Die ÖVP wird sich ändern müssen
Die Grünen taten viel, damit die Koalition gelingt – Nun ist die Kanzlerpartei dran
Sebastian Kurz war fleißig in den vergangenen Tagen. Er hat viele Interviews gegeben, auch in deutschen Medien – und er hat dort seine wichtigste „Message“getrommelt: Grenzen dicht, null Toleranz in Sachen illegale Migration. In der Bild hat er die privaten Seenotretter angegriffen („... führen zu mehr Toten“), diese haben sich, komplett daneben, mit einem „Baby-Hitler“-Ausspruch revanchiert. Alles in allem gelang es dem ÖVP-Chef jedoch prima, seine Kernbotschaft durchzubringen: Wir ändern unsere Politik nicht, alles läuft weiter wie bisher.
Das wird allerdings zu wenig sein, wenn Kurz will, dass die neue, türkisgrüne Koalition besteht. Und das sollte er wollen – denn es ist keineswegs garantiert, dass vorzeitige Neuwahlen immer so günstig für die ÖVP ausgehen wie beim letzten Mal. Denn die Grünen tun sich wahrlich nicht leicht mit ihrem Regierungseintritt. Das hat ihr Bundeskongress in Salzburg deutlich gezeigt. Die grünen Delegierten haben eingehend diskutiert, sie haben sich sichtbar gequält, aber eine Entscheidung getroffen – mit mehr als 93 Prozent pro Koalition mit der ÖVP.
Wie da in Salzburg über Politik, die Zukunft des Landes und (durchaus pathetisch) der ganzen Welt diskutiert wurde, wie Klingen und Klingonen gekreuzt, wie ernst Bedenken, Ablehnung, aber auch Zustimmung argumentiert wurden, das war übrigens beachtlich. Andere Parteien könnten sich davon etwas abschauen, vor allem wenn sie sich selbst staatstragend nennen. Einen Koalitionspakt derart breit abstimmen zu lassen – da gehört schon eine Portion Mut dazu, die Dynamik auf Parteitagen ist immer auch ein wenig unberechenbar.
Fast bis zur Selbstverleugnung dehnen sich die Grünen bei den Themen Asyl und Migration. Dass ausgerechnet Alev Korun und Aygül Berîvan Aslan als prominente Vertreterinnen des Menschenrechtsflügels trotz aller Bedenken für die Koalition mit der ÖVP warben, stärkte das Kernargument Werner Koglers: dass es einen Unterschied mache, ob die ÖVP mit Grün oder mit Blau regiere. Er fühle sich in diesem Sinne auch einer Verantwortungsethik verpflichtet. Und man werde auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten bestehen – das werde auf die ÖVP Eindruck machen.
Es liegt nun an der ÖVP, zu zeigen, dass sie auch anders kann, als sich den Rechtspopulisten anzupassen. Das deutsche Handelsblatt hat Sebastian Kurz zuletzt einen Machtopportunisten genannt, der auf jeder politischen Welle surfe – erst auf der Grenzen-dicht-, jetzt auf der Klima-rettenBewegung.
Tatsächlich ist es Kurz gelungen, viele FPÖ-Wähler an sich zu binden. Das heißt nicht, dass er deshalb auch FPÖ-Politik machen muss. Er könnte sich stattdessen anstrengen, seinen Wählern die christlich-sozialen, auch ökosozialen Werte der ÖVP näherzubringen. Den Versuch wäre es wert. Und es wird nicht reichen, das „Wording“von rabiat auf schmeichelweich zu ändern. Es geht um Rechtsstaatlichkeit, Verfassungstreue – und mehr Fantasie bei der Bekämpfung von Missständen als bloße Law-and-OrderPolitik.
Die Grünen haben in den vergangenen Tagen gezeigt, dass sie bereit sind, sehr viel dafür zu tun, dass das türkisgrüne Experiment gelingt. Jetzt ist die ÖVP an der Reihe. Sie könnte beispielsweise ernst nehmen, was Kurz auch einmal in einem Wahlkampf gesagt hat – dass „Zeit für Neues“sei.