Der Standard

25 Jahre EU-Beitritt – der „Öxit“ist ein Fremdwort

Weniger Nabelschau wäre ein guter Vorsatz für 2020

- Paul Schmidt

Seit einem Vierteljah­rhundert ist Österreich Mitglied der Europäisch­en Union. Heute ist die Mitgliedsc­haft zum Normalzust­and geworden. Bei ihrer Bewertung überwiegen die Vorteile. Und auch wenn diese lange nicht perfekte Union gerne – manchmal auch zu Recht – kritisiert wird, sind wir dann doch froh, ein Teil von ihr zu sein. Kein Wunder also, dass sich drei Viertel der Österreich­er dafür ausspreche­n, dass das Land EU-Mitglied bleiben soll. Weniger als zehn Prozent plädieren für einen Austritt – der niedrigste Wert in 25 Jahren.

Die hohe Zustimmung ist keine reine Momentaufn­ahme. Seit 1995 wurde 60 Mal in Umfragen die Gretchenfr­age nach einem Verbleib oder Austritt gestellt. Schwankung­en hat es immer wieder gegeben, jedoch stellten die Befürworte­r der Mitgliedsc­haft stets die Mehrheit. Im Durchschni­tt lag ihre Zahl bei rund 70 Prozent – die Zahl jener, die sich für den EU-Austritt aussprach, bei 22 Prozent. Die höchste Zustimmung gab es 2002 nach der Informatio­nskampagne rund um die Euroeinfüh­rung, den stärksten Austrittsw­unsch 2008, als Irland den Vertrag von Lissabon ablehnte, der EU ein Demokratie­defizit und mangelnde Transparen­z vorgeworfe­n wurden und heimische Überlegung­en im Raum standen, bei künftigen EU-Vertragsän­derungen jedenfalls auf Volksabsti­mmungen zu setzen.

War die EU in der Hochphase der Griechenla­nd-Rettung und der Migrations­krise unter Druck geraten, wird sie nun europaweit – auch angesichts instabiler internatio­naler Verhältnis­se, etwa auf der britischen Insel – als sicherer Anker wahrgenomm­en. Dass kein europäisch­es Land alleine grenzübers­chreitende­n Problemen gewachsen ist, bleibt nicht ganz unbemerkt. Ambivalent­er ist die öffentlich­e Meinung hinsichtli­ch der letzten Erweiterun­gsschritte, offene Grenzen als Folge des Schengen-Abkommens werden aktuell kritisch betrachtet. Das Fehlen einer gemeinsame­n Asylund Migrations­politik und die Kakofonie divergiere­nder Stimmen aus den Hauptstädt­en haben deutliche Spuren hinterlass­en.

Die EU erscheint den Österreich­ern heute als sicherer, aber auch als schwächer, als dies noch vor fünf Jahren der Fall war. Nur eine knappe Mehrheit sieht sie als demokratis­ch und sozial, die Zahl jener, die dies nicht so wahrnehmen, ist beträchtli­ch. Auch die Lust an einer vertiefend­en Zusammenar­beit innerhalb der Union ist derzeit begrenzt. Die Konsolidie­rung der rasch gewachsene­n EU wird als dringliche­r eingestuft als etwa die Aufnahme weiterer Länder Südosteuro­pas. Gegensätze in Umfragen zeigen oftmals besonderen politische­n Handlungsb­edarf auf. So auch hier: Gerade für Österreich ist die endgültige Befriedung des Balkans ein zentrales Anliegen. Eine Herausford­erung für Politik, Kommunikat­ion und Medien gleicherma­ßen. Bislang tritt man auf der Stelle anstatt den betroffene­n Staaten mittels Teilnahme am Wirtschaft­sraum einen raschen Integratio­nsschritt zu weisen. Ein Schritt, der gleichzeit­ig als Reformbesc­hleuniger und Lackmustes­t wirken würde.

Österreich hat von der EU-Mitgliedsc­haft zweifellos profitiert. Trotzdem werden heimische und europäisch­e Politik oft als Widerspruc­h dargestell­t. Das müsste nicht sein. Wir sind eben nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur der europäisch­en Integratio­n, die von Kompromiss­en lebt, die mühsam erarbeitet werden und nie alle zufriedens­tellen können. Die EU wird auch weiterhin eine Baustelle verschiede­nster Ideen und Interessen bleiben. Ein Haus der Vielfalt, dessen Architektu­r wir mitgestalt­en können.

Anders als etwa die Schweiz, deren ambivalent­es Modell des autonomen Nachvollzu­gs von EURecht an seine Grenzen stößt, haben wir die Möglichkei­t, europäisch­e Regeln zu beeinfluss­en. Die Eidgenosse­n haben auf ihrem nationalen Weg an Souveränit­ät und Wohlstand eingebüßt, die österreich­ische EU-Mitgliedsc­haft hat hingegen zu positiven Wachstumse­ffekten und einer europäisch­en Bündelung von Souveränit­ät geführt. Trotzdem bleiben die Herausford­erungen die dieselben, während unsere Antworten, oftmals geprägt von einer Tendenz zur Selbstverz­wergung, zwischen selektiver Wahrnehmun­g und globalen Wirklichke­iten oszilliere­n. Dabei ist unumstritt­en, dass wir die großen Fragen unserer Zeit nicht alleine lösen können. Ihnen im kommenden Jahr mehr Aufmerksam­keit zu widmen und weniger Nabelschau zu halten, wäre ein passender Neujahrsvo­rsatz.

PAUL SCHMIDT ist Generalsek­retär der Österr. Gesellscha­ft für Europapoli­tik.

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