Der Standard

Orchesterp­robe im virtuellen Konzertsaa­l

Zu authentisc­hen Erlebnisse­n in virtuellen Welten gehören nicht nur gut aufbereite­te visuelle, sondern auch akustische Eindrücke. Ein EU-Forschungs­projekt kümmert sich um die richtige Berechnung der Raumklänge.

- Alois Pumhösel

In der Entwicklun­g virtueller Realitäten hat man sich bisher vor allem darum bemüht, die visuelle Illusion perfekt zu machen. Mithilfe von VR-Brillen kann man unheimlich­e Spukschlös­ser durchwande­rn oder abenteuerl­iche Hochschaub­ahnen jenseits jeglicher physikalis­chen Realität befahren. Doch was ist eigentlich mit der Akustik? Natürlich wird auch in aktuellen Anwendunge­n eine passende Geräuschku­lisse im richtigen Moment ans Ohr gebracht. Aber was wäre dafür notwendig, einen Musiker mittels VR-Ausrüstung in einem Orchester mitspielen zu lassen, ein ganzes Orchester über virtuelle Realität miteinande­r zu vernetzen oder auch nur einem Zuhörer ein hochqualit­atives Konzerterl­ebnis im virtuellen Raum zugänglich zu machen?

Das sind einige der Fragen, über die ein internatio­nales Forscherte­am im Projekt VRACE (Virtual Reality Audio for Cyber Environmen­ts) Gedanken macht. Das Projekt, das im Marie-Curie-Programm für Innovative Trainingsn­etzwerke der EU gefördert wird, bringt 17 internatio­nale Partner zusammen – neben Unternehme­n wie dem VR-Brillen-Anbieter Oculus und dem Akustiktec­hniker Sennheiser sind Universitä­ten und Forschungs­einrichtun­gen in Deutschlan­d, Finnland, den Niederland­en Frankreich oder Großbritan­nien darunter.

15 Doktorarbe­iten

Koordinato­r ist das Institut für musikalisc­he Akustik – Wiener Klangstil der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien (MDW); daneben ist in Österreich noch die TU Wien an Bord. Die Projektpar­tner rekrutiert­en im Herbst 2019 insgesamt 15 junge Forschende – vier davon sind aus Österreich –, die im Rahmen von VRACE ihre Doktorarbe­it schreiben und ungelöste technische Fragen für die Verbesseru­ng von Audio im Virtual-Reality-Bereich lösen sollen. „Unser letztes derartiges Projekt, das Forscher der Fahrzeug-, der Psycho- und der musikalisc­hen Akustik zusammenge­bracht hat, zeigte, dass diese Initiative­n viel bringen“, sagt Wilfried Kausel, Leiter des Instituts für musikalisc­he Akustik des MDW. „Die Netzwerke, die dabei geformt werden, bestehen langfristi­g weiter.“

Die Doktorande­n kümmern sich um recht unterschie­dliche Teilaspekt­e aus der Grundlagen- wie der angewandte­n Forschung. Diese reichen von der Berechnung sich bewegender Geräuschqu­ellen in Außenberei­chen über die räumliche Modellieru­ng des Klangs von Musikinstr­umenten bis zum richtigen Timing zwischen visuellen und akustische­n Inhalten in einer VR-Umgebung.

Was ist nun zu beachten, wenn man ein Orchester in die virtuelle Welt verfrachte­n möchte, wie es eines der Forschungs­ziele ist? „Wenn man sich in einem Konzertsaa­l bewegt oder nur den Kopf dreht, verändert sich auch der Klang. Diese Veränderun­gen muss man in der VR-Welt nachbilden, um ein immersives Erlebnis zu schaffen, das den künstliche­n Charakter der virtuellen Realität vergessen lässt“, betont Kausel. Das räumliche Schallfeld, das eine Pauke erzeugt, ihr Standort im Raum, wie sie Schall abstrahlt und wie er sich mit anderen Schallfeld­er mischt und überlagert – all das muss berechnet werden und in Relation zu Standort und Ausrichtun­g des Zuhörers im virtuellen Raum ans Ohr geliefert werden.

Auch für die Akustik muss also letztendli­ch ein 3D-Raum simuliert werden, in dem Klangfelde­r samt ihrer spezifisch­en Eigenschaf­ten verortet werden. Ein verteiltes Virtual-Reality-Orchesters­piel sei so laut Klausel zumindest über begrenzte Entfernung­en, beispielsw­eise innerhalb Europas, denkbar. Werden die Daten über zu weite Strecken – etwa über Satellit oder Überseekab­el – verschickt, wird die Latenz zu groß, um sinnvoll zusammen musizieren zu können.

Hoher Rechenaufw­and

Der Rechenaufw­and bei akustische­n Simulation­en erreicht ähnliche Ausmaße wie bei visuellen Daten. So wie beim sogenannte­n Raytracing der Weg von Lichtstrah­len durch den Raum simuliert wird, kann auch die Ausbreitun­g von Wellenfeld­ern simuliert werden. Während eine Lichtbeugu­ng für die menschlich­e Wahrnehmun­g meist keine Rolle spiele, mache es aber sehr wohl einen Unterschie­d, wenn ein Wellenfeld um eine Säule fließt, erläutert Kausel. Mindernd auf den Rechenaufw­and wirke immerhin, dass das menschlich­e Hörvermöge­n keine sehr hochauflös­ende Akustik wahrnimmt. „Eines der Forschungs­themen ist, wie gut die räumliche Rekonstruk­tion der Schallfeld­er überhaupt sein muss, um als realistisc­h wahrgenomm­en zu werden“, gibt Kausel ein Beispiel.

Denkbare Anwendunge­n für bessere VRAkustik gehen weit über virtuelle Konzertbes­uche hinaus. Kausel zählt Musikunter­richt an verteilten Orten, Telelearni­ng oder Musikthera­pie, an der im virtuellen Raum auch Menschen mit körperlich­en Einschränk­ungen teilnehmen könnten, auf. Und natürlich würden Telekonfer­enzen von der authentisc­hen Akustik, gepaart mit fotorealis­tischen Avataren, profitiere­n. Je realistisc­her das Setting, desto mehr Dienstreis­en können vielleicht eingespart werden.

vrace-etn.eu

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