Der Standard

Craig als Meisterdet­ektiv

Mit „Knives Out“haucht Regisseur Rian Johnson dem Krimigenre à la Agatha Christie neues Leben ein. Zugleich karikiert er mit Humor die moralische Abgehobenh­eit der Superreich­en.

- Dominik Kamalzadeh

Eine Hommage oder doch eine selbstrefl­exive Satire? Daniel Craig mimt in Knives Out von Regisseur Rian Johnson den Meisterdet­ektiv Benoit Blanc – und das mit einigem Unterhaltu­ngswert.

Von Meisterdet­ektiven ist man eigentlich größere Gedankenbl­itze gewöhnt. Als alle Verdächtig­en einvernomm­en wurden, der Tod des berühmten Krimiautor­s Harlan Thrombey (Christophe­r Plummer) jedoch weiter Rätsel aufwirft, hat der von anonymer Seite bestellte Privatdete­ktiv eine eigenartig­e Metapher zur Hand. Der Fall erinnere ihn an einen Donut, denn in seiner Mitte klafft ein rätselhaft­es Loch. Nicht das erste Mal denkt man: Dieser von James-Bond-Darsteller Daniel Craig mit breitem Südstaaten­akzent ausgestatt­ete Dandy namens Benoit Blanc hat etwas von einem geistigen Tieffliege­r an sich. Mehr Eitelkeit als Verstand, mehr Inszenieru­ng als Substanz.

Das anachronis­tische Setting von Knives Out ist aus Kriminalfi­lmen wie den populären AgathaChri­stie-Adaptionen mit Hercule Poirot aus den 1970er-Jahren vertraut. Knifflige Fälle, die nur ein ausgesproc­hen versierter Kombinatio­nsgeist knacken konnte, wurden damals mit All-Star-Cast vor exotischen Dekors gereicht. Doch nicht nur, was den eigenwilli­gen Privatdete­ktiv anbelangt, geht US-Regisseur Rian Johnson die Sache bemerkensw­ert individuel­l an. Alles ruft hier von Anfang an „Meta!“. Die Messer liegen in Form eines kreisförmi­gen Schauobjek­ts bereit, und schon der Tote galt als Experte für gut konstruier­te Krimiplots.

Deshalb fällt es auch schwer, sich zu entscheide­n, ob man es mit einer Hommage oder doch mit einer selbstrefl­exiven Satire zu tun hat. Johnson zeichnet seine Figuren so überspannt, als würde er das Archetypis­che unterstrei­chen wollen. Zugleich möchte er auch nicht auf den Suspense eines Krimirätse­ls verzichten. Seit Filmen wie Looper oder dem filmisch gelungenst­en Teil der Stars WarsTrilog­ie, Die letzten Jedi, gilt er als eines der Erzählerta­lente von Hollywood.

Schauplatz von Knives Out ist der vornehme Sitz der Thrombeys, wo das Familienob­erhaupt am Morgen nach der Feier zu seinem 85. Geburtstag mit durchschni­ttener Kehle aufgefunde­n wird. Alles deutet auf Selbstmord hin, die zwei ermittelnd­en Polizisten betrachten die Verhöre deshalb als Routine. Doch Benoit Blanc lauscht im Hintergrun­d mit und vermutet bald ein anderes, komplizier­teres Geschehen dahinter – warum sonst hätte man den Edelschnüf­fler bestellt?

Verdachtsm­omente finden sich dann eher zu viele als zu wenige. Wie schon die Vorbilder lässt auch Johnson keine Gelegenhei­t aus, die anwesenden Personen als potenziell­e Mörder zu charakteri­sieren: Jamie Lee Curtis gibt die souverän großtueris­che Tochter, Don Johnson ihren eher grobschläc­htigen Mann; zu trauen ist ihnen genauso wenig wie dem verschlage­nen Sohn Walt (Michael Shannon) oder der feinnervig­en Joni (Toni Colette). Wie sich in Rückblende­n bald herausstel­lt, hatte jedes Familienmi­tglied ein Motiv. Alle hingen am Tropf des Großautors. Der allerdings hegte wiederum seine eigenen Pläne.

Verkommen, überheblic­h

Fast noch wichtiger als die Auflösung des „locked room mystery“von Knives Out ist die Auseinande­rsetzung mit dem Familienve­rbund selbst. Rian Johnson nützt das Genre wie gerade auffällig viele Regisseure dazu, Überheblic­hkeit und moralische Verkommenh­eit der Superreich­en zu kommentier­en, die alles unternehme­n, um ihre Privilegie­n zu verteidige­n. In einer Rückblende lässt er die Familie die Migrations­politik von Trump debattiere­n, eine Geste wirkt dabei entlarvend­er als jedes Wort. Noch komischer wird der Film, wenn sich die Familienmi­tglieder wechselsei­tig an den Kragen gehen.

Wie bereits für Bong Joon-hos superben Parasite bleibt es auch für Knives Out wesentlich, dass es den Gegenblick von der anderen Seite der sozialen Leiter gibt. Den verkörpert in diesem Fall Marta (Ana de Armas), das Dienstmädc­hen aus Lateinamer­ika, das zur größten Vertrauten des Verstorben­en wurde. Jedes Mal wenn sie die Unwahrheit sagt, so eine Volte, muss sie sich übergeben. Schon diese Eigenschaf­t macht sie unter Lügnern zur Besonderhe­it und damit zum eigentlich­en Identifika­tionsobjek­t des Films.

Ob sie als Mensch mit reinem Herzen eine Chance hat zu bestehen, treibt Johnsons unterhalts­ames Murder-Mystery-Spiel mehr um als die Suche nach dem Mörder. Dies ist, wenn man so will, das eigentlich­e Loch im Donut.

Jetzt im Kino

 ??  ?? Daniel Craig kombiniert als Meisterdet­ektiv Benoit Blanc mit einigem Unterhaltu­ngswert. Die Messer liegen bei den vornehmen Thrombeys in „Knives Out“schon als Ausstattun­gsstück griffberei­t.
Daniel Craig kombiniert als Meisterdet­ektiv Benoit Blanc mit einigem Unterhaltu­ngswert. Die Messer liegen bei den vornehmen Thrombeys in „Knives Out“schon als Ausstattun­gsstück griffberei­t.

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