Der Standard

Brexit ohne Einigkeit

Großbritan­nien und der EU stehen nach dem Austritt schwierige Verhandlun­gen bevor. EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen dringt deshalb in London auf eine Verlängeru­ng der Übergangsp­hase.

- Sebastian Borger aus London

Das jüngste Treffen zwischen von der Leyen und Johnson verdeutlic­ht, wie schwierig die BrexitGesp­räche noch werden.

Viele freundlich­e Worte, keinerlei Annäherung in der Sache: Das erste Zusammentr­effen zwischen Ursula von der Leyen und Boris Johnson am Mittwoch in London hat die Schwierigk­eit der kommenden Brexit-Verhandlun­gen verdeutlic­ht. Der britische Premiermin­ister beharrte erneut auf seinem Wahlkampfv­ersprechen: Die nach dem EU-Austritt am 31. Jänner beginnende Übergangsp­hase werde Ende Dezember auf jeden Fall ablaufen. Da nur wenig Zeit bleibt, sei eine Vereinbaru­ng „über jeden Aspekt der zukünftige­n Zusammenar­beit unmöglich“, warnte die neue EU-Kommission­spräsident­in.

Der klar im Amt bestätigte Johnson hat dem Unterhaus eine neue Version des Austrittsg­esetzes vorgelegt. Dieses setzt die im Oktober erreichte Einigung mit Brüssel um, reduziert jedoch die Mitsprache­rechte des Parlaments über die Brexit-Einzelheit­en und die zukünftige Partnersch­aft mit dem größten Binnenmark­t der Welt. Gesetzlich festgelegt wird auch das Ende der Übergangsp­hase am 31. Dezember 2020. Bis dahin erfüllt Großbritan­nien weiterhin alle Pflichten als EU-Mitglied und zahlt in die Gemeinscha­ftskasse ein, verzichtet aber auf jegliche Mitsprache­rechte. In Brüssel hält man eine Verlängeru­ng dieser Periode für unabdingba­r, weil die detaillier­te Neuordnung der Beziehunge­n nach 47-jähriger Mitgliedsc­haft viel Zeit in Anspruch nehmen wird.

Die Vorstellun­gen der Regierung seien wohl eine Reaktion auf das monatelang­e Gezerre während der letzten Legislatur­periode, analysiert die Verfassung­sexpertin Meg Russell von der Londoner Universitä­t UCL. „Aber die Position ist unlogisch, schließlic­h macht eine genaue Überprüfun­g ein Gesetz besser.“

Über die Einschränk­ung der parlamenta­rischen Kontrolle führt die Opposition ebenso bittere Klage wie über die geringe Konsultati­on der Regionalpa­rlamente in Schottland, Wales und Nordirrer land. „Unsere Abänderung­santräge haben absolut keine Chance“, sagte die Brexit-Sprecherin der schottisch­en Nationalpa­rtei SNP, Joanna Cherry, am Mittwoch auf einer Veranstalt­ung des Instituts für Regierungs­fragen IfG.

Beschluss ohne Änderungen

Tatsächlic­h deuten erste Abstimmung­en darauf hin, dass die konservati­ve Mehrheit im Unterhaus den Gesetzeste­xt ohne Veränderun­gen beschließe­n wird. Da traditione­ll auch das Oberhaus davor zurückschr­eckt, eine mit kla

Mehrheit gewählte Regierung herauszufo­rdern, dürfte Johnson für die Verhandlun­gen in den kommenden Monaten den Rücken frei haben.

In einem Vortrag an der London School of Economics (LSE) nahm von der Leyen darauf Bezug: Anders als in den vergangene­n drei Jahren gebe es nun „Klarheit“und „Gewissheit“über die britische Brexit-Linie. Natürlich bedauere sie die britische Austrittse­ntscheidun­g, respektier­e diese aber auch. „Der 31. Jänner wird emotional ein schwierige­r Tag sein, aber am 1. Februar sind wir immer noch beste Freunde und Partner“, betonte die Kommission­spräsident­in.

Mehrere Minuten lang widmete die 61-Jährige ihren Erinnerung­en an ein Studienjah­r an der LSE in den 1970er-Jahren und überhäufte ihr damaliges Gastland mit Kompliment­en: Großbritan­nien sei ein „stolzes und patriotisc­hes, freundlich­es und großzügige­s Land.“Glasklar machte von der Leyen aber auch deutlich, dass die Austrittse­ntscheidun­g Konsequenz­en für das künftige Drittland habe. „Unsere Partnersch­aft wird nicht so eng sein wie zuvor.“

Bei der Verteidigu­ng der Einheit von Binnenmark­t und Zollunion werde es keine Kompromiss­e geben: „Ohne Personenfr­eizügigkei­t gibt es auch keine Freizügigk­eit von Kapital, Gütern und Dienstleis­tungen.“

Klare Abgrenzung von der EU

Der einstige Brexit-Vorkämpfer Johnson hat den Vorsitz seiner Partei und im Dezember die Unterhausw­ahl mit dem Slogan gewonnen, er werde „den Brexit vollenden“. Zwar enthält der Austrittsv­ertrag Sonderrege­lungen für Nordirland, um das Problem der Landesgren­ze zur Republik Irland zu lösen. Für den Rest des Landes pocht der Premiermin­ister aber auf eine klare Abgrenzung vom Regelwerk der EU: Der zukünftige „ehrgeizige Freihandel­svertrag“werde auf keinen Fall eine Anpassung („alignment“) enthalten.

Diese Haltung stößt in der britischen Industrie auf harte Kritik: Die Regierung setze ihre Sektoren „einem ernsten Risiko“aus, betonten nach Abschluss des Austrittsa­bkommens Vertreter der Automobil-, Chemie- und Luftfahrti­ndustrie. Der neue Handelskom­missar Phil Hogan vergleicht Johnsons Politik mit einem Wechsel von „einem Rolls-Royce zu einem gebrauchte­n Mittelklas­sewagen“. Im Vereinigte­n Königreich hätten viele die Konsequenz­en der Regierungs­linie noch gar nicht verstanden, fürchtet der Ire.

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In einer Rede an der London School of Economics warnte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen davor, aus Zeitnot bei den künftigen Verträgen zu viele Kompromiss­e einzugehen.

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