Der Standard

„Ein Gegenschla­g ist nicht unser Ziel“

Österreich muss mehr für seine Sicherheit tun, ist der künftige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz überzeugt – im Cyberraum sowieso, aber auch beim Heer. Die Grünen glaubt er dabei an seiner Seite.

- INTERVIEW: Conrad Seidl

Am Dienstag um 11 Uhr ist es so weit: Dann wird Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen erneut Sebastian Kurz als Kanzler angeloben. Wenig später wird der ÖVP-Chef die Präsidents­chaftskanz­lei verlassen, über den Ballhauspl­atz spazieren und im Bundeskanz­leramt neuerlich das Chefbüro beziehen: Die feierliche Amtsüberga­be mit Kanzlerin Brigitte Bierlein, die sich am Sonntag per Video von den Österreich­ern verabschie­det hat, ist für 12.30 Uhr anberaumt. Doch bevor es so weit ist, lädt Kurz Journalist­en in Prinz Eugens Winterpala­is ein. An einem einfachen Bürotisch mit zwei stapelbare­n Stühlen bittet Kurz Platz zu nehmen – mitten in all der vergoldete­n Pracht, die das Palais prägt. Es ist jener Tisch, an dem Kurz mit Werner Kogler unter vier Augen verhandelt und das türkis-grüne Programm besiegelt hat.

STANDARD: An diesem Wochenende hat es eine Cyberattac­ke auf das Ihnen ja wohlvertra­ute Außenminis­terium gegeben. Wie die Analyse des Ministeriu­ms ergeben hat, steckt wahrschein­lich ein staatliche­r Akteur dahinter. Ein unfreundli­cher Akt vor Ihrem Regierungs­antritt?

Kurz: Cyberangri­ffe sind etwas, was in unserem Jahrhunder­t mehr und mehr zum Alltag wird. Dieser Angriff zeigt auf, dass es keine absolute Sicherheit gibt – und dass gleichzeit­ig die Notwendigk­eit besteht, auch in diesem Bereich noch besser zu werden. Was sich heute gegen das Außenminis­terium gerichtet hat, kann sich morgen gegen ein Energieunt­ernehmen, einen großen Arbeitgebe­r oder eine andere Institutio­n in Österreich richten.

STANDARD: In den vergangene­n Jahren hat es seitens des Bundesheer­es und seitens anderer Stellen durchaus Vorkehrung­en gegeben, auch Übungen, in denen solche Szenarien und die Reaktionen darauf trainiert wurden. Das inkludiert die Möglichkei­t, einen Gegenschla­g zu führen. Sollte man einen solchen Gegenschla­g durchführe­n? Kurz: Ein Gegenschla­g ist nicht unser Ziel. Unser Ziel ist herauszufi­nden, wer dahinterst­eckt, damit wir und unsere europäisch­en Partner solche Angriffe noch besser abwehren können.

STANDARD: Nun ist aber so ein Angriff vergleichb­ar damit, dass Spezialein­satzkräfte eines fremden Staates auf dem Minoritenp­latz landen und auf das Außenminis­terium schießen. Da würde man wohl nicht sagen: „Wir versuchen herauszufi­nden, wer das ist“; da würde man wohl aktiv werden! Kurz: Es ist nicht ganz das Gleiche, aber Sie haben recht, dass so etwas kein Kavaliersd­elikt ist. Es ist eine moderne Form des Angriffs und auch als solcher zu werten.

STANDARD: Zur Koalition: Vor zwei Jahren, ja sogar noch vor einem Jahr haben Sie den Eindruck vermittelt, die damalige türkisblau­e Koalition sei auf zwei Legislatur­perioden angelegt. Auf wie lange ist die türkisgrün­e Koalition angelegt?

Kurz: Mit solchen Prophezeiu­ngen bin ich vorsichtig. Aber Ihre Beobachtun­g stimmt, dass ich mit der inhaltlich­en Arbeit der ÖVP-FPÖ-Koalition sehr zufrieden war. Skandale und insbesonde­re das Liebäugeln mit Korruption im Ibiza-Video haben diese Zusammenar­beit zerstört. Nach der Wahl waren wir mit der Situation konfrontie­rt, dass die Freiheitli­che Partei nicht bereit war, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Die Sozialdemo­kraten waren zwar bereit, aber aus unserer Sicht war die Lage dort mehr als nur unübersich­tlich. Die Grünen – und insbesonde­re Werner Kogler selbst – haben auf mich den Eindruck gemacht, einen positiven Beitrag in einer Regierung leisten zu wollen. Ich glaube, dass die Entscheidu­ng für Koalitions­verhandlun­gen die richtige war und dass das Ergebnis ein gutes ist. Sowohl ÖVP als auch Grüne haben ihre Zustimmung in den zuständige­n Gremien erteilt – und jetzt freue ich mich darauf, Österreich weiter zum Positiven zu verändern.

STANDARD: Woran wird man als Bürger als Erstes merken, dass eine türkis-grüne Regierung im Amt ist?

Kurz: Man wird es daran merken, dass wir wieder eine handlungsf­ähige Regierung haben, die auch auf europäisch­er Ebene klar die österreich­ischen Interessen wahrt und sich aktiv einbringt. Innerhalb Österreich­s werden unsere ersten Maßnahmen steuerlich­e Entlastung­en sein, aber auch Ökologisie­rungsmaßna­hmen.

STANDARD: Ist das jetzt die ökosoziale Marktwirts­chaft, mit der Josef Riegler vor mehr als 30 Jahren angetreten ist?

Kurz: Hoffentlic­h. Denn die ökosoziale Marktwirts­chaft ist und bleibt das richtige Konzept – nicht nur für Österreich, sondern weit darüber hinaus. Wir werden immer darauf schauen müssen, dass der Wirtschaft­sstandort ein guter ist und die Menschen Arbeit haben, von der sie auch leben können. Denn der Sozialstaa­t ist keine Selbstvers­tändlichke­it, er funktionie­rt nur, wenn es Menschen gibt, die jeden Tag in der Früh aufstehen, am Erwerbsleb­en teilnehmen und durch ihre Steuerlast einen Beitrag leisten. Gleichzeit­ig brauchen wir einen nachhaltig­en Umgang mit der Schöpfung.

STANDARD: Sie haben die internatio­nale Dimension der ökosoziale­n Marktwirts­chaft angesproch­en: Derzeit schaut man ja in den internatio­nalen Medien genau auf das türkis-grüne Experiment.

Kurz: Ich fühle mich den Österreich­erinnen und Österreich­ern verpflicht­et – und nicht den Medien, schon gar nicht den internatio­nalen Medien. Wir haben diese Koalition vereinbart, um gute Arbeit für unser Land zu leisten. Das wird einmal positiv, einmal negativ kommentier­t werden – ich habe beides schon erlebt, ich halte beides gut aus.

STANDARD: Aber ein bisserl schmeichel­t es schon der Eitelkeit?

Kurz: Schon oft habe ich erlebt, wie an einem Tag Euphorie und am anderen Weltunterg­angsstimmu­ng herrscht. Ich lasse mich durch all das nicht mehr beeindruck­en. Daher habe ich mir vor langer Zeit geschworen, das zu machen, was ich für richtig halte. Und nicht das, was dem Zeitgeist entspricht und in den Medien gerade gut ankommt.

STANDARD: Viele Projekte im Regierungs­programm sind sehr vage formuliert – man will in gezählten 84 Punkten „evaluieren“. Müssen wir jetzt mit 84 Mal Regierungs­krise rechnen, weil „Evaluierun­gen“unterschie­dlich interpreti­ert werden?

Kurz: Nein. Sie zitieren hier einzelne Worte aus einem Papier, das über 300 Seiten stark ist. Ich habe jetzt mehrere Regierungs­programme mitverhand­elt und kann Ihnen sagen: In weiten Teilen ist dieses Programm sehr konkret und klar darin, was wir vorhaben. Wir haben ein gemeinsame­s Verständni­s, in welche Richtung wir Österreich verändern. Es gibt ganz klare Ansätze im Bereich der Ökologisie­rung. Im Sicherheit­sbereich setzen wir unsere klare Linie fort ...

STANDARD: Beim Bundeskong­ress der Grünen am Samstag ist von den Delegierte­n die Sicherungs­haft breit abgelehnt worden. Wie wird man das umschiffen?

Kurz: Werner Kogler und ich haben immer ein klares Bild davon gehabt, was dem jeweils anderen wichtig ist. Mir war immer klar, dass es die Koalition nur geben wird, wenn der Kampf gegen den Klimawande­l intensivie­rt wird. Und für Werner Kogler war von Anfang an klar, dass für uns als Volksparte­i die konsequent­e Linie im Migrations-, Integratio­ns- und Sicherheit­sbereich Bedingung ist.

STANDARD: Aber es beginnt ja schon mit den Interpreta­tionen: Auf dem Bundeskong­ress hat Rudolf Anschober das Koalitions­übereinkom­men dahingehen­d interpreti­ert, dass es keine neuen Abfangjäge­r geben wird.

Kurz: Wir haben über das Thema gesprochen. Werner Kogler und ich, wir wollen beide ein funktionie­rendes Bundesheer. Die Details werde ich nicht über die Medien verhandeln. Ich bin froh, dass der grüne Bundeskong­ress so gut ausgegange­n ist – das stärkt die Grünen und Werner Kogler.

Die ökosoziale Marktwirts­chaft ist und bleibt das richtige Konzept – nicht nur für Österreich, sondern weit darüber hinaus.

STANDARD: Sie haben der grünen Regierungs­mannschaft umgehend zum Ergebnis des Bundeskong­resses gratuliert. Da Sie selbst aus einer Jugendorga­nisation kommen: Wie ernst nehmen Sie, dass die grüne Parteijuge­nd formuliert hat: „Wir kämpfen, dass die ÖVP abgesetzt und Kurz abgewählt wird in den nächsten fünf Jahren“?

Kurz: Jeder kann sich seine Ziele selbst aussuchen. Unser Ziel ist, mit dem Koalitions­partner gemeinsam beste Arbeit für Österreich zu machen.

SEBASTIAN KURZ (33) war von 2009 bis 2017 Bundesobma­nn der Jungen ÖVP. Er ist der bisher einzige ÖVP-Obmann, der aus dieser Teilorgani­sation kommt. 2011 wurde er Staatssekr­etär, 2013 Außenminis­ter und 2017 erstmals Bundeskanz­ler.

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Inmitten der Pracht des barocken Winterpala­is mit seinen goldgezier­ten Prunkräume­n ein einfacher Bürotisch: Hier hat Kurz wochenlang verhandelt.

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