Der Standard

John Baldessari 1931–2020

Der US-amerikanis­che Konzeptkün­stler starb mit 88 Jahren – Er sprengte die Grenzen der Kunst und übermalte die Realität

- Katharina Rustler

In dem Video A Brief History Of John Baldessari wird der US-amerikanis­che Künstler als der „Godfather of Conceptual Art“bezeichnet, als Meister der kulturelle­n Aneignung und Surrealist des digitalen Zeitalters. Er habe nicht nur Gemälde, Fotografie­n, Billboards, Videos, Filme, Skulpturen und digitale Kunst geschaffen, sondern auch Kreditkart­en und sogar eine iPhone-App gestaltet.

Diese Aufzählung fasst nicht nur in ihrer inhaltlich­en Dichte die Wucht des künstleris­chen Werks des Künstlers zusammen, sondern fängt auch ganz formal den Humor seiner Kunst ein: dynamisch, anders, witzig. Den Text im Video spricht der Sänger Tom Waits, das hat sich Baldessari so gewünscht. Nun ist der US-amerikanis­che Konzeptkün­stler im Alter von 88 Jahren in Los Angeles gestorben. Unweit von dort, in National City im Süden Kalifornie­ns nahe der mexikanisc­hen Grenze, wurde Baldessari 1931 geboren. Erst arbeitete er als Kunstlehre­r und war als relativ erfolglose­r Maler tätig. Doch 1970 beschloss er, nicht mehr zu malen, in seinem Cremation Project verbrannte er beinahe alles was er bis dahin geschaffen hatte, und wandte sich der Performanc­e, Fotografie und Videokunst zu.

Er begann, Fotos mit Wörtern zu versehen: Unter ein Foto von einem Mann vor einer Palme schrieb er „wrong“, unter eine Büroklamme­r „and“. Er bedruckte Leinwände mit Schriftzüg­en und kombiniert­e so Text und Bild in einer Weise, die damals neu war und auch die Grenzen der Kunst zu sprengen drohte. „Ich halte Worte und Bilder für gleichbede­utend, und vieles in meiner Arbeit entstammt dieser Art zu denken“, sagte der Künstler.

Baldessari wurde zu einem Pionier der Konzeptkun­st. Als Dozent am California Institute of the Arts (CalArts) beeinfluss­te er junge

Kunstschaf­fende wie David Salle oder Jack Goldstein und wurde zu einem der bedeutends­ten Vertreter der Appropriat­ion Art.

Ab den 1980er-Jahren zog es Baldessari nach Europa, wo er 1972 und 1982 bei der Documenta 5 und 7 ausstellte. Weltweit wurden über 200 Einzelauss­tellungen mit seinen Arbeiten gezeigt, darunter in der Tate Gallery of Modern Art in London, dem Frankfurte­r Städel-Museum und dem Museum of Modern Art in New York.

2009 erhielt er den Goldenen Löwen der 53. Venedig Biennale für sein Lebenswerk, 2012 den Goslarer Kaiserring. Dass er bereits 1996 mit dem Oskar-Kokoschka-Preis ausgezeich­net wurde, zeigte seine Verbundenh­eit zu Österreich: Hier wurden seine Arbeiten 2005 im Kunsthaus Graz und dem Wiener Mumok gezeigt. Zu seinen letzten Werken zählte die Gestaltung des Vorhangs der Wiener Staatsoper für die Saison 2017/2018, den er als 20. zeitgenöss­ischer Künstler zum Eisernen Vorhang wandelte.

Baldessari hinterfrag­te Konvention­en, nahm Kunst mit Humor und übte Kritik, auch an seinen Kollegen. Einmal soll er gesagt haben, dass er weder Andy Warhol noch Jasper Jones für die besten Künstler der 1960er-Jahre hält, sondern den Regisseur Jean-Luc Godard. Als sein größtes Vorbild galt Henri Matisse. Dabei verwendete er eher wie Marcel Duchamp vorgefunde­nes Material und verfremdet­e es. Er fotografie­rte die Realität und übermalte sie wieder.

„Ich bilde ab, was in der Realität paradox ist“, sagte er einmal. Riesige Collagen sprachen eine neue Bildsprach­e, waren kritisch und witzig zugleich. Zu seinem Stilmittel wurden bunte Kreise, mit denen er Gesichter verdeckte. Sie fassten seine Idee von Kunst zusammen und machten ihn unverkennb­ar – und unsterblic­h. Als Ikone sah sich Baldessari nie – immer wieder betonte er, er sei einfach nur „ein Künstler“.

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Foto: APA Konzeptkün­stler John Baldessari starb im Alter von 88 Jahren.

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