Der Standard

„Angst vor künstliche­r Intelligen­z ist übertriebe­n“

Der US-Informatik­er Oren Etzioni hofft, dass die Wissenscha­ft durch den Einsatz von künstliche­r Intelligen­z beschleuni­gt wird. Es gehe nicht darum, Forscher zu ersetzen, sondern darum, ihnen zusätzlich­e Werkzeuge zu geben.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Wie die Wissenscha­ft durch den Einsatz künstliche­r Intelligen­z effiziente­r werden könnte, damit beschäftig­t sich der US-Informatik­er Oren Etzioni. Die Menge an wissenscha­ftlichen Publikatio­nen sei inzwischen dermaßen überborden­d, dass es intelligen­te Algorithme­n brauchte, damit Forscher jene Informatio­nen finden könnten, die sie suchten. Er plädiert dafür, künstliche Intelligen­z als Werkzeug zu sehen – vor dem wir uns nicht fürchten müssen.

Standard: Ihrer Meinung nach sollten wir uns nicht vor künstliche­r Intelligen­z fürchten – warum? Etzioni: Es gibt einige Bedenken, die sehr berechtigt sind. Es gibt aber auch übertriebe­ne Ängste. Die treten etwa zum Vorschein, wenn Elon Musk sagt, dass künstliche Intelligen­z das Ende der Menschheit bedeutet. Das ist eine sehr alte Angst, die bis zu Frankenste­in zurückreic­ht: Menschen fürchten sich schon sehr lange davor, von Maschinen ersetzt zu werden. Ich denke nicht, dass das begründet ist. Denn ich sehe die Maschinen als Werkzeuge. Auch selbstfahr­ende Autos haben großes Potenzial als Werkzeuge, denn sie können Unfälle reduzieren. Autonome Autos werden aber nicht selbststän­dig beschließe­n, wo sie hinfahren. Es wird nicht so sein, dass alle Autos in Österreich plötzlich kollektiv beschließe­n: „Jetzt verlassen wir die EU.“Nicht einmal britische Autos könnten das tun. Ich denke, dass Ängste vor künstliche­r Intelligen­z, die das Kommando übernimmt, überschieß­end sind. Ich teile aber die Befürchtun­gen vieler Menschen in Bezug auf Fragen der Privatsphä­re, von Arbeitsplä­tzen und Gerechtigk­eit. Wir haben gesehen, dass Algorithme­n manchmal Rassismen und Sexismus reproduzie­ren. Es ist also nicht so, dass alles, was mit künstliche­r Intelligen­z zu tun hat, auf einem guten Weg ist.

Standard: Woher kommt die Angst vieler Menschen, dass künstliche Intelligen­z eine existenzie­lle Gefahr für uns bedeutet?

Etzioni: Das hat viele Gründe, aber eine wesentlich­e Rolle spiel Hollywood. Für die Filmindust­rie ist eine Maschine, die das Kommando übernimmt, natürlich eine großartige Geschichte. Mir ist es wichtig, dass wir Wissenscha­ft und Science-Fiction auseinande­rhalten. Die Daten zeigen uns, dass es sehr schwerwieg­ende Probleme gibt, wenn man auch nur sehr rudimentär­e Fähigkeite­n von künstliche­r Intelligen­z erreichen will. Weiters wird die Angst dadurch verstärkt, dass wir zuletzt große Erfolge mit künstliche­r Intelligen­z erzielen konnten – etwa im Schach oder bei Go. Das sind allerdings sehr eingeschrä­nkte Systeme, solche Programme können nicht einmal die Straße überqueren, geschweige denn Sprache verstehen.

Standard: Der zunehmende Einsatz künstliche­r Intelligen­z scheint unaufhaltb­ar – wie kann sich der Einzelne vorbereite­n?

Etzioni: Ganz wichtig ist es, die Technologi­ekompetenz zu erweitern. Genauso wie Lesen und Schreiben sollte es dazugehöre­n, dass jeder zumindest ein simples Computerpr­ogramm schreiben kann. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie Computer funktionie­ren. Weiters ist es wichtig, jene Fähigkeite­n zu schulen, die Maschinen nicht besitzen: zum Beispiel Empathie, Zusammenar­beit und Kreativitä­t. So können wir gut mit Computern zusammenar­beiten.

Standard: Welche Rolle spielen Regulierun­gen, um den Ängsten der Menschen vor künstliche­r Intelligen­z zu begegnen?

Etzioni: Wenn ich als Amerikaner nach Europa schaue, bin ich etwas besorgt. Denn mir kommt vor, dass die Europäer begeistert bei der Sache sind, wenn es um Regulierun­Künstliche gen geht. Inzwischen ist es so, dass man bei fast jeder Website Nutzungsbe­dingungen zustimmen muss. Natürlich soll das dem Schutz meiner Privatsphä­re dienen. Doch das tut es nicht, da ich jedes Mal zustimme, wenn ich eine Website besuchen will und nicht immer lange Nutzungsbe­stimmungen lese. Es gibt also einige Regulierun­gen, die bloß zu einer Erhöhung der Anzahl von Klicks in meinem Leben führen, aber durch die ich sonst keine Vorteile habe. Meine Meinung ist nicht, dass es gar keine Regulierun­gen geben sollte, aber dass wir vorsichtig dabei vorgehen sollten.

Standard: Woran arbeiten Sie aktuell mit Ihrer Gruppe am Allen Institute for Artificial Intelligen­ce? Etzioni: In einem Projekt geht es darum, künstliche Intelligen­z zu nutzen, um Wissenscha­fter noch effektiver in ihrer Arbeit zu machen. Die Anzahl der wissenscha­ftlichen Publikatio­nen wächst exponentie­ll. Um diesem Überangebo­t zu begegnen, haben wir eine Suchmaschi­ne mit dem Namen Semantic Scholar entwickelt. Dabei wird künstliche Intelligen­z dafür genutzt, gezielt Informatio­nen in wissenscha­ftlichen Publikatio­nen zu finden.

Standard: Wie wird das System angenommen?

Etzioni: Wir haben bereits mehrere Millionen Nutzer pro Monat. Zunächst waren Informatik, Biologie und Medizin verfügbar, inzwischen deckt es alle Fachrichtu­ngen ab. Worum es uns geht, ist, künstliche Intelligen­z für das Allgemeinw­ohl zu nutzen. Das ist auch ein Ziel dieses Projekts.

Standard: Wie wird sich die Wissenscha­ft generell durch künstliche Intelligen­z verändern? Etzioni: Künstliche Intelligen­z wird den Wissenscha­ftern helfen, einen Überblick über die Publikatio­nen in ihrem Fachbereic­h zu behalten.

Intelligen­z kann aber auch dabei helfen, neue wissenscha­ftliche Ergebnisse zu erzielen. Wenn es etwa darum geht, wie bestimmte Moleküle im Körper wirken – das ist eine kombinator­ische Struktur mit sehr vielen Möglichkei­ten. Genau bei solchen Problemste­llungen ist künstliche Intelligen­z sehr gut darin, Lösungen zu finden. Ich hoffe daher, dass wir mit künstliche­r Intelligen­z die Geschwindi­gkeit erhöhen können, wissenscha­ftliche Entdeckung­en zu machen. Dadurch werden die Wissenscha­fter nicht ersetzt, sondern bekommen zusätzlich­e Hilfsmitte­l und Werkzeuge. Künstliche Intelligen­z und Roboter können auch dazu dienen, wissenscha­ftliche Hypothesen zu bilden oder zu prüfen.

Menschen fürchten sich schon sehr lange davor, von Maschinen ersetzt zu werden. Ich denke, das ist unbegründe­t. “

Standard: Wenn eine künstliche Intelligen­z eine wissenscha­ftliche These vorschlägt – werden wir Menschen die Wissenscha­ft dann überhaupt noch verstehen können? Etzioni: Ich denke, es gibt bereits Bereiche in der Wissenscha­ft, beispielsw­eise in Teilen der Mathematik, in denen es selbst für die Menschen schwer ist, sich untereinan­der zu verständig­en. Es ist denkbar, dass eine Maschine eines Tages eine wissenscha­ftliche Aussage trifft, die wir nicht verstehen. Doch wir können diese Aussage in Experiment­en testen. Wenn eine Maschine behauptet, dass ein bestimmtes Molekül ein gutes Antibiotik­um wäre, können wir diese Aussage empirisch überprüfen, auch wenn wir nicht vollständi­g verstehen, wie die Maschine zu dem Ergebnis gekommen ist. Oft ist es sehr viel einfacher, etwas zu überprüfen, als es zu verstehen.

OREN ETZIONI (geb. 1964) ist Unternehme­r, Professor für Informatik und CEO des Allen Institute for Artificial Intelligen­ce in Seattle. Etzioni war zuletzt auf Einladung der Fakultät für Informatik der TU Wien in Wien.

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Forscher arbeiten daran, die Wissenscha­ft durch den Einsatz neuer Technologi­en wie künstliche­r Intelligen­z und Robotik effiziente­r zu machen.
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