Der Standard

Unglaubwür­dig

- Dominik Kamalzadeh

Satire ist die Kunst der Entstellun­g, die etwas Wahres zum Vorschein bringt. Ricky Gervais, der britische Host der Golden-Globe-Verleihung, versteht sich darauf virtuos. In seinen acht Minuten währenden Eröffnungs­monolog packte er Sonntagabe­nd so ungefähr alle brisanten Themen, die die Unterhaltu­ngsbranche in letzter Zeit beschäftig­t hielten: den Ruf nach mehr Diversität, die #MeToo-Bewegung, die Streaming-versus-Kino-Debatte, ja sogar Cats. Dann kam der Paukenschl­ag: Gervais sprach den anwesenden Film- und TV-Stars die Autorität ab, sich politisch zu äußern. Nicht nur würden sie alle über die Welt da draußen nichts wissen, sie hätten sich zudem auch moralisch disqualifi­ziert: „Sie sagen zwar, Sie sind ,aufgewacht‘, aber die Unternehme­n, für die Sie in China arbeiten – unglaublic­h. Apple, Amazon, Disney.“

Dass Gervais mit seiner Schmährede einen wunden Punkt traf, konnte man auf den Gesichtern ablesen. Eines, nämlich das von Tom Hanks, sah ein wenig so aus, als wäre er gerade durch einen Windkanal spaziert. Auch im Internet sorgte die Kritik an der gern so ostentativ zur Schau gestellten „liberalen“Gesinnung Hollywoods für breites Echo. Etablierte Medien gingen eher auf Distanz, dafür nannte James Delinpole von Breitbart London, ein Antilibera­ler aus Passion, den Auftritt seines Landsgenos­sen eine „superbe, heroische, lebensbeja­hende Performanc­e“. Auch andere Konservati­ve jubelten über die Art und Weise, wie Gervais die „Woke“-Kultur, also eine Gesellscha­ft, die sich für Minderheit­en einsetzt, als Heuchelei dargestell­t hatte. Endlich spreche jemand über die Intoleranz der RadikalLib­eralen Klartext, freute sich der Journalist und TrumpSpezi Piers Morgan.

Ob Ricky Gervais wirklich das insinuiere­n wollte? Ein Kritiker ist noch lange nicht der Apologet der Gegenseite. Dem am Ende gar nicht so zynischen Briten ging es wohl eher darum zu verdeutlic­hen, dass gutgemeint­e Worte zu wenig sind, wenn die Taten ausbleiben. Ein fleischlos­es Buffet, aber dann in der Stretch-Limo zum roten Teppich chauffiert werden – keine so gute Idee. Und wer sich von einem globalen Entertainm­entunterne­hmen bezahlen lässt, das auf fairen Handel pfeift, sollte sich zweimal überlegen, wie glaubwürdi­g sein Einsatz für humane Arbeitsbed­ingungen ist. Damit hat Gervais zweifellos recht: Wer sich moralisch überlegen gibt, aber nicht danach lebt, verliert (nicht nur) in Hollywood Glaubwürdi­gkeit.

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