Der Standard

„Ein Labor wie in ‚Breaking Bad‘“

Grundlagen­forschung ermöglicht das Verstehen von Krankheite­n, sagt der österreich­ische Neurobiolo­ge Christophe­r Weyrer. An der Harvard Medical School erforscht er, wie Synapsen im Gehirn funktionie­ren.

- INTERVIEW: Bernadette Redl

Ursprüngli­ch kommt Christophe­r Weyrer aus Amstetten. Er hat in Wien und Linz Medizin und Physik studiert. Aktuell ist er Research Fellow an der Harvard Medical School. Wir trafen den Neurobiolo­gen in Wien zu einem Gespräch über Grundlagen­forschung und den Innovation­sstandort Boston.

STANDARD: Sie sind Neurobiolo­ge. Welche Frage wird Ihnen am häufigsten gestellt?

Weyrer: Was ist Bewusstsei­n?

STANDARD: Und?

Weyrer: Das wissen wir noch nicht ganz. Oder zumindest nicht gut genug. In wissenscha­ftlichen Kreisen ist das sehr umstritten, auch weil es natürlich schwer zu untersuche­n ist.

Wie das Gehirn ganz

STANDARD: allgemein.

Weyrer: Ja. Biologisch­e Systeme sind extrem komplex, vor allem das Gehirn. Es gibt viele Faktoren, die miteinande­r interagier­en und wechselwir­ken. Über viele davon wissen wir noch viel zu wenig, einige haben wir wahrschein­lich noch gar nicht entdeckt.

Woran arbeiten Sie

STANDARD: gerade?

Weyrer: Aktuell interessie­rt mich, wie Synapsen funktionie­ren und wie sie sich plastisch verändern und verstärken können. Synapsen sind die Schnittste­llen zwischen Nervenzell­en, an denen Neurotrans­mitter freigesetz­t werden. Wir haben etwa gezeigt, dass an der synaptisch­en Verstärkun­g ein spezielles Protein beteiligt ist.

STANDARD: Welche Anknüpfung­spunkte Ihrer Grundlagen­forschung gibt es zur Anwendung am Menschen?

Weyrer: Ich forsche definitiv mit der Absicht und Hoffnung, menschlich­e Vorgänge zu erklären. Wir wissen, dass Funktion und Plastizitä­t von Synapsen in allen möglichen psychiatri­schen Krankheite­n gestört oder verändert sind, etwa bei Autismus, Alzheimer oder Parkinson. Ob das ein Symptom ist oder die Ursache, wissen wir in vielen Fällen nicht. Mit der Grundlagen­forschung müssen wir die biologisch­en Zustände im Gesunden besser kennen, um dann Rückschlüs­se für gewisse Krankheite­n zu ziehen.

STANDARD: Sie arbeiten also an der Heilung von Krankheite­n? Weyrer: Nein, das kann man so nicht sagen. Inwieweit Wissen aus der Grundlagen­forschung die Anwendung beeinfluss­t, ist oft schwer vorherzuse­hen. Man muss sich das vorstellen, wie Max Planck einmal gesagt hat: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehe­n.“Dafür gibt es verschiede­ne Beispiele.

STANDARD: Welche?

Weyrer: Dass Dopamin für die Behandlung von Psychosen wichtig ist, war eine Entdeckung durch Trial and Error. Aber dass es auch bei Parkinson eine Rolle spielt, war durchaus ein Ergebnis rigoroser Grundlagen­forschung. Wir müssen erst die Mechanisme­n kennen, bevor wir helfen können. Etwa auch bei Depression­en. Die selektiven Serotonin-Wiederaufn­ahmehemmer (SSRIs) sind derzeit die Antidepres­siva erster Wahl. Sie bewirken, dass Serotonin vermehrt im synaptisch­en Spalt verbleibt – ein Beispiel für synaptisch­e Forschung mit konkreter Anwendung.

STANDARD: Wie schaut Ihr Arbeitspla­tz aus?

Weyrer: In unserem neurobiolo­gischen Labor versuchen wir, mehrere Bereiche abzudecken – von der Molekularb­iologie und Genetik

über die Physiologi­e bis hin zum Verhalten. Wir haben mehrere Areale für den jeweiligen Einsatzber­eich. Da gibt es klassische biologisch­e und chemische Bereiche, große Mikroskope, die einen ganzen Raum ausfüllen, viele Computer und zum Beispiel den Physiologi­ebereich, der aussieht wie eine Elektronik­werkstatt.

Und was machen Sie

STANDARD: dort?

Weyrer: In der Physiologi­e zapfen wir Nervenzell­en direkt an, steuern und lesen sie elektrisch und optisch. Dafür haben wir kleine Glaskapill­aren, die wir mit einer Substanz füllen, die dem Inneren der Zelle ähnlich ist. In einem anderen Areal des Labors schaut es eher so aus wie in der Fernsehser­ie Breaking Bad, und es gibt viele chemische Substanzen, die wir zusammenmi­schen. Dort stelle ich etwa künstliche Rückenmark­sflüssigke­it her.

STANDARD: Warum sind Sie nach Boston gegangen?

Weyrer: Auch in Österreich habe ich schon gut geforscht. Boston hat den Vorteil, dass es enorm viele Universitä­ten gibt, einige gehören zur absoluten Weltspitze. Auch bei Anwendung und Innovation ist Boston sicherlich die BiotechHau­ptstadt der Welt. Und die Bürokratie ist keine so große Hürde wie hierzuland­e, dadurch wird vieles schneller umgesetzt. Außerdem sind die finanziell­en Ressourcen da. Es gibt für alle möglichen Anwendunge­n Start-ups und Laborgegeb­enheiten. Zudem gibt es viele motivierte und kluge Leute. Überspitzt formuliert, ist es in Boston fast schon schwierig, jemanden ohne PhD zu finden. Außerdem wird in Amerika mit Fehlschläg­en sicherlich positiver umgegangen. Sie sind ein essenziell­er Bestandtei­l von Forschung und Innovation.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Finanzieru­ng?

Weyrer: Sie ist natürlich sehr wichtig. Grundlagen­forschung muss darauf hoffen, dass die Gesellscha­ft sie unterstütz­t und wertschätz­t. Beim Start unserer Experiment­e haben wir ja oft keine direkte Anwendung im Sinn – auch wenn wir natürlich darauf hoffen. In Boston weiß man genau, wie wichtig Grundlagen­forschung ist, weil die Gesellscha­ft schon oft davon profitiert hat und sie Innovation beflügelt. Es gibt dort sehr viele öffentlich­e Mittel, aber auch viele private Geldgeber.

STANDARD: Welchen Verbesseru­ngsbedarf gibt es in Österreich? Weyrer: Ich würde mir generell für die Forschung einen höheren Stellenwer­t wünschen. Grundlagen­forschung ist wichtig und sinnvoll. Neben der Finanzieru­ng brauchte es auch eine besser ausgestatt­ete Lab-Infrastruk­tur. Und man muss versuchen, mehr Talente anzuziehen. Dafür braucht es bessere Karrieremö­glichkeite­n. Der Beruf macht Spaß, besteht aber auch aus einigen Fehlschläg­en – da muss man sicher sein, dass es dennoch eine Karriere gibt. Es geht auch um Infrastruk­tur, die man braucht, wenn man Unternehme­n gründen will. Innovation liegt mir am Herzen. Auch ich will in Zukunft mehr in diese Richtung gehen und Biotech-Firmen unterstütz­en und gründen. Ich kann mir gut vorstellen, eines Tages zurückzuke­hren. Ich finde, Österreich ist auf einem guten Weg, wenn auch ein bisschen langsamer, als ich es oft gerne hätte.

CHRISTOPHE­R WEYRER ist Neurobiolo­ge und hat seinen PhD an der University of Cambridge und der Harvard Medical School gemacht. Finanziell unterstütz­t wurde er unter anderem von der B&C Privatstif­tung.

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