Umstrittene Pauschale
Ob das 1-2-3-Ticket die erhoffte Wunderwaffe für den Umstieg vom Auto auf Öffis wird, hängt von der Ausgestaltung ab. Im Wiener Speckgürtel wäre es kaum ein Vorteil und für den Bund finanziell wohl ein Fass ohne Boden.
Die Pendlerpauschale gilt laut Experten als klimaschädliche Subvention par excellence. Die neue türkis-grüne Regierung stellt sich eine Ökologisierung der Pauschale vor. Wie das vonstattengehen soll, weiß sie selbst nicht.
Die als Wunderwaffe gefeierte 1-2-3-Öffi-Jahreskarte im türkis-grünen Koalitionspapier könnte sich bald als Schnellschuss herausstellen. Denn die Umsetzung eines Jahrestickets für alle öffentlichen Verkehrsmittel um 365 Euro pro Bundesland und 730 Euro für zwei Bundesländer (die neue Österreichcard käme nach diesem Schlüssel auf 1095 Euro, also drei Euro pro Tag) könnte für den Bund finanziell zu einem Fass ohne Boden werden.
Denn das 1-2-3-Ticket wäre damit deutlich billiger als die vergleichbare Fahrkarte in der Schweiz, wo das SBB-Generalabo umgerechnet 3466 Euro kostet und damit deutlich teurer ist als die ÖBB-Österreichcard um 1964 Euro (entspricht 5,40 Euro pro Tag). Mit gutem Grund, denn im SBB-Generalabo sind sämtliche Öffis – vom Zug über den Bus bis zum Schiff – inkludiert, in Österreich sind es hingegen nur ÖBBZüge zweiter Klasse.
Da die Verkehrsträger von der ÖBB abwärts im staatlich finanzierten Nah- und Regionalverkehr verständlicherweise auf Erhaltung ihrer Einnahmen pochen, könnte sich die in Aussicht gestellte Billig-Österreichcard als budgetäre Herkulesaufgabe erweisen. Der Bund müsste die jeweiligen Einnahmenausfälle ersetzen. Das wären allein bei der ÖBB knapp 900 Euro Stütze pro Jahreskarte – die anderen Verkehrsträger wie diverse städtische Verkehrsbetriebe, Landesbahnen und Mikro-Öffis wie Anfrufsammeltaxis nicht eingerechnet.
Von den zwei Milliarden Euro an Nah- und Regionalverkehrsförderung, die im Regierungsprogramm angekündigt wurden, bliebe dann für den angestrebten Stundentakt in Ballungsräumen und Kleinstädten an sieben Tage die Woche wohl nicht viel übrig.
Knackpunkt Finanzierung
Womit die in den Kapiteln Verkehr sowie Wirtschaft und Finanzen des Koalitionspaktes angekündigte Neuaufstellung der Finanzierung des Öffentlichen Personennahund Regionalverkehrs (ÖPNRV) in Österreich zusätzliche Brisanz bekommt. Es sollen, wie berichtet, nicht weniger als die Finanzierungsregelungen von Finanzausgleich, Familienlastenausgleichsfonds und ÖPNRV-Gesetz geändert und zu einer zweckgebundenen Zuweisung an die Bundesländer weiterentwickelt werden. Diese Harmonisierung ist das Kernstück für eine Neuaufstellung des Öffi-Verkehrs. Widerstand von Ländern und Gemeinden ist garantiert.
Hinzu kommt, dass Jahres-, Monats- und Wochenkarten vom und in den sogenannten Wiener Speckgürtel (etwa nach Perchtoldsdorf, Purkersdorf, Vösendorf) nach der Logik des neuen 1-2-3Tickets teurer würden. Von Perchtoldsdorf nach Wien würde es 730 Euro kosten, das Verkehrsverbund-Ticket inklusive Kernzone Wien beläuft sich aber nur auf 620 Euro. Um die neue Öffi-Karte genau an der Grenze zwischen Wien und Niederösterreich zu einem Renner zu machen, braucht es daher nicht nur bessere Bus- und Schnellbahnangebote, sondern tarifliche Sonderregelungen für die niederösterreichischen Anwohnerbezirke an der Wiener Stadtgrenze. Das räumt man bei den Grünen informell auch bereits ein.
Es gibt freilich weitere Gründe, warum der 365-Euro-Schnellschuss als voreilig abgefeuert gelten könnte. Denn in Niederösterreich gibt es, wie in Wien, längst 365-Euro-Netzkarten: Die erste Preisstufe in der Tarifgemeinschaft des Verkehrsverbunds Ostregion, der mit Abstand bevölkerungsreichsten Region Österreichs, kostet 365 Euro und umfasst jeweils ein Gemeindegebiet.
Ob der Pendler mehr braucht, ist fraglich. Denn laut Pendlerstatistik pendelten 2017 von rund 800.000 Erwerbstätigen in Niederösterreich nur 230.000, also ein Viertel, in ein anderes Bundesland aus, der Großteil nach Wien. Der überwiegende Rest fährt in die Nachbargemeinde zur Arbeit oder in einen anderen Bezirk. Im Burgenland ist es umgekehrt, da arbeitet die Hälfte der 136.950 Erwerbstätigen nicht im eigenen Bundesland.
Parkpickerl als Turbo
Ausgeblendet wird insbesondere in Bundesländern, in denen der Ruf nach Landesnetzkarten nach Vorbild des Wiener 365Euro-Tickets laut ist, häufig das wichtigste Erfolgskriterium: die Parkraumbewirtschaftung. Die Einführung der Parkpickerln in Außenbezirken war für das 365Euro-Ticket der Turbo schlechthin. Tausende Einpendler aus Niederösterreich konnten ihre Autos plötzlich nicht mehr kostenlos nahe einer U- oder S-BahnStation abstellen und mit dem Zug ins Büro fahren. Sie mussten entweder gleich in der Nähe ihres Wohnortes in die Bahn umsteigen oder eine Park-and-ride-Anlage aufsuchen, um von dort in die Stadt zu fahren. Das brachte den Wiener Schnellverbindungen den entscheidenden Schub.