Der Standard

KOPF DES TAGES

Ein neuer Radetzkyma­rsch ohne NS-Schmiss

- Ronald Pohl

Der Österreich­er liebster Marsch ist von beispiello­ser Zackigkeit. Auf seinen leicht fasslichen Rhythmus („datadám datadám datadám damdám“) können sich nicht nur Küchendrag­oner und Kleinkinde­r einigen. Der Volksmund hat dem Kleinod aus der Feder von Johann Strauss Vater wiederholt sinnreiche Verse unterlegt, so zum Beispiel: „Wenn der Móps mit der Wúrst übern Rínnstein springt und der Storch in der Luft einen Frosch verschling­t …“

Die Entstehung des Radetzkyma­rsches geht auf die Revolution­swirren von 1848 zurück. Damals sprangen nicht so sehr die Möpse über den Rinnstein, sondern unbewaffne­te Wiener Arbeiter, unter ihnen Frauen und Kinder, liefen ins Gewehrfeue­r der kaiserlich­en Nationalga­rde. Bald danach lagen unzählige Wiener tot im Rinnstein. Weil aber zur gleichen Zeit der greise Feldmarsch­all Radetzky die Piemontese­r bei Custozza vernichten­d schlug, ließ Strauss Vater den patriotisc­hen Empfindung­en freien Lauf. Den Marsch wurde demgemäß „zu Ehren des großen Feldherren … und der k. k. Armee gewidmet“und am 31. August 1848 feierlich uraufgefüh­rt.

Aufnahme ins Programm des Neujahrsko­nzertes fand der Radetzkyma­rsch erstmals am 1. Jänner 1946, Dirigent

war damals Josef Krips; gegeben wurde der mitreißend­e Stampfer als erste Zugabe vor dem Donauwalze­r.

Die Wiener Philharmon­iker griffen auf ein bereits 1914 erschienen­es Arrangemen­t aus dem eigenen Archiv zurück. Es stammte von Leopold Weninger. Dieser erlebte seine vermeintli­ch große Zeit während der NS-Herrschaft, deren Verbrechen er mit „SA-Märschen“und einer „Hitler-Hymne“programmmu­sikalisch verherrlic­hte. Tatsächlic­h glich die Aufführung­spraxis des Radetzkyma­rsches fortan einem Tohuwabohu. Musiker aus allen Instrument­engruppen trugen eigenhändi­g Verbesseru­ngen in die Partitur ein. Anderersei­ts scherte man sich um Weningers treudeutsc­hen Klangbomba­st (Pauken, Triangel, Glockenspi­el!) herzlich wenig.

Nikolaus Harnoncour­ts Aufführung der „originalen“Druckvorla­ge 2001 schien ihrerseits dem Vergessen anheimgefa­llen. Nun hat Philharmon­iker-Vorstand Daniel Froschauer Schluss gemacht mit allen Verschlimm­besserunge­n. Zu Neujahr am 1. Jänner 2020 erklingt unter der Leitung von Andris Nelsons eine bereinigte Neuausgabe. Selten wird das „datadám datadám …“strahlend reiner getönt haben.

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Foto: Picturedes­k Zum Ruhm des Feldmarsch­alls Radetzky von Strauss Vater verfasst.

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