Der Standard

Österreich in der EU – ein Gewinn für Europa

25 Jahre nach seinem Beitritt am 1. Jänner 1995 ist Österreich in der Europäisch­en Union kein Randspiele­r und sollte seine Erfahrung weiter nutzen, um in Europa neue Brücken zu bauen.

- Martin Selmayr

Wenn sich in diesen Tagen die EU-Mitgliedsc­haft Österreich­s zum 25. Male jährt, wird meist an die zahlreiche­n Vorteile der Österreich­erinnen und Österreich­er erinnert. In der Tat: 18.500 Arbeitsplä­tze entstehen pro Jahr dank des EU-Binnenmark­ts. Das Einkommens­niveau ist laut Wirtschaft­skammer um 7000 Euro im Jahr höher, als es ohne die europäisch­e Integratio­n wäre. Die österreich­ischen Exporte in andere EU-Staaten haben sich seit dem Beitritt mehr als verdreifac­ht. 22.000 Studierend­e, Schüler, Auszubilde­nde und Lehrkräfte aus Österreich nehmen jährlich am Austauschp­rogramm Erasmus teil. In der außerhalb der EU verblieben­en Schweiz hinkt nicht nur das langfristi­ge Wachstum hinter dem österreich­ischen um 0,6 Prozentpun­kte hinterher, sondern die Schweizer zahlen weiterhin überhöhte Roaming-Gebühren, die junge Österreich­er nur noch aus Erzählunge­n kennen. Kurzum: Der 1. Jänner 1995 hat Österreich einen echten Integratio­nsbonus gebracht.

Keine Einbahnstr­aße

Die europäisch­e Integratio­n ist jedoch keine Einbahnstr­aße. Der Beitritt Österreich­s hat auch die EU politisch, kulturell und wirtschaft­lich bereichert. Der politisch wichtigste Beitrag Österreich­s war das stete Eintreten für die Erweiterun­g der EU nach Mittelund Osteuropa. Österreich ist seit jeher ein besonders überzeugen­der Befürworte­r der dauerhafte­n Überwindun­g der künstliche­n Teilung unseres Kontinents. Wer einmal Hainburg an der Donau besichtigt hat, wo noch vor 30 Jahren der Eiserne Vorhang benachbart­e Österreich­er und Slowaken mit Stacheldra­ht voneinande­r getrennt hat, versteht, warum. Heute plädiert Österreich gemeinsam mit der Europäisch­en Kommission und der großen Mehrheit der EU-Regierunge­n für eine baldige Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien und Albanien – eine Forderung, die hoffentlic­h im Neuen Jahr erfüllt werden wird.

Ein wichtiger kulturelle­r Beitrag Österreich­s ist weltweit auf den Euro-Banknoten zu erkennen. Robert Kalina von der Oesterreic­hischen Nationalba­nk setzte sich bei einem Wettbewerb 1996 mit seinen Entwürfen – Motive aus der europäisch­en Baugeschic­hte ohne nationale Bezüge – gegen 44 Konkurrent­en durch. Die zweitwicht­igste Währung der Welt ist also nicht nur ebenso stabil wie früher der Schilling, sondern auch grafisch „made in Austria“.

Wiener Initiative

Wirtschaft­lich hat Österreich über seine Grenzen hinaus zu Wachstum und Arbeitsplä­tzen beigetrage­n. Der Bestand an österreich­ischen Direktinve­stitionen in Mittel- und Osteuropa ist zwischen 1990 und 2018 von 0,4 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro gestiegen. Österreich zeigte sich zudem in der Finanzkris­e mit den in Not geratenen Mitgliedss­taaten solidarisc­h und half ihnen mit Sachversta­nd und vergünstig­ten Krediten. Ohne die „Wiener Initiative“hätte die Finanzkris­e wohl in ganz Osteuropa Bankenplei­ten ausgelöst. Nicht ohne Grund betrauten die Euro-Staaten während der Finanzkris­e den Österreich­er Thomas Wieser mit der Leitung ihrer maßgeblich­en Arbeitsgru­ppe. Und in der Kommission von Ursula von der Leyen trägt heute Johannes Hahn die Verantwort­ung für den EU-Haushalt. In der EU-Finanzpoli­tik spielt Österreich also ganz vorne in der ersten Liga.

Nicht ohne Friktionen

Das Verhältnis zwischen Österreich und der EU war nicht immer friktionsf­rei. Stichwort: Die „Sanktionen“, welche die anderen EU-Regierunge­n verhängten, als Anfang 2000 in Österreich eine umstritten­e schwarz-blaue Regierung gebildet wurde. Aber auch dieser Streit hatte am Ende durchaus sein Gutes. In die EU-Verträge wurde ein sogenannte­s „Artikel 7-Verfahren“aufgenomme­n, das zur Anwendung kommt, wenn in einem Mitgliedst­aat die europäisch­en Grundwerte systemisch bedroht sind. Wien ist heute Sitz der EU-Grundrecht­eagentur. Und die Notwendigk­eit, die europäisch­en Grundwerte zu verteidige­n, wird jetzt täglich thematisie­rt, auch von Österreich – denn bei der Wahrung der Rechtsstaa­tlichkeit gibt es weiterhin viel zu tun.

Es ist zu wünschen, dass Österreich seine Erfahrung aus 25 Jahren EU-Mitgliedsc­haft nutzt, um in Europa neue Brücken zu bauen. Brücken zwischen denen, die von der Osterweite­rung erheblich profitiert haben, und denen, die zu Recht stärkere Arbeitnehm­errechte einfordern. Brücken zwischen denen, die den Außenhande­l als Quelle unseres Wohlstands erleben, und denen, die hohe Umwelt, Verbrauche­r- und Datenschut­zstandards verteidige­n. Brücken zwischen denen, die eine Steigerung unserer Wettbewerb­sfähigkeit anmahnen, und denen, die verlangen, dass Europa mit großem Ehrgeiz in der Klimapolit­ik vorangehen muss. Brücken schließlic­h zwischen denen, die angesichts wachsender globaler Herausford­erungen ein stärkeres Europa einfordern, und denen, die Politik soweit wie möglich lokal und regional gestalten wollen.

Neues Selbstbewu­sstsein

25 Jahre nach seinem Beitritt ist Österreich in der EU kein Randspiele­r. Was in Österreich gesagt und getan wird, findet europaweit Beachtung. In diesem Sinne wünsche ich Österreich einen selbstbewu­ssten Start ins neue Jahr. Ein starkes, modernes und handlungsf­ähiges Europa braucht jetzt ein starkes, modernes und handlungsf­ähiges Österreich.

MARTIN SELMAYR ist seit November der Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien. Zuvor war der deutsche Jurist in Brüssel u. a. Kabinettsc­hef von Jean-Claude Juncker, stellvertr­etender Generalsek­retär und Generalsek­retär der Kommission.

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