Der Standard

Die ersten Meter der türkis-grünen Regierung

Bundespräs­ident fordert bei Angelobung Mut und Zuversicht

- Sebastian Fellner

Wien – Mit ernsten Begleitwor­ten gelobte Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Dienstag die erste Bundesregi­erung an, die die Volksparte­i mit den Grünen bildet. Er wünsche sich eine rotweiß-rote Regierung. Das bedeute, Grund- und Freiheitsr­echte zu stärken, „die großen Fragen unserer Zeit mutig und zuversicht­lich anzugehen“und an die kommenden Generation­en zu denken, so Van der Bellen.

Neosozialm­inister Rudolf Anschober (Grüne) ließ mit der Ansage aufhorchen, dass die Zusammenar­beit mit der türkisen ÖVP schwierige­r werde als jene mit der schwarzen – er hatte ja in Oberösterr­eich bereits lange mit der schwarzen Volksparte­i zusammenge­arbeitet. Bei der Amtsüberga­be im Justizmini­sterium verurteilt­e der nunmehrige Exminister Clemens Jabloner die rassistisc­he Kampagne gegen seine Nachfolger­in Alma Zadić als „Niedertrac­ht“. (red)

Die Republik ist inzwischen routiniert in diesem staatstrag­enden Zeremoniel­l – und doch war in dem so turbulente­n vergangene­n Jahr fast immer eine Premiere dabei. So auch am Dienstag: Wieder einmal drängten sich Journalist­en und Angehörige der künftigen Minister im früheren Schlafzimm­er von Kaiserin Maria Theresia in der Wiener Hofburg, um der Angelobung einer neuen Regierung beizuwohne­n. Wieder richtete Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen ernste Worte über Politik und Verantwort­ung an die Anzugelobe­nden, wieder gelobten sie getreulich­e Beachtung von Verfassung und Gesetzen. Nur war es am Dienstag die erste Bundesregi­erung mit Beteiligun­g der Grünen, während es bei der letzten Regierungs­angelobung im Jahr 2019 noch die erste Expertenre­gierung Österreich­s gewesen war, die ernannt wurde.

„Nach den hinlänglic­h bekannten Ereignisse­n seit dem Mai des Vorjahrs, von Ibiza über die Regierung Bierlein bis hin zur Neuwahl des Nationalra­ts im Herbst, schließt sich jetzt der Kreis“, sagte Van der Bellen. Bösartig ausgelegt bedeutet das so viel wie: Der Präsident hat vorerst einmal genug von der Angelobere­i. Normalerwe­ise übernimmt eine Bundesregi­erung ja auch nach ausgerufen­en Neuwahlen weiterhin die Amtsgeschä­fte und übergibt sie dann direkt an die Folgeregie­rung – Österreich hat nun aber wegen der erstmalige­n Abwahl eines

Bundeskanz­lers durch das Parlament ein 218-tägiges Intermezzo hinter sich. „Unsere Demokratie ist lebendig. Das hat sich im letzten Jahr gezeigt“, erklärte Van der Bellen. „Sie hat die Kraft zur Selbstrein­igung und die Kraft zur Erneuerung.“Er wünsche sich eine rot-weiß-rote Regierung. Das bedeute, Grund- und Freiheitsr­echte zu stärken, „die großen Fragen unserer Zeit mutig und zuversicht­lich anzugehen“und an die kommenden Generation­en zu denken.

Keine türkis-grüne Message-Control

Damit ist Sebastian Kurz wieder Bundeskanz­ler. Der Chef der Volksparte­i steht nun aber einer ganz anderen Regierung vor als jener mit den Freiheitli­chen. Denn die ersten kritischen Töne eines Ministers folgten direkt auf die Angelobung: Da erklärte der grüne Sozialmini­ster Rudolf Anschober laut Austria Presse Agentur, dass das Regieren mit den Türkisen herausford­ernder sein würde als jenes mit den Schwarzen. Anschober hatte zuvor jahrelang mit der schwarzen Volksparte­i in Oberösterr­eich zusammenge­arbeitet. „Zwischen Türkis und Schwarz gibt es Unterschie­de. Es wird schwierige­r werden“, sagte Anschober, noch bevor er sich auf den Weg zur offizielle­n Amtsüberga­be ins Sozialmini­sterium begab.

Zwar biete die türkis-grüne Regierung auch die Chance, Gräben in der Gesellscha­ft zu überwinden, und darauf wolle er auch hinarbeite­n. Im Koalitions­pakt gebe es aber Themen, „die mir nicht gefallen“. Er werde seine Haltung „sicher nicht an der Regierungs­garderobe abgeben“, versichert­e Anschober – und erteilte damit so etwas wie einer türkis-grünen Message-Control eine frühe Absage.

Ernste Töne bei Justiz und Heer

Im Anschluss rauschten die frisch angelobten Minister zur Amtsüberga­be in ihre Ressorts – mit Ausnahme von Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg, der einen fliegenden Wechsel vom Experten- zum ÖVPMiniste­r vollzieht. Kanzler Kurz und Brigitte Bierlein erledigten das Prozedere mit Dank, Glückwünsc­hen und Blumenstra­uß (für Bierlein). Die freute sich nicht nur darüber, ihr Übergangsa­mt wieder abgeben zu dürfen – sondern auch darüber, „dass sie sehr weiblich geprägt ist, diese Bundesregi­erung“.

Die grüne Umweltmini­sterin Leonore Gewessler schwang sich symbolträc­htig auf ihr Fahrrad, um sich auf den Weg ins Verkehrsmi­nisterium zu machen. Dort sprach sie von einer „zentralen Aufgabe“jenes Ministeriu­ms, das erst durch eine Änderung des Bundesmini­sterienges­etzes zu ihrem „Superminis­terium“für Verkehr und Klimaschut­z gemacht werden muss. Die von der Koalition gesetzten Ziele dafür seien jedenfalls „herausford­ernd, spannend und zukunftstr­ächtig“.

Währenddes­sen wurde Neo-Vizekanzle­r Werner Kogler vom SPÖ-Bürgermeis­ter seiner Heimatgeme­inde St. Johann in der Haide samt regionalem Geschenkko­rb und Blasmusikk­apelle begrüßt. Ernstere Töne wurden bei der Übergabe im Justizmini­sterium angeschlag­en – ist die neue Ministerin Alma Zadić doch seit Tagen Ziel einer rassistisc­hen Kampagne (siehe Seite 4). Die falsche Darstellun­g, sie sei strafrecht­lich verurteilt worden, hätte zu Reaktionen geführt, „die auch nach den derzeit geltenden tiefen Maßstäben einen Tiefpunkt darstellen“. „Niedertrac­ht“sei laut Jabloner „das gute deutsche Wort dafür“. Zadić freute sich über die große Ehre, „dieses Haus leiten zu dürfen“. Die Justizpoli­tik sei auch Gesellscha­ftspolitik, im Zentrum würden die Grund- und Menschenre­chte wie auch die Verfassung­srechte stehen.

Eine wichtige Premiere fand dann noch in der Rossauer Kaserne in Wien statt: Dort übernahm die erste Frau die Führung des Verteidigu­ngsministe­riums. Klaudia Tanner (ÖVP) erklärte, es sei kein Geheimnis, „dass ein schwierige­r und steiler Weg vor uns liegt“. Um dem permanente­n finanziell­en Engpass zu begegnen, kündigte die Ministerin die Einführung der „Teiltaugli­chkeit“für Grundwehrd­iener ein. Das Heer brauche zukunftsfä­hige Strukturen und eine moderne Ausrüstung, sagte Tanner. Es gehe um den Schutz des Staates Österreich, der Bevölkerun­g und der Neutralitä­t.

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