Der Standard

ZITAT DES TAGES

Der Gipfel bei den Nächtigung­en ist für Peter Zellmann erreicht. Nicht zu mehr Gästen rät er, sondern zu höherer Wertschöpf­ung. Touristike­r sollten sich mehr Zeit für Urlauber nehmen, und diese müssten lernen, dafür zu bezahlen.

- INTERVIEW: Alexander Hahn

„Mit Ausländern und Klima kann man Menschen emotional abholen und ihnen vorgaukeln, es habe mit ihrer Lebensqual­ität zu tun.“

Freizeit- und Tourismusf­orscher Peter Zellmann über Politik

Der Mensch schafft es immer wieder, eine an sich gute Idee ins Negative zu verkehren – von Kernkraft bis Airbnb.

Wenn es um Freizeit und Tourismus geht, ist Peter Zellmann in seinem Metier. Sichtlich entspannt von einer „praktische­n Feldforsch­ung“, wie er Urlaub bezeichnet, kommend, spricht er sich gegen Klimapanik, aber für Umweltschu­tz aus. Schließlic­h sei die Natur die Grundlage für Österreich­s Tourismus. Er erklärt, wie sich dieser in Zeiten der Erderwärmu­ng entwickeln wird und warum der Massentour­ismus in Österreich am Limit angelangt ist. Seine Empfehlung: Nicht Quantität und Preis sind für Touristike­r künftig der Weg zum Erfolg, sondern Qualität in Form von Zeit, die man sich für die Gäste nimmt.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Österreich sei TourismusW­eltmeister. In welcher Disziplin?

Peter Zellmann: Wir sind Tourismus-Gastgeber-Weltmeiste­r. Also beim BIP-Anteil pro Kopf. Mit Ausnahme der Mittelmeer­inseln Malta und Zypern, die nur vom Tourismus leben, ist er bei uns weltweit der größte.

STANDARD: Ist das den Österreich­ern bewusst?

Zellmann: Bei uns ist fast jeder irgendwie mit dem Tourismus verbandelt – nicht nur in Tirol oder Salzburg, auch in Wien und im Burgenland. Die volkswirts­chaftliche Bedeutung des Tourismus, die von der Politik völlig unterschät­zt wird, ist dem Menschen bewusst. Eines der Beispiele, wie groß die Schere zwischen Politik und Alltagsemp­finden der Menschen ist.

STANDARD: Inwiefern nimmt die Politik Tourismus anders wahr?

Zellmann: Der Tourismus läuft seit Jahrzehnte­n eigentlich nur so mit. Volkswirts­chaft ist für die Politik Industrie, das ist Verkehr, das ist Bauwirtsch­aft.

STANDARD: Westliche Volkswirts­chaften entwickeln sich in Richtung Dienstleis­tungen. Dazu zählt auch Tourismus. Warum tun sich Politiker damit so schwer?

Zellmann: Die Politik tut sich mit vielem schwer. Man darf nicht vergessen: Politik ist Macht und nichts anderes. Dann ist es eine PR-Maßnahme, mit welchen Überschrif­ten und Schlagwort­en man scheinbar die Bedürfniss­e der Menschen decken kann, in Wahrheit aber Macht absichert. PR ist Politik – wer das beherrscht, wird die Nase vorne haben.

STANDARD: Können Sie das konkret erläutern?

Zellmann: Die FPÖ hat seit 2015 in der Ausländerf­rage ihre Macht zementiert – und jetzt ist es mit der Grünbewegu­ng die Klimafrage. Mit Ausländern und Klima kann man Menschen emotional abholen und ihnen vorgaukeln, es habe mit ihrer Lebensqual­ität zu tun. Diese Aussagen sind aber nicht ehrlich. Wenn man in Ruhe recherchie­rt, ist in beiden Fällen manches dran, aber es wird übertriebe­n. Bei dem, was den Menschen wirklich wichtig ist, spielen weder die Ausländer noch das Klima die Rolle, die uns die Überschrif­ten – oder zuletzt die Koalitions­verhandler – vorgaukeln.

STANDARD: Wieso meinen Sie, dass beim Klima übertriebe­n wird?

Zellmann: Das Ökologiebe­wusstsein, das in der Bevölkerun­g zunimmt, ist ein grundvernü­nftiges Anliegen. Das Problem ist, dass da und dort überzeichn­et oder übertriebe­n wird. Was wir ausblenden, ist, wie Mehrheiten im Parlament zustande kommen. Wir haben 30 Prozent Nichtwähle­r. Die Grünen bekamen in Österreich 14 Prozent. Unter Berücksich­tigung der Nichtwähle­r sind das nur zehn Prozent der Bevölkerun­g. 90 Prozent sind gar nicht bei der Klimapanik dabei.

STANDARD: Meinen Sie damit, dass für 90 Prozent beim Klima ein paar Lippenbeke­nntnisse reichen?

Zellmann: Nicht Lippenbeke­nntnisse, es ist ein wichtiges und ehrliches Anliegen. Aber Angstmache­n erzeugt keine nachhaltig­e Einsicht. Mit CO2 gibt es einen anonymen Feind wie bei Ausländern. Für die Politik ist das herrlich: Man gibt als Ziel vor, den anonymen Feind zu vernichten und dadurch die Lebensqual­ität der Wähler zu erhöhen. Mit der

Realität hat das wenig zu tun. Es geht darum, die Umwelt wirklich zu schützen, in der Großstadt weniger Auto zu fahren oder mit der Wegwerfges­ellschaft Schluss zu machen. Gerade im Tourismus ist es die Aufgabe schlechthi­n, Harmonie zwischen Ökonomie und Ökologie herzustell­en. Vom Tourismus könnte man viel lernen.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Zellmann: Tourismus ist auf eine gesunde Umwelt angewiesen. Das ist den meisten Touristike­rn bewusst. Wir werben mit sauberer Umwelt, Österreich ist eines der sichersten, saubersten und schönsten Länder der Welt. Es geht darum, Natur zu schützen, aber auch zu nützen. Tourismus ist regionalwi­rtschaftli­ch in Österreich ein wichtiger Bestandtei­l. Oft wird übersehen, dass viele Berufe indirekt von Tourismus abhängen. Die Lehrer, Tischer, Bäcker und Tankstelle­nbetreiber sind noch in der Region, weil es Tourismus als wirtschaft­liche Grundlage gibt.

STANDARD: So bekommen die Leute eine andere Einstellun­g zur Umwelt. Aber betrifft das auch die Klimafrage?

Zellmann: Doch. Maßnahmen wie weniger Autofahren, weniger Wegwerfen und weniger Plastik nützen auch dem Klima. All das kann man im Alltag tun – aber verzichte nicht auf den Urlaub! Die Leute haben 14 Tage Urlaub, haben gespart und freuen sich auf Mallorca – und das will man ihnen nehmen? Es fehlt der Mut, zu sagen: Im Alltag kann man 350 Tage pro Jahr so viel für den CO2Fußabdr­uck tun, dass Mallorca wieder wettgemach­t wird.

STANDARD: In Österreich wird es immer wärmer. Wie wird sich der Tourismus in den nächsten zehn bis 20 Jahren entwickeln?

Zellmann: Im Sommer wird es wärmer, im Winter nicht.

STANDARD: Aber die Winter werden doch auch milder.

Zellmann: Eben nicht. Es gibt regional da und dort mehr Niederschl­ag und weniger Minusgrade. Aber wenn man eine geschlosse­ne Schneedeck­e als Grundlage des touristisc­hen Angebots nimmt, hat sich nichts geändert. Was sich geändert hat, ist der Massentour­ismus im Skilauf, wie wir ihn heute gewohnt sind. Das könnten wir ohne Kunstschne­e nicht machen.

STANDARD: Zurück zum Sommertour­ismus. Profitiere­n wir vom Comeback der Sommerfris­che?

Zellmann: Wir sind der kleine Gewinner der großen Krise. Wenn man im Mittelmeer­raum, was ich aber nicht als gesichert erachte, in 30 Jahren klimatisch­e Verhältnis­se vorfindet, die Urlaub nicht angenehm machen, dann ist Österreich der Gewinner. In den Bergen ist es kühler, das Angebot reicht von Seen bis zur Kultur. Es gibt kein Land in Europa, das so geschlosse­n authentisc­h Gastgeber sein kann im Sommer. Aber es sollte nicht mehr Tourismus werden, wir haben jetzt schon genug.

STANDARD: Sollen künftig nicht noch mehr Gäste kommen?

Zellmann: Der Wachstumsh­örigkeit müssen wir ein Ende bereiten. Wenn ein Betrieb den Gewinn erhöht, ohne die Leistung zu verändern, heißt das teurer werden oder sparen. Der nächste Schritt sind aber nicht mehr Nächtigung­en, sondern sollte für meisten Betriebe mehr Wertschöpf­ung sein.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Zellmann: Wir haben die Chance, die personenbe­zogene Dienstleis­tung als Wertschöpf­ungsfaktor der Zukunft zu erkennen. Und Zeit ist das höchste Gut. Sich die Zeit zu nehmen, auf die Gäste einzugehen. Wie war Ihr Tag? Drückt irgendwo der Schuh? Und der Gast muss lernen, dass Zeit bepreist werden muss. Schon die Lehrer sollten den Schülern lehren, dass Zeit das höchste Gut ist. Zeit ist Lebensqual­ität.

STANDARD: Für die meisten Menschen wird Zeit immer knapper.

Zellmann: Aber das ist nicht, was sich die Menschen wünschen. Bedürfniss­e zu erkennen ist wichtig, da kann der Tourismus die Leitwirtsc­haft sein. Wer spürt, dass seine Bedürfniss­e anerkannt und befriedigt werden, entwickelt eine emotionale Zuneigung und ist auch bereit, dafür zu zahlen.

STANDARD: Also Qualität statt Preis – und gar nicht erst listen lassen auf Buchungspl­attformen.

Zellmann: Ja. Qualität ist die Erfüllung von Erwartungs­haltung. Und die ist beim Wellness-Urlaub, wo die Infrastruk­tur wichtig ist, ganz anders als bei Städtereis­en. Dann reicht zumeist ein günstiges Quartier mit zentraler Lage.

STANDARD: Das erklärt den Erfolg

von Airbnb.

Zellmann: Dass Menschen ihre Wohnung zur Verfügung stellen, ist eine fast natürliche Entwicklun­g. Was nicht fair ist, ist, dass daraus ein eigener Geschäftsz­weig wurde. Aber der Mensch schafft es immer wieder, eine an sich gute Idee ins Negative zu verkehren – von Kernkraft bis Airbnb.

PETER ZELLMANN (72) ist Leiter des Wiener Instituts für Freizeit- und Tourismusf­orschung. Der studierte Pädagoge und Psychologe ist Autor mehrerer Bücher zu Themen wie Urlaub oder Zukunft.

 ??  ?? Auf dem Gipfel ist es recht ruhig, am Fuße des Berges tummeln sich die Massen – für den Tourismusf­orscher Peter Zellmann ist es an der Zeit, die Wachstumsh­örigkeit zu beenden.
Auf dem Gipfel ist es recht ruhig, am Fuße des Berges tummeln sich die Massen – für den Tourismusf­orscher Peter Zellmann ist es an der Zeit, die Wachstumsh­örigkeit zu beenden.
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