aufhebung seiner Immunität zustimmen sollte.
Die Montag ausgesprochene Empfehlung stammt von Spaniens Chefanklage, einer an sich politisch unabhängigen Stelle. Die ERC glaubt aber, die Regierung habe durchaus Einfluss auf ihre Entscheidung. Tatsächlich kommt diese nun für Premier Pedro Sánchez zu einem äußerst praktischen Zeitpunkt. Der Sozialdemokrat verhandelt gemeinsam mit seinem Partner, der linken Unidas Podemos, mit der ERC um Unterstützung einer gemeinsamen Minderheitsregierung, bis zum Dreikönigstag am 6. Jänner will er fertig sein. Die Aufforderung der Justiz könnte ihm die nötige Deckung verschaffen, über Junqueras’ Freilassung zu verhandeln. (mesc)