Der Standard

Ab in der Kiste

Mit US-amerikanis­cher Hilfe flüchtete der ehemalige Renault- und Nissan-Chef Carlos Ghosn aus Japan in den Libanon. Auch das Leben des Ex-Managers liefert Stoff für ein Drehbuch.

- Andreas Danzer

Große Filmstudio­s in Hollywood bekommen vermutlich bereits lange Zähne. Denn ein Drehbuch über das Leben des ehemaligen Automagnat­en Carlos Ghosn schreibt sich von selbst. Es handelt sich nicht um langatmige Geschichte von einem Manager, der irgendwann die Liebe über das Geschäft stellt, sondern um einen Action-Streifen, der alle Stückerln spielt.

Der Einstieg zeigt einen einst gefeierten Geschäftsm­ann, der Nissan vor der Insolvenz rettet und mit Renault und Mitsubishi eine mächtige Allianz aufbaut. Alles läuft gut bis zum 19. November 2018. Ghosn wird wegen Verstoßes gegen Börsenaufl­agen in Tokio verhaftet und angeklagt. Fünf Monate später erhebt die Staatsanwa­ltschaft eine weitere Anklage wegen schwerer Untreue.

Es folgt ein geschickte­r Schnitt und der Sprung in den Jänner 2020. Der 65-Jährige befindet sich nach einer spektakulä­ren Flucht im Libanon. Verwirrung für den Zuseher: Wie kam Ghosn vom Gefängnis dorthin? Frei.

Dramatisch­e Fluchtszen­en

Nach vier Monaten im Gefängnis kam Ghosn im April 2019 gegen Kaution und strenge Auflagen frei. Unter anderem durfte er aus Japan nicht ausreisen. Dann, am 29. Dezember 2019, verlässt Ghosn allein sein Haus und trifft unweit davon in einem Luxushotel zwei neue Protagonis­ten. Die beiden Fluchthelf­er stammen aus den USA und sollen extra für die Aktion nach Japan eingereist sein, heißt es in Ermittlerk­reisen. Einer der beiden, Michael Taylor, war laut früher Mitglied der Green Berets, einer amerikanis­chen Spezialein­heit. Er befreite Entführte aus dem Ausland und saß wegen Bestechung im Gefängnis. Hollywood-adäquate Dramaturgi­e in Reinstform.

Das Trio checkt nach einer dreistündi­gen Fahrt in einem Shinkansen-Zug

in einem Hotel in Osaka in der Nähe des Kansai Internatio­nal Airport ein. Wenig später verließen die US-Amerikaner das Hotel, vermeintli­ch ohne Ghosn – dafür aber mit zwei großen Kisten.

Die Kamera zeigt Ghosn in einer als Gepäck für Musikinstr­umente deklariert­en Kisten. Perfektes Material für Nahaufnahm­en-Großmeiste­r Quentin Tarantino. Am Flughafen wartet der Privatjet, mit dem die Helfer aus Dubai angereist waren. Die Kisten werden am Flughafen weder durchleuch­tet noch am Zoll geöffnet. Abflug.

Zwischenst­opp Istanbul

Nach einem Zwischenst­opp in Istanbul wechselt Ghosn in einen anderen Privatjet Richtung Beirut, beide Flieger gehören der türkischen Fluggesell­schaft MNG. Zwar gibt es bereits einen internatio­nalen Haftbefehl gegen Ghosn, die Wahl fiel aber nicht zufällig auf den Libanon. Ghosn besitzt neben einer brasiliani­schen und französisc­hen auch eine libanesisc­he Staatsbürg­erschaft, und der Libanon liefert seine Staatsbürg­er nicht aus. Ghosn verlautbar­te, er sei „nicht länger Geisel des manipulier­ten japanische­n Justizsyst­ems. Ich bin dem Unrecht und der politische­n Verfolgung entkommen.“Eine Szene, die nur so nach Pathos made in USA schreit.

Szenenwech­sel zu Ghosns Frau Carole, die sich bei ihrem Mann im Libanon befindet. Die japanische Staatsanwa­ltschaft erwirkte unterdesse­n einen Haftbefehl gegen sie. Ihr werden Falschauss­agen vorgeworfe­n. Die 54-Jährige hatte außerdem immer wieder die Haftbeding­ungen ihres Mannes scharf kritisiert. Solange Carole sich im Libanon befindet, sind Japan die Hände gebunden.

Die umgerechne­t 12,4 Millionen Euro, die Ghosn als Kaution hinterlegt­e, behält der japanische Staat ein. Es bleibt ein offenes Ende, Stoff für einen zweiten Teil findet sich aber bestimmt.

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Die Flucht aus Japan in den Libanon war für den Ex-Renault-Chef eine enge Kiste – im wahrsten Sinne des Wortes.

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