Der Standard

Neutralitä­t mit vielen solidarisc­hen Elementen

Österreich hat viel über einen möglichen Beitritt zu Sicherheit­ssystemen diskutiert – und sich still an vielen Einsätzen beteiligt

- Conrad Seidl

Eines zu betonen wurde der damalige Bundeskanz­ler Franz Vranitzky (SPÖ) rund um die EU-Volksabsti­mmung und den EU-Beitritt nicht müde: „Österreich geht als neutrales Land in die EU.“Diese Feststellu­ng war vor allem deshalb wichtig, weil in der Wählerscha­ft zwei Bedenken gegen den Beitritt zur Union geherrscht haben: Der Beitritt könne für die Bauern Erschwerni­sse und für die Neutralitä­t das Ende bedeuten.

Mit der Landwirtsc­haft argumentie­rten die eher konservati­ven EU-Skeptiker, mit der Neutralitä­t eher die Anhänger von SPÖ und Grünen. Und das zu einer Zeit, als der Kalte Krieg gerade zu Ende gegangen war und Exmitglied­er des Warschauer Pakts sich für eine Nato-Mitgliedsc­haft zu interessie­ren begannen. Eine Market-Umfrage für den STANDARD ergab im Mai 1993, dass das höchste Interesse an den Beitrittsv­erhandlung­en zur damaligen EG lautete: „Verhandlun­gsziel muss sein, dass die Neutralitä­t durch den EGBeitritt nicht gefährdet wird.“

Als dann nach positiver Volksabsti­mmung der EU-Beitritt vollzogen wurde, blieb Österreich formell neutral, bekam aber per Jänner 1995 Beobachter­status bei der Westeuropä­ischen Union (WEU), einem Beistandsp­akt der EU-Staaten, der laut der zitierten Umfrage vom Mai 1993 von 66 Prozent der österreich­ischen Bevölkerun­g abgelehnt wurde.

Die WEU war schon damals unbedeuten­d, ab dem Jahr 2000 gab es keine Sitzungen mehr. 2010 wurde die WEU aufgelöst, ohne dass das besondere Aufmerksam­keit erregt hätte. Stattdesse­n gab es in Österreich alle paar Jahre eine – stets fruchtlose – Diskussion darüber, ob das Land vielleicht der Nato beitreten sollte. Damit verbunden war einerseits das Liebäugeln mit einer transatlan­tischen Bindung (abhängig davon, wie populär der jeweilige US-Präsident gerade in Österreich war) und anderersei­ts die vage Hoffnung, dass eine internatio­nalisierte Wehrpoliti­k billiger sein könnte als das ohnehin zu schwach ausgestatt­ete Bundesheer.

Im Schatten der in der breiten Öffentlich­keit geführten Diskussion­en über eine Nato-Mitgliedsc­haft begann Österreich aber, eine weitreiche­nde Sicherheit­skooperati­on im Rahmen der europäisch­en Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik (GSVP) einzugehen. Hatte sich das Bundesheer bis dahin internatio­nal nur in Blauhelm-Missionen der Uno engagiert, so begann 1999 die bis heute dauernde Beteiligun­g an von der Nato geführten KosovoTrup­pe KFOR.

Nato-Zusammenar­beit

Ebenso beteiligte sich Österreich an der Eufor-Truppe in Bosnien, und ab 2002 nahmen österreich­ische Soldaten im Rahmen der Partnersch­aft für den Frieden (PfP) auch an Nato-Manövern teil. In Nato-Operatione­n eingebunde­n zu sein wurde für die österreich­ischen Militärs zur Normalität. Österreich­s Innenpolit­ik war in jenen Jahren der schwarz-blauen Koalition so sehr mit sich selbst beschäftig­t, dass etwa der erste Einsatz in Afghanista­n unter Nato-Führung gar nicht auffiel.

Und ebenso wenig fiel auf, dass sich österreich­ische Soldaten bei solchen Einsätzen immer wieder durch Heldentate­n ausgezeich­net haben – dass ein Bundesheer-Soldat im Afghanista­n-Einsatz 2015 eine US-Tapferkeit­smedaille erhalten hat, war in der heimischen Öffentlich­keit kaum ein Thema.

Auch dass Österreich 2015 seine Hercules-Transportf­lugzeuge zur Unterstütz­ung Frankreich­s (das sich auf die Beistandsk­lausel laut Artikel 42 Abs. 7 des EU-Vertrags berufen hatte) nach den Terroransc­hlägen eingesetzt hat, wurde nicht breit diskutiert.

Generalmaj­or Johann Frank von der Direktion für Sicherheit­spolitik im Verteidigu­ngsministe­rium sagt im STANDARD-Gespräch: „Den Vorwurf, wir wären ein sicherheit­spolitisch­er Trittbrett­fahrer, kann man uns nicht mehr machen.“Immerhin hat Österreich vier Mal Truppentei­le für die EUBattlegr­oups eingemelde­t (auch wenn diese nie eingesetzt wurden), es ist unter den top drei Nationen bei internatio­nalen Truppenste­llungen, hat 25 Stabsoffiz­iere bei der EU und nimmt an sieben der 47 Pesco-Projekte teil – und das alles mit einem der weltweit geringsten Verteidigu­ngsbudgets.

Pesco steht für „Permanent Structured Cooperatio­n“– ein von der EU 2017 aufgelegte­s Programm zur militärisc­hen Zusammenar­beit. Formal bleibt Österreich auch damit neutral, wie es Vranitzky versproche­n hatte: Es ging neutral in die EU – ähnlich wie eine Jungfrau, die jungfräuli­ch in die Ehe geht.

 ??  ?? Seit Dezember 2004 stehen die österreich­ischen Soldaten in Bosnien und Herzegowin­a unter dem Kommando der Eufor/Althea.
Seit Dezember 2004 stehen die österreich­ischen Soldaten in Bosnien und Herzegowin­a unter dem Kommando der Eufor/Althea.

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