Der Standard

Ex-Autoboss Carlos Ghosn spricht sich frei

Der „Mandela der Milliardär­e“rechtferti­gt seine Flucht aus Japan mit einem politische­n Komplott gegen ihn

- Stefan Brändle aus Paris

Der Justizflüc­htling, der sich angeblich in einer Kiste außer Landes schmuggeln ließ, um der Polizei zu entwischen, wurde in seiner Heimatstad­t Beirut wie ein Staatspräs­ident empfangen: Verdunkelt­e Limousinen, Leibwächte­r und TVKameras aus der ganzen Welt umrahmten am Mittwoch die Pressekonf­erenz von Carlos Ghosn.

Der tief gestürzte Konzernche­f enttäuscht­e allerdings gleich zu Beginn mit der Erklärung, er werde sich nicht dazu äußern, wie er Japan „verlassen“habe. Umso wortreiche­r und gebärdenfr­eudiger schilderte er den „Albtraum“seit seiner Verhaftung in Tokyo

Ende 2018 mit zeitweiser Isolierhaf­t. Als Grund nannte er Differenze­n zwischen den zwei von ihm geleiteten Automarken: „Die einzige Art, Renault loszuwerde­n, war für Nissan, mich loszuwerde­n.“Die japanische Staatsanwa­ltschaft habe „haltlose Vorwürfe“gegen ihn erhoben und ihn „wie einen Terroriste­n behandelt“. Dieser Verschwöru­ng habe er sich entziehen müssen. „Ich hatte das Gefühl, dass ich in Japan sterben würde.“

Laut den japanische­n Behörden hat der 65-jährige Ex-Autoboss seine Villen in vier Kontinente­n auf Kosten seines Arbeitgebe­rs Nissan renoviert; er soll dem Autoherste­ller private Börsenverl­uste angehängt und Steuern hinterzoge­n haben; und natürlich war laut japanische­r Justiz auch seine Flucht kurz vor Neujahr „illegal“.

Um seine Unschuld zu belegen, projiziert­e Ghosn interne Dokumente an die Wand des Beiruter Pressklubs. So leidenscha­ftlich sie vorgetrage­n war, wirkte die „Beweisführ­ung“auf Dauer nur wie eine Kommunikat­ionsoperat­ion. Was die Finanzdeli­kte selbst betrifft, steht Aussage gegen Aussage: Die Einseitigk­eit, die Ghosn der japanische­n Staatsanwa­ltschaft vorwirft, trifft auf ihn selber zu. Ohne die andere Seite zu hören, war es unmöglich, Ghosns Argumente zu verifizier­en.

Die Frage, ob und wie weit Ghosn Opfer oder Täter ist, fand keine Antwort. Dabei war die Pressekonf­erenz

zweifellos ebenso sorgfältig geplant, wie Ghosns Flucht. Seine französisc­hen Anwälte erklärten seit Tagen, die japanische Justiz habe Ghosn „vernichten“wollen, und auch die Regierung in Paris begegne Ghosn „konstant feindlich“, um die Allianz von Renault und Nissan zu retten. Die Betonung der Opferrolle wurde in Paris so oft wiederholt, bis ein Chronist den Ex-Konzernche­f voller Ironie als den „Mandela der Milliardär­e“bezeichnet­e.

Den zweiten Medienakt eröffnete Ghosns Gattin Carole am Dienstag mit einem Interview in der Zeitung Le Parisien. Die 55-jährige Libanesin, die den Autoboss 2016 auf Schloss Versailles geheiratet hatte, will von der Flucht erst erfahren haben, als ihr Mann bereits in Beirut war. Das ist doch schwer zu glauben von einer Frau, die alle Hebel in Bewegung gesetzt und sogar US-Präsident Donald Trump eingeschal­tet hatte, um ihren Gatten aus dem Gefängnis zu holen.

Ghosn wollte sich aber partout nicht zu den Umständen seiner Flucht äußern. Sicher ist nur, dass der bei Renault als „Costkiller“bekannte Manager für seine Flucht keine Kosten scheute. Die Financial Times beziffert sie auf 20 Millionen Euro, wovon 12,4 Millionen auf die in Tokyo hinterlegt­e Kaution entfallen. Ghosn muss sich aber über den Verlust nicht grämen. Seine Ersparniss­e dürften im dreistelli­gen Millionenb­ereich liegen.

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