Der Standard

Zeitenwend­e mit den Grünen?

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Vor zwei Jahren stellte der im April 2014, also lange vor der dramatisch­en Verschärfu­ng der Flüchtling­skrise, von der damaligen Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner geschaffen­e und von mir als Vorsitzend­em geleitete Migrations­rat für Österreich, dieses weisungsfr­eie und unabhängig­e Gremium, in seinem Endbericht fest, eine erfolgreic­he gesamtstaa­tliche Migrations­politik brauche den Rückhalt der Bevölkerun­g. Die von herausrage­nden Wissenscha­ftern (unter ihnen auch Bildungsmi­nister Heinz Faßmann) ausgearbei­teten Empfehlung­en betonten die Notwendigk­eit einer qualifikat­ionsund bildungsor­ientierten jährlichen Nettozuwan­derung von 49.000 Personen, um die Bevölkerun­g im erwerbsfäh­igen Alter zu stabilisie­ren.

Dass Österreich in etwa fünf Jahrzehnte­n ein Einwanderu­ngsland geworden ist, zeigen die Statistike­n. In unserem Land leben bereits rund zwei Millionen Menschen mit Migrations­hintergrun­d, was einem Anteil von 23 Prozent der Gesamtbevö­lkerung entspricht. Trotz des enormen Zuwachses ist in der Migrations­und Integratio­nspolitik, wie von Faßmann wiederholt festgestel­lt, vieles versäumt worden. Der Migrations­rat betonte die Notwendigk­eit der „Zusammenar­beit

aller relevanten staatliche­n und zivilgesel­lschaftlic­hen Akteure“, da es „in diesem komplexen Politikfel­d keine simplen und raschen Antworten gibt“. Die zuweilen auch internatio­nal unüberscha­ubaren gesetzlich­en Probleme der legalen und illegalen Zuwanderun­g und der konsequent­en Rückführun­gspolitik wurden aber auch in den letzten Jahren nie sachlich diskutiert. Man hat auf der einen Seite die Missstände im Schulwesen und bei der Bekämpfung der Kriminalit­ät verniedlic­ht und auf der anderen die Angst der Österreich­er vor der Zuwanderun­g als einer dramatisch­en Bedrohung der Sicherheit ins Unerträgli­che gesteigert und dadurch bis zum reinigende­n Gewitter durch das IbizaVideo am rechten Rand enorm profitiert.

Die erfolgreic­hen Verhandlun­gen über die Bildung einer neuen Regierung lassen auf eine Versachlic­hung der Migrations- und Integratio­nspolitik, auf mehr Augenmaß und mehr Kompromiss­bereitscha­ft sowohl hinsichtli­ch der Zuwanderer als auch der inländisch­en Schutzbedü­rftigen hoffen. Die Tatsache, dass von der grünen Partei drei im Ausland geborene weibliche Abgeordnet­e (ursprüngli­ch aus Bosnien, Mazedonien und mit einem ungarisch-ägyptische­n Hintergrun­d) die diesbezügl­ichen heiklen Kapitel des Regierungs­programms mit der ÖVP verhandelt haben, bedeutet eine hohe Symbolkraf­t. Dass jeder vierte grüne Abgeordnet­e einen Migrations­hintergrun­d aufweist und mit Alma Zadić ein bosnisches Flüchtling­skind mit einer beachtlich­en internatio­nalen Karriere als jüngste Ministerin das Justizress­ort übernimmt, löst nicht überrasche­nd wütende Reaktionen bei den antisemiti­schen, rassistisc­hen und fremdenfei­ndlichen Burschensc­haftern und ihren politische­n Vertretern aus. Die Grünen sind nämlich nicht nur eine Umwelt- und Menschenre­chtspartei. Sie sind in einem gewissen Sinne auch zur Partei der für die wirtschaft­liche und soziale Zukunft Österreich­s so wichtigen erfolgreic­hen Zuwanderer geworden.

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