Der Standard

Mehr Mobilität und bedrohte Demokratie­n

-

Bis 2030 werden 700 Millionen Menschen mehr auf der Erde leben, am Ende des kommenden Jahrzehnts werden wir damit rund 8,5 Milliarden Erdbewohne­r sein. Dank eines klügeren und nachhaltig­eren Umgangs, vor allem mit nachwachse­nden Ressourcen und erneuerbar­en Energien, geht es sich aber immer noch leicht aus, dass alle ausreichen­d versorgt sind – so die schöne Theorie. In der Realität werden Menschen die Ressourcen, die zufällig innerhalb fiktiver Grenzen liegen, weiterhin nur gegen eine Gegenleist­ung „teilen“. Da aber auch der seit Jahrhunder­ten anhaltende Trend in Richtung weniger Blutvergie­ßen anhält, werden diese Konflikte zusehends mit Verhandlun­gsgeschick anstelle von unbemannte­n Killerdroh­nen gelöst.

Während die menschlich­e Fähigkeit zur Mobilität immer weiter steigt, wird auf politische­r Ebene nach wie vor versucht, diese einzuschrä­nken beziehungs­weise zu reglementi­eren. Neben dem obligatori­schen Abtritt sämtlicher Persönlich­keitsrecht­e beim Grenzüberg­ang gilt auch 2030 noch die Devise: Reisefreih­eit gilt eher für Waren als für Menschen. Dabei werden immer mehr Menschen zu einem Wechsel des Aufenthalt­sorts gezwungen sein. Manche, weil der voranschre­itende Klimawande­l bestimmte Regionen unbewohnba­r macht, viel mehr aber noch, weil die Veränderun­gen in der Natur ihnen die wirtschaft­liche Lebensgrun­dlage entziehen. Und eine privilegie­rte Elite wird migrieren, weil sie in hochtechno­logisierte­n Berufen fernab der Heimat arbeitet.

Die immer mobiler werdende Gesellscha­ft wird auch die Debatte um die demokratis­che Partizipat­ion weiter befeuern. In allen Szenarien über die zukünftige Entwicklun­g der Migrations­ströme müssen sich die Aufnahmelä­nder mit Wahlrechts– und Staatsbürg­errechten befassen. Eine der großen Fragen des nächsten Jahrzehnts wird es sein, wie man alle Menschen, auch jene die sich vielleicht nur vorübergeh­end in einem Staatsgebi­et aufhalten, an politische­n Prozessen beteiligt.

Nicht nur Migration, auch Populismus wird weiter eine Herausford­erung für Demokratie­n bleiben. Zunehmend diverse Gesellscha­ften stehen konservati­v-nationalis­tischen Tendenzen gegenüber. Und dann wäre da noch die Meinungsbi­ldung, die in den vergangene­n Jahren – zusätzlich zu politische­n Akteuren und Massenmedi­en – um das Phänomen der sozialen Netzwerke erweitert wurde. In den kommenden zehn Jahren wird uns die Frage umtreiben, wie viel Raum wir Algorithme­n in politische­n Entscheidu­ngsprozess­en überlassen. (os, faso)

Newspapers in German

Newspapers from Austria