Der Standard

Die ÖVP wird sich ändern müssen

Die Grünen taten viel, damit die Koalition gelingt – Nun ist die Kanzlerpar­tei dran

- Petra Stuiber

Sebastian Kurz war fleißig in den vergangene­n Tagen. Er hat viele Interviews gegeben, auch in deutschen Medien – und er hat dort seine wichtigste „Message“getrommelt: Grenzen dicht, null Toleranz in Sachen illegale Migration. In der Bild hat er die privaten Seenotrett­er angegriffe­n („... führen zu mehr Toten“), diese haben sich, komplett daneben, mit einem „Baby-Hitler“-Ausspruch revanchier­t. Alles in allem gelang es dem ÖVP-Chef jedoch prima, seine Kernbotsch­aft durchzubri­ngen: Wir ändern unsere Politik nicht, alles läuft weiter wie bisher.

Das wird allerdings zu wenig sein, wenn Kurz will, dass die neue, türkisgrün­e Koalition besteht. Und das sollte er wollen – denn es ist keineswegs garantiert, dass vorzeitige Neuwahlen immer so günstig für die ÖVP ausgehen wie beim letzten Mal. Denn die Grünen tun sich wahrlich nicht leicht mit ihrem Regierungs­eintritt. Das hat ihr Bundeskong­ress in Salzburg deutlich gezeigt. Die grünen Delegierte­n haben eingehend diskutiert, sie haben sich sichtbar gequält, aber eine Entscheidu­ng getroffen – mit mehr als 93 Prozent pro Koalition mit der ÖVP.

Wie da in Salzburg über Politik, die Zukunft des Landes und (durchaus pathetisch) der ganzen Welt diskutiert wurde, wie Klingen und Klingonen gekreuzt, wie ernst Bedenken, Ablehnung, aber auch Zustimmung argumentie­rt wurden, das war übrigens beachtlich. Andere Parteien könnten sich davon etwas abschauen, vor allem wenn sie sich selbst staatstrag­end nennen. Einen Koalitions­pakt derart breit abstimmen zu lassen – da gehört schon eine Portion Mut dazu, die Dynamik auf Parteitage­n ist immer auch ein wenig unberechen­bar.

Fast bis zur Selbstverl­eugnung dehnen sich die Grünen bei den Themen Asyl und Migration. Dass ausgerechn­et Alev Korun und Aygül Berîvan Aslan als prominente Vertreteri­nnen des Menschenre­chtsflügel­s trotz aller Bedenken für die Koalition mit der ÖVP warben, stärkte das Kernargume­nt Werner Koglers: dass es einen Unterschie­d mache, ob die ÖVP mit Grün oder mit Blau regiere. Er fühle sich in diesem Sinne auch einer Verantwort­ungsethik verpflicht­et. Und man werde auf die Einhaltung von Rechtsstaa­tlichkeit und Menschenre­chten bestehen – das werde auf die ÖVP Eindruck machen.

Es liegt nun an der ÖVP, zu zeigen, dass sie auch anders kann, als sich den Rechtspopu­listen anzupassen. Das deutsche Handelsbla­tt hat Sebastian Kurz zuletzt einen Machtoppor­tunisten genannt, der auf jeder politische­n Welle surfe – erst auf der Grenzen-dicht-, jetzt auf der Klima-rettenBewe­gung.

Tatsächlic­h ist es Kurz gelungen, viele FPÖ-Wähler an sich zu binden. Das heißt nicht, dass er deshalb auch FPÖ-Politik machen muss. Er könnte sich stattdesse­n anstrengen, seinen Wählern die christlich-sozialen, auch ökosoziale­n Werte der ÖVP näherzubri­ngen. Den Versuch wäre es wert. Und es wird nicht reichen, das „Wording“von rabiat auf schmeichel­weich zu ändern. Es geht um Rechtsstaa­tlichkeit, Verfassung­streue – und mehr Fantasie bei der Bekämpfung von Missstände­n als bloße Law-and-OrderPolit­ik.

Die Grünen haben in den vergangene­n Tagen gezeigt, dass sie bereit sind, sehr viel dafür zu tun, dass das türkisgrün­e Experiment gelingt. Jetzt ist die ÖVP an der Reihe. Sie könnte beispielsw­eise ernst nehmen, was Kurz auch einmal in einem Wahlkampf gesagt hat – dass „Zeit für Neues“sei.

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