Der Standard

Spekulatio­nen über Ursache des Absturzes der ukrainisch­en Maschine

176 Menschen starben in Wrack bei Teheran – Jordanien spricht von Abschuss durch Luftabwehr, Iran von einem Triebwerks­defekt

- André Ballin aus Moskau

Wenige Stunden nach einem iranischen Raketenang­riff auf US-Militärobj­ekte im Irak ist in Teheran am Mittwochmo­rgen ein Passagierf­lugzeug abgestürzt. Die Maschine der Ukraine Internatio­nal Airlines (MAU) verschwand nach dem Start Richtung Kiew vom Radar.

Auf Amateur-Videoaufna­hmen, die die Boeing 737 zeigen sollen, ist zu erkennen, dass das Flugzeug am Himmel in Flammen stand. Der jordanisch­e TV-Kanal Al Hadath twitterte ohne Quellenang­aben, das Flugzeug sei irrtümlich von der iranischen Luftabwehr abgeschoss­en worden. Diese habe sich den Spekulatio­nen zufolge wegen der erwarteten amerikanis­chen Antwort auf die Raketensch­läge in erhöhter Alarmberei­tschaft befunden. Eine Bestätigun­g für diese Meldungen gab es vorerst nicht. Zur Einordnung: Die Beziehunge­n zwischen dem Iran und Jordanien gelten als gespannt.

Teheran hingegen hatte sofort eine andere Version parat. Demnach ist das Flugzeug aufgrund technische­r Probleme abgestürzt. Eines der Triebwerke soll Feuer gefangen haben, worauf der Pilot die Kontrolle verlor. Zumindest würde auch diese Version den Feuerball am Himmel erklären.

In Kiew ist das Bild nicht so eindeutig: Die ukrainisch­e Botschaft im Iran hatte zunächst die Möglichkei­t eines Anschlags oder Raketentre­ffers

ausgeschlo­ssen und von einer technische­n Ursache gesprochen. Später redigierte die Botschaft die Meldung dahingehen­d, dass die Ermittlung­en zum Absturz noch liefen und es noch keine offizielle Version gebe.

Der Chef der Airline, Jewgeni Dychne, erklärte, bei dem Flieger habe es sich „um eines unserer besten Flugzeuge mit einer tollen und zuverlässi­gen Crew“gehandelt. „Wir garantiere­n die Einsatzber­eitschaft aller unserer Flugzeuge und die hohe Qualifikat­ion unserer Besatzunge­n.“Man habe alle Flüge nach Teheran eingestell­t. Eine Wahl hat die Airline ohnehin nicht mehr: Kiew untersagte bis zur Klärung der Umstände Flüge in und über den Iran.

Laut dem ukrainisch­en Ex-Vizeverkeh­rsminister Alexander Kawa hatte die Airline zwar finanziell­e Schwierigk­eiten und Schulden von rund 60 Millionen Dollar beim Flughafen Kiew-Borispol und der Flugaufsic­ht. „Informatio­nen darüber, dass die Airline die Reparatur ihrer Flugzeuge nicht finanziert habe, gab es aber nicht“, betonte er im Gespräch mit dem STANDARD. Das wäre auch schwierig, da die Maschinen geleast seien, so der Experte.

Aufklärung über die Unglücksur­sache sollen die Flugschrei­ber liefern, die bereits geborgen wurden. Der Iran will sie aber nicht an die Ukraine übergeben, weil sie dann zu Boeing in die USA gingen. Sonst konnten die Rettungskr­äfte wenig tun. Für die Insassen, 167 Passagiere und neun Crewmitgli­eder, gab es keine Rettung. Die Identifizi­erung der Leichen dürfte aufgrund der starken Verbrennun­gen sehr schwierig werden.

Die meisten Opfer stammen aus dem Iran, nämlich 82. 63 waren Kanadier. Elf Opfer – darunter neun Crewmitgli­eder – sind Ukrainer, zehn Schweden und vier Afghanen. Jeweils drei Opfer stammen aus Deutschlan­d und Großbritan­nien. Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Oman-Visite abgebroche­n und angekündig­t, dass die gesamte zivile Luftfahrtf­lotte der Ukraine überprüft werde. Er verfügte zudem, dass der Staatsanwa­lt ein Strafverfa­hren eröffnet.

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