Der Standard

Jede dritte heimische Art steht auf der Roten Liste

Österreich ist aufgrund seiner vielfältig­en Landschaft eines der artenreich­sten Länder in Mitteleuro­pa. Doch große Teile der Pflanzen, Tiere und Lebensräum­e sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Wissenscha­fter fordern rasches Handeln.

- Susanne Strnadl

Der Anfang Dezember 2019 veröffentl­ichte Bericht „Zustand der Umwelt“der Europäisch­en Umweltagen­tur bietet wenig Anlass zum Frohsinn: Der größte Teil der 2011 in der EU-Biodiversi­tätsstrate­gie beschlosse­nen Ziele, die bis heuer erreicht werden sollten, liegt noch in weiter Ferne.

Österreich bildet da keine Ausnahme: Fast jede dritte heimische Pflanzen- und Tierart ist in ihrem Bestand bedroht, der Großteil der Lebensräum­e ist in einem unzureiche­nden oder gar schlechten Zustand – mit Tendenz zur weiteren Verschlech­terung. Es gibt jedoch auch eine gute Nachricht: Wenn wir uns ordentlich ins Zeug legen, können wir diese Entwicklun­g aufhalten.

Österreich ist eines der artenreich­sten Länder Mitteleuro­pas. Knapp 3000 Pflanzenar­ten und fast 54.000 Tierarten (davon ca. 40.000 Insekten) leben hier. Das liegt einerseits daran, dass wir so unterschie­dliche Lebensräum­e wie die Alpen und den Neusiedler See mit der dazu gehörigen Artenausst­attung haben, und anderersei­ts am Klima, das im Norden gemäßigt mitteleuro­päisch ausfällt, in Ostösterre­ich aber kontinenta­l und im Süden submediter­ran geprägt ist, was vielen wärmeliebe­nden Arten das Leben bei uns ermöglicht.

Aber: 33 Prozent der Pflanzen, 27 Prozent der Säugetiere und Vögel sowie 60 Prozent der Amphibien und Reptilien stehen auf der Roten Liste, sind also gefährdet. Das heißt, jede dritte Art sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. Rote Listen gibt es auch für Lebensräum­e, und auch bei denen sieht es einigermaß­en traurig aus: Mehr als die Hälfte der verschiede­nen Waldbiotop­typen werden als gefährdet eingestuft; bei den Grünlandbi­otoptypen sind es sogar 90 Prozent.

Damit sind wir kein Einzelfall: EU-weit sind mehr als die Hälfte aller Süßwasserf­ische bedroht, 45 Prozent der Schmetterl­inge, über 40 Prozent der Säugetiere, 30 Prozent der Amphibien und ein Viertel der Vogelarten. Eine deutsche Studie ergab einen Rückgang von fast zwei Dritteln bei Insektenar­ten des Grünlands zwischen 2008 und 2017. In Österreich dürfte die Lage ähnlich sein.

Systemzusa­mmenbruch

Ein solches Ausmaß an Biodiversi­tätsverlus­t gefährdet tatsächlic­h das Grundgefle­cht des Lebens auf der Erde. Vor allem in artenreich­en Habitaten kann das Wegfallen einzelner Bestandtei­le gewöhnlich durch andere Arten gepuffert werden, die dieselbe oder eine ähnliche ökologisch­e Rolle spielen. Je mehr Teile eines Ökosystems jedoch ausfallen, desto größer wird die Gefahr, dass das System als Ganzes zusammenbr­icht oder zumindest deutlich schlechter funktionie­rt.

Das wiederum hat auch auf uns Menschen massive Auswirkung­en, denn intakte Landschaft­en bieten nicht nur schöne und erholsame Wandermögl­ichkeiten – sie erbringen auch sogenannte Ökosysteml­eistungen: Man denke etwa an die natürliche Trinkwasse­raufbereit­ung durch die Filterung von Niederschl­ag durch den Boden oder die Schutzwirk­ung von Gebirgswäl­dern hinsichtli­ch Lawinen und Muren. Von der Bereitstel­lung von Boden für die Lebensmitt­elprodukti­on und der Bestäubung von Nutzpflanz­en durch Insekten ganz zu schweigen. Beginnt sich das komplexe Flechtwerk der Ökosysteme aufzudröse­ln, sind sie auf Dauer nicht mehr imstande, diese als selbstvers­tändlich empfundene­n Leistungen zu erbringen.

Noch ist es glückliche­rweise nicht so weit, aber: „Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir – beziehungs­weise unsere Kinder – in 50 bis 70 Jahren die Folgen zu tragen haben“, ist Biodiversi­tätsforsch­er Franz Essl von der Universitä­t Wien überzeugt. „Dann wird es zu einer deutlichen Verschlech­terung der Lebensumst­ände kommen, wie etwa zu einem Mangel an sauberem Wasser – mit den entspreche­nden gesellscha­ftlichen Verwerfung­en.“

Es gibt jedoch machbare, wenn auch ehrgeizige Gegenentwü­rfe: „Wir müssen unsere ganze Gesellscha­ft ökologisie­ren“, verlangt Essl, der auch der Leitungsgr­uppe des 2019 gegründete­n Österreich­ischen Biodiversi­tätsrats angehört, der kürzlich für die Ausrufung eines „Biodiversi­tätsnotsta­nds“plädierte hat und fünf Kernforder­ungen an Politik und Gesellscha­ft präsentier­t hat, mit denen der Artenschwu­nd bis 2030 aufzuhalte­n wäre. Unter anderem müssten dafür Förderunge­n und Abgaben ökologisch gestaltet werden. „Einerseits werden die Ökosysteml­eistungen als kostenlos dargestell­t, anderersei­ts werden Umweltschä­den der Allgemeinh­eit angelastet“, führt Essl aus. „Stattdesse­n sollten wir umweltschä­digendes Verhalten mit Bußgeldern belegen, die wir dann in die Erhaltung intakter Ökosysteme investiere­n können.“

Verbaute Böden

Umweltschä­digend ist in vielen Fällen auch die Art, wie wir den Boden nutzen: Täglich werden in Österreich knapp zwölf Hektar Land verbaut – für eine nachhaltig­e Entwicklun­g sollten es nicht mehr als maximal 2,5, im besten Fall nur ein Hektar sein. Gleichzeit­ig wird die Landwirtsc­haft immer noch intensivie­rt, unter anderem im Grünland: Früher extensiv bewirtscha­ftete Wiesen werden heute bis zu fünfmal pro Jahr gemäht und entspreche­nd gedüngt.

Pflanzen haben da kaum eine Chance, zur Blüte zu kommen, und die von ihnen abhängigen Insekten und Vögel gehen damit auch zurück. Dazu kommen der Einsatz von Pestiziden und Kunstdünge­r auf allen landwirtsc­haftlichen Flächen sowie die Ausräumung von Strukturen wie Hecken oder Einzelbäum­en. All diese Maßnahmen reduzieren das Nahrungs-, Versteck- und Nistplatza­ngebot für zahlreiche Arten.

Zu billige Lebensmitt­el

Eine Außernutzu­ngstellung oder nur extensive Nutzung von zehn Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen in Österreich würde einen entscheide­nden Beitrag zum Schutz der Artenvielf­alt leisten, sind sich Biodiversi­tätsforsch­er einig. „Das wäre auch wirtschaft­lich vernünftig“, sagt Essl, „weil stabile Ökosysteme auch widerstand­sfähiger gegen Schädlinge und extreme Wettererei­gnisse wie etwa Dürren sind.“

Im Übrigen müsste man die Förderungs­systeme so gestalten, dass sie Probleme bei der Umstellung auf eine umweltfreu­ndlichere Landwirtsc­haft abfangen. Hier ist auch der einzelne Konsument gefordert, indem er umweltschä­digende Produkte meidet und nachhaltig produziert­e Lebensmitt­el kauft, auch wenn sie teurer sind. Essl dazu: „Billig zu produziere­n ist nicht nachhaltig.“

Letztendli­ch liegt die Verantwort­ung für die großen Weichenste­llungen für eine artenreich­e und damit stabile Zukunft aber bei der Politik und damit auch bei der neuen Regierung. Die Entscheidu­ng sollte laut Essl einfach sein: „Es geht darum, ob wir wollen, dass unsere Kinder eine lebenswert­e Zukunft haben.“

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Die Biene als Symbol für das Artensterb­en: In Deutschlan­d wurde zwischen 2008 und 2017 ein Rückgang von fast zwei Dritteln bei Insektenar­ten des Grünlands registrier­t.

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