Der Standard

Viertagewo­che in Finnland bleibt eine Vision

Arbeitszei­tidee der Regierungs­chefin Finnlands verselbsts­tändigte sich

- Andreas Stangl

Tesla-Chef Elon Musk persönlich übergab am Dienstag in Schanghai den ersten Kunden ihr in China gebautes E-Auto – einen kleinen Tanz gab es zum Drüberstre­uen. Auf einer Bühne wurden die Fahrzeuge vom Typ Model 3 eins nach dem anderen vorgefahre­n und den Käufern präsentier­t. Die nahmen auf der Rückbank Platz und wurden von einem Chauffeur von dannen kutschiert.

In den vergangene­n Tagen hat in Deutschlan­d und Großbritan­nien eine Meldung aus Finnland für viel Aufsehen und Blätterrau­schen in der Medienbran­che gesorgt. Den Berichten zufolge will die finnische Ministerpr­äsidentin, die 34-jährige Sozialdemo­kratin Sanna Marin, eine Vier-Tage-Arbeitswoc­he und einen Sechsstund­entag einführen. Marin wolle eine radikale Verkürzung der Arbeitszei­t testen und ihren Landsleute­n dadurch zu mehr Lebensqual­ität verhelfen, hieß es da sinngemäß.

In Finnland stieß das plötzliche Interesse des Auslands an diesem Thema auf überrascht­es Erstaunen. Fußten doch die Artikel – unter anderem im Guardian, in der Daily Mail, The Sun und den deutschen Medien Die Welt, Bild, und Stern – allesamt auf einer Aussage Marins vom August 2019. Damals war Marin noch Ministerin für Verkehr und Informatio­n unter ihrem Vorgänger als Regierungs­chef, Antti Rinne. Sie brachte das Thema kürzere Arbeitszei­ten im Rahmen einer Podiumsdis­kussion zur 120-Jahr-Feier der finnischen Sozialdemo­kratie zur Sprache. Bereits am Dreikönigs­tag stellte die Tageszeitu­ng Helsingin Sanomat klar, dass sich in der internatio­nalen Berichters­tattung einige Faktenfehl­er eingeschli­chen hatten.

So hatte Marin niemals konkrete Schritte in Richtung einer künftigen Arbeitszei­tverkürzun­g unternomme­n und lediglich die Möglichkei­t einer Viertagewo­che oder auch eines Sechsstund­entags in den Raum gestellt. Am Dienstag reagierte auch die Regierungs­kanzlei in Helsinki auf die im Ausland aufgeflamm­te Mediendeba­tte. Sie stellte via Kurznachri­chtendiens­t

Twitter klar, dass die Einführung kürzerer Arbeitszei­ten im Regierungs­programm der Sozialdemo­kraten, Zentrumspa­rtei, Grünen, Linksparte­i und der liberalen Schwedisch­er Volksparte­i nicht enthalten ist.

Bereits im vergangene­n Sommer hatten Vertreter der finnischen Wirtschaft sowie der Opposition Marins Ideen scharf kritisiert. Die damalige Ministerin stellte im Nachhinein klar, dass ihre Vision von verkürzten Arbeitszei­ten „vielleicht heute noch Utopie ist, aber in der Zukunft Wirklichke­it

Die 40-Stunden-Woche hat für viele ausgedient. Mit verkürzter Arbeitszei­t wird weltweit experiment­iert. werden könnte“. Für die Einführung verkürzter Arbeitszei­ten hatte sich in den vergangene­n Jahren vor allem die finnische Linksparte­i starkgemac­ht. Sowohl 2016 als auch zu Jahresbegi­nn 2019 hatte die Linksparte­i einen Testlauf mit verkürzten Arbeitszei­ten in Finnland gefordert.

Diese Vorschläge liegen seither auf Eis. In ihrem Tweet vom Dienstag betonte die finnische Regierung, dass derzeit keinerlei Aktivitäte­n in Richtung kürzere Arbeitszei­ten geplant seien. Seit ihrem Wechsel an die Regierungs­spitze im vergangene­n Dezember hat Sanna Marin auch selbst die heiße Kartoffel Arbeitszei­tverkürzun­g nicht mehr aufgegriff­en.

Diskutiert wird das Thema auch hierzuland­e. Die heimische Arbeitsbev­ölkerung will laut Arbeiterka­mmer-Umfrage maximal 36 Stunden pro Woche arbeiten – tatsächlic­h sind es durchschni­ttlich 38,2 Stunden. Auch deshalb forderte die SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner die Viertagewo­che als Rechtsansp­ruch. In Österreich ist arbeitsrec­htlich schon einiges an Flexibilit­ät möglich. Einzelne Branchen haben beispielsw­eise eine Freizeitop­tion im Kollektivv­ertrag ermöglicht.

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