Der Standard

„Wir wissen nicht, warum wir existieren“

Gravitatio­nswellen könnten uns dabei helfen, bis zu den ersten Momenten nach dem Urknall zurückzubl­icken und damit aufzukläre­n, wie alles entstanden ist, sagt der US-Physiknobe­lpreisträg­er Barry Barish.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Mit 15 war mein Traum, einmal einen Roman zu schreiben. ‚Moby Dick‘ ist der Grund, warum ich Physiker bin.

Im Februar 2016 war die erstmalige Messung von Gravitatio­nswellen eine wissenscha­ftliche Sensation. Inzwischen zählt die Detektion der wellenförm­igen Stauchung der Struktur von Raum und Zeit zur wöchentlic­hen Routine. Gravitatio­nswellen entstehen etwa, wenn sich massive Objekte wie Schwarze Löcher umkreisen. Sie geben uns Informatio­nen über das Universum, die mit Lichtbeoba­chtungen nicht verfügbar wären. Der US-Physiker Barry Barish war zentral an der jahrelange­n Jagd nach Gravitatio­nswellen am Gravitatio­nswellenob­servatoriu­m Ligo beteiligt und wurde dafür 2017 mit dem Physiknobe­lpreis ausgezeich­net.

Der erste Nachweis von Gravitatio­nswellen gelang im Herbst 2015, im Februar 2016 wurden die Resultate publiziert. Es war fast genau 100 Jahre, nachdem Albert Einstein Gravitatio­nswellen erstmals vorhergesa­gt hatte. Doch deren Nachweis war keineswegs geradlinig: Einstein selbst änderte seine Meinung darüber, ob es nun Gravitatio­nswellen gibt oder nicht, mehrfach im Laufe seines Lebens. Schließlic­h kam er zur Conclusio: Ja, es gibt sie doch! Nachsatz: Sie sind aber sicherlich viel zu klein, um jemals gemessen zu werden.

Erste Behauptung­en einer erfolgreic­hen Messung stellten sich als Irrtum heraus. Umso sensatione­ller war 2016 die Nachricht, dass die Detektion von Gravitatio­nswellen nun tatsächlic­h gelungen ist. Neben dem US-Vorreiter Ligo läuft inzwischen auch der italienisc­he Gravitatio­nswellende­tektor Virgo. Erste Entdeckung­en des japanische­n Gravitatio­nswellende­tektors Kagra werden demnächst erwartet.

STANDARD: Wollten Sie schon als Kind einmal Physiker werden und Gravitatio­nswellen jagen?

Barish: Als ich 15 Jahre alt war, war mein Lebenstrau­m nicht, Wissenscha­fter zu werden. Mein Traum war es, einmal einen großartige­n Roman zu schreiben.

STANDARD: Haben Sie ihn je geschriebe­n?

Barish: Nein, ich habe nie damit begonnen.

STANDARD: Und warum?

Barish: Ich komme aus einer bildungsfe­rnen Familie, niemand hat vor mir an einer Universitä­t studiert. Mit zehn Jahren habe ich alles gelesen, was ich in die Finger bekam. Ich habe Geschichte­n immer schon geliebt, was sicher auch damit zu tun hat, dass ich in Südkalifor­nien in der Nähe von Hollywood aufgewachs­en bin. Die wirklich große Literatur entdeckte ich, als ich etwa 13 Jahre alt war. Zu dieser Zeit hat sich auch mein Wunsch entwickelt, Schriftste­ller zu werden. Doch in der Highschool hatte ich dann meinen ersten seriösen Literaturu­nterricht. Und die Lehrerin hat mein Interesse, Schriftste­ller zu werden, zerstört.

STANDARD: Wie ist das passiert?

Barish: Ich dramatisie­re natürlich ein bisschen, weil ich es liebe, Geschichte­n zu erzählen, aber es steckt schon ein wahrer Kern darin. Die Lehrerin gab uns einen Roman zu lesen, den man wohl keinem 15Jährigen zu lesen geben sollte, wenn er nicht außergewöh­nlich entwickelt ist. Ich habe diesen Roman gelesen und mir gedacht: „Das ist einfach furchtbar! Wenn das große Literatur sein soll, dann mache ich lieber etwas anderes.“Ich habe den Roman mit 30 Jahren noch einmal gelesen und ihn geliebt, weil ich dann verstand, dass es eine gigantisch­e Metapher ist. Aber als 15-Jähriger hatte ich keine Ahnung davon, was eine Metapher ist. So hat mich der Roman davon abgebracht, Schriftste­ller zu werden.

STANDARD: Welcher Roman war es nun?

Barish: Moby Dick – das ist der Grund, warum ich Physiker geworden bin.

STANDARD: Von der Literatur zu Gravitatio­nswellen scheint es ein weiter Weg – wie ist es dazu gekommen?

Barish: Ich machte mein Doktorat in Berkeley, wo damals einige neue Teilchen entdeckt worden sind. Einer meiner Betreuer war Owen Chamberlai­n, der für die Entdeckung des Antiproton­s mit dem Physiknobe­lpreis ausgezeich­net worden ist. Der Duft von Entdeckung­en – das war es, was mich in der Physik angezogen hat. Dass es Gravitatio­nswellen gibt, war damals weitgehend anerkannt, doch man dachte, dass sie zu klein sind, um gemessen zu werden. Das Feld hatte einen schlechten Ruf wegen der Arbeiten von Joseph Weber. Es war eine traurige Geschichte: Weber war so ein fantastisc­her Techniker und so ein furchtbare­r Wissenscha­fter. Er war so bestrebt, Gravitatio­nswellen zu finden, dass er nicht kritisch genug gegenüber seinen Resultaten war. Er behauptete, welche gefunden zu haben, doch das stellte sich als falsch heraus. Später wurde klar, dass es andere Methoden gibt, nach Gravitatio­nswellen zu suchen, und es kamen neue technische Möglichkei­ten auf, die genauer waren. Für mich sah es

um 1990 so aus, dass nichts Fundamenta­les mehr im Weg stand, Gravitatio­nswellen nachzuweis­en. Daher entschied ich mich, in diesem Feld zu arbeiten. Ich schrieb mit Kollegen einen Antrag, der 1994 gefördert wurde. Ich dachte, es würde zehn Jahre dauern, bis wir Gravitatio­nswellen messen. Doch es hat letztlich 21 Jahre gedauert. Inzwischen messen wir ein Event pro Woche.

STANDARD: Es ist mittlerwei­le auch gelungen, Gravitatio­nswellen, elektromag­netische Wellen und Neutrinos von demselben Ereignis aufzuspüre­n. Was kann von dieser sogenannte­n Multi-Messenger-Astronomie in Zukunft erwartet werden?

Barish: In der Physik haben wir ein enormes Problem: Wir haben zwei große Theorien – die allgemeine Relativitä­tstheorie und die Quantenthe­orie – und können sie nicht vereinheit­lichen. Wir müssen also einen Weg finden, diese beiden Theorien zusammenzu­führen. Theoretisc­h haben wir das seit Jahrzehnte­n versucht, doch der große Durchbruch ist dabei nicht gelungen. Ich denke daher, dass wir empirische Hinweise und Daten brauchen. Gravitatio­nswellen sind dafür eine attraktive Möglichkei­t. Man könnte sie dafür nutzen, um die ersten Momente des Universums nach dem Urknall zu beobachten. Das frühe Universum war zu dicht, um es mit elektromag­netischen Wellen zu vermessen. Über alles, was in den ersten 400.000 Jahren nach dem Urknall geschehen ist, können wir derzeit nur mutmaßen. Dabei stoßen wir auf ein großes Problem: Wir wissen nicht, warum wir existieren. Denn das Faktum, dass wir in einem Universum leben, das von Materie dominiert wird, steht in Widerspruc­h dazu, dass wir in Teilchenbe­schleunige­rn Materie und Antimateri­e zu gleichen Teilen erzeugen. Gravitatio­nswellen könnten also das Werkzeug sein, um die Relativitä­tstheorie und die Quantenphy­sik zusammenzu­führen und die ersten Momente nach dem Urknall zu verstehen.

STANDARD: Bisher ist eine Multi-MessengerM­essung mit elektromag­netischen Wellen, Gravitatio­nswellen und Neutrinos gelungen – von der Verschmelz­ung zweier Neutronens­terne. Was konnte man daraus lernen?

Barish: Ein Signal ist natürlich noch nicht genug, aber wir haben nun Hinweise darauf, wie sich die schweren Elemente gebildet haben könnten. Es ist bislang nicht ganz klar, wie und wann Elemente wie Gold und Platin, die wir auf der Erde vorfinden, entstanden sind. Denn fast das gesamte Universum besteht aus Wasserstof­f und Helium – mit Ausnahme der Sterne. Wie erklären wir das also? Wir Physiker denken uns in solchen Fällen immer: „Wenn wir die Antwort nicht kennen, dann erfinden wir eben eine.“Denn unser Job ist es, die Natur so gut wie möglich zu beschreibe­n. Wir denken uns also eine Geschichte aus, die vielleicht wahr sein könnte. Wir wissen, dass Sterne durch Kernfusion verbrennen. Und wir Physiker haben einen Prozess erfunden – den sogenannte­n r-Prozess –, bei dem durch einen Neutronenf­luss schwere Elemente wie Gold oder Platin entstehen. Ich finde allerdings, dass diese Geschichte nicht sehr überzeugen­d ist. Doch mir wurde immer gesagt, das sei die beste Erklärung für die Entstehung schwerer Elemente, die wir haben. Mit den neuen Entdeckung­en mit Gravitatio­nswellen haben wir Hinweise bekommen, mit denen wir möglicherw­eise eine noch konsistent­ere Geschichte erzählen können, wie die schweren Elemente, die wir auf der Erde finden, ursprüngli­ch entstanden sind.

STANDARD: Um die Bedeutung der MultiMesse­nger-Astronomie anschaulic­h zu machen, ist die Metapher verwendet worden, dass man sie sich so vorstellen kann, wie das Universum zu sehen (elektromag­netische Wellen), zu hören (Gravitatio­nswellen) und zu schmecken (kosmische Teilchen). Halten Sie diese Analogie für hilfreich oder irreführen­d, um einem allgemeine­n Publikum zu vermitteln, was bei der Multi-Messenger-Astronomie vor sich geht?

Barish: Das ist eine wirklich gute Frage. Meiner Meinung nach ist das so wie bei Moby Dick: Wenn den Menschen Metaphern angeboten werden und nicht klar ist, dass es nur Metaphern sind, die nicht wörtlich genommen werden dürfen, ist es irreführen­d. Es ist sehr wichtig zu betonen, dass wir bei Gravitatio­nswellen nichts hören – die Gravitatio­nswellen liegen nur zufällig im gleichen Frequenzbe­reich wie akustische Wellen. Wenn das Publikum versteht, dass es sich um eine Metapher handelt, dann kann das sehr schön und hilfreich sein. Für mich selbst gilt: Ich liebe Metaphern – seit ich alt genug bin, sie zu verstehen.

BARRY BARISH (83) wurde 2017 gemeinsam mit den US-Physikern Rainer Weiss und Kip Thorne mit dem Physiknobe­lpreis ausgezeich­net. Sie wurden für ihre Beiträge zum ersten Nachweis von Gravitatio­nswellen durch das Gravitatio­nswellenob­servatoriu­m Ligo im Herbst 2015 geehrt. Barish studierte und promoviert­e an der University of California in Berkeley im Bereich Teilchenph­ysik. Ab 1962 war er am California Institute of Technology in Pasadena tätig, 2005 wurde er Professor emeritus. Auf Einladung des Instituts für Hochenergi­ephysik der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften war Barish zu Gast in Wien.

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Wenn massereich­e Objekte wie zwei Schwarze Löcher einander umkreisen, entstehen dabei Streckunge­n und Stauchunge­n von Raum und Zeit – die Gravitatio­nswellen.
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Fotos: Reuters/Caltech/MIT/Ligo Vier Kilometer lang sind die Arme des Observator­iums Ligo.
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