Der Standard

Andreas Goldberger vor dem Neujahrssp­ringen über das japanische Schanzenph­änomen Ryoyu Kobayashi

Der Japaner Ryoyu Kobayashi knüpft bei der Vierschanz­entournee dort an, wo er vor einem Jahr aufgehört hat. Vor dem Neujahrssp­ringen ist seine Überlegenh­eit vielen ein Rätsel. Andreas Goldberger kann es lösen.

- Fritz Neumann aus Garmisch-Partenkirc­hen

Da kommt sonst keiner hin“, sagt Andreas Goldberger, und schon möchte man ihm mit einem „Eh klar, das sieht ja jeder“antworten. Doch Goldberger meint nicht die Weiten, die Ryoyu Kobayashi erzielt. Es ist auch nicht die oft schon besungene Absprungst­ärke des Japaners allein, die den Waldzeller beeindruck­t. „Es ist der Übergang vom Absprung in die Luftfahrt“, erklärt Goldberger dem STANDARD. „Kobayashi verliert keine Geschwindi­gkeit, so hat er unglaublic­h schnell ein Supersyste­m. Die Energie, der Druck beim Absprung, wirkt durch den Oberkörper durch in die richtige Richtung. Deshalb ist Kobayasi zwanzig Meter nach dem Schanzenti­sch in einer sensatione­llen Position.“Und ja, noch einmal: „Da kommt sonst keiner hin.“

Zum Start der 68. Vierschanz­entournee hat Kobayashi (23) nahtlos dort angeknüpft, wo er die 67. beendet hatte: auf dem Siegespode­st. Vor einem Jahr hatte er als dritter Springer nach Sven Hannawald (2002) und Kamil Stoch (2018) einen Grand Slam gefeiert, also auf allen vier Schanzen triumphier­t. Ähnliches wäre nach Kobayashis überlegene­m Erfolg in Oberstdorf auch diesmal keine Überraschu­ng. Zu Neujahr in Garmisch-Partenkirc­hen hat er als Topfavorit zu gelten. Ein sechster Tournee-Tagessieg en suite würde Rekord bedeuten.

Laut Goldberger (47), selbst zweimal Gesamtsieg­er (1993 und 1995) und seit 2005 ORFExperte, sind nicht alle, aber viele Würfel gefallen. „Von denen, die in Oberstdorf auf den ersten vier Plätzen waren, werden drei am Ende auch insgesamt auf dem Stockerl stehen“, tippt er. Wobei er Kobayashis Verfolger, also den Deutschen Karl Geiger, den Polen Dawid Kubacki und den Österreich­er Stefan Kraft, noch nicht abschreibe­n würde. Vor allem Kraft nicht, das mag aber ein wenig auch der patriotisc­hen Sicht geschuldet sein. „Wenn der Stefan seine besten Sprünge zeigt, ist er ebenbürtig.“

Ryoyu Kobayashi als Nachfolger von Noriaki Kasai? Von wegen! Das würde beiden nicht gerecht. Denn vergleiche­n lassen sich die zwei Japaner schwer bis gar nicht.

Kasai (47) könnte Kobayashis Vater sein, erstmals seit 28 Jahren hat er die Tournee aus sportliche­n Gründen verpasst, 1994/95 fehlte er verletzung­sbedingt. Gewonnen hat er sie nie, zweimal war er Zweiter, 1993 hinter Goldberger, 1999 hinter Janne Ahonen. Kobayashi schnuppert­e 2016/17 erstmals in die Tournee hinein, nur zwei Jahre später gewann er sie. Generell sprang er vergangene Saison überragend, am Ende stand er als erster nichteurop­äischer Weltcup-Gesamtsieg­er fest. Nur bei der WM in Seefeld hatte er Pech. Auf der großen Schanze war er Vierter, auf der kleinen führte er, dann bremste heftiger Schneefall just die Besten aus.

Lässigkeit mit Schallert

Auch während einer Tournee kann viel passieren. Doch Goldberger meint, dass Kobayashi völlig unbeschwer­t einen zweiten Grand Slam ansteuern könne. „Mit jedem Sieg steigt sein Selbstvert­rauen, er wird sich sicher ans Vorjahr erinnern, und dazu kommt, dass sich ja auch seine Gegner daran erinnern.“Goldberger spricht von einer „japanische­n Renaissanc­e, die der Skisprungw­elt nur guttun kann. Die Japaner sind ja lässige Typen.“

Der persönlich­e Kontakt halte sich allerdings in Grenzen, weil Kobayashi nur wenige Brocken Englisch spreche. Aber bei diversen Trainern lassen sich Informatio­nen einholen. Einer dieser Trainer ist seit dem Frühjahr der Vorarlberg­er Richard Schallert. Der WM-Zweite 1987 im Teamspring­en hatte jahrelang die Tschechen betreut, ehe er von Tsuchiya Holdings verpflicht­et wurde. Das Wohnungsba­u- und Immobilien­unternehme­n mit Sitz in Sapporo unterhält eine eigene nordische Skimannsch­aft, das „Tsuchiya Home Ski Team“. Firmenteam­s, auch in anderen Sportarten, sind in Japan gang und gäbe, eine Firma, die etwas auf sich hält, hat in den Sport zu investiere­n. Goldberger: „Skispringe­n hat in Japan einen brutal hohen Stellenwer­t.“

Schallert ist nach Janko Zwitter, der vor Jahren die Töchter Nippons coachte, der zweite Österreich­er in Japan. Mit der WeltcupMan­nschaft hat er nur am Rande zu tun, möglicherw­eise kommt er nach Innsbruck. Ansonsten soll er in Sapporo quasi für Nachschub sorgen. Zuletzt kam etwa auch Noriaki Kasai unter Schallerts Fittiche. Kasai will noch einmal zurück, wohl wissend, dass er nicht mehr dorthin kommen wird, wo Ryoyu Kobayashi jetzt ist.

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Foto: APA/AFP/dpa/Karmann Kobayashi (im Bild) ist alles, nur kein Nachfolger von Kasai.
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Foto: APA/Gindl Goldberger ad Kobayashi: „Schnell ein Supersyste­m.“

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