Ex-Autoboss Carlos Ghosn spricht sich frei
Der „Mandela der Milliardäre“rechtfertigt seine Flucht aus Japan mit einem politischen Komplott gegen ihn
Der Justizflüchtling, der sich angeblich in einer Kiste außer Landes schmuggeln ließ, um der Polizei zu entwischen, wurde in seiner Heimatstadt Beirut wie ein Staatspräsident empfangen: Verdunkelte Limousinen, Leibwächter und TVKameras aus der ganzen Welt umrahmten am Mittwoch die Pressekonferenz von Carlos Ghosn.
Der tief gestürzte Konzernchef enttäuschte allerdings gleich zu Beginn mit der Erklärung, er werde sich nicht dazu äußern, wie er Japan „verlassen“habe. Umso wortreicher und gebärdenfreudiger schilderte er den „Albtraum“seit seiner Verhaftung in Tokyo
Ende 2018 mit zeitweiser Isolierhaft. Als Grund nannte er Differenzen zwischen den zwei von ihm geleiteten Automarken: „Die einzige Art, Renault loszuwerden, war für Nissan, mich loszuwerden.“Die japanische Staatsanwaltschaft habe „haltlose Vorwürfe“gegen ihn erhoben und ihn „wie einen Terroristen behandelt“. Dieser Verschwörung habe er sich entziehen müssen. „Ich hatte das Gefühl, dass ich in Japan sterben würde.“
Laut den japanischen Behörden hat der 65-jährige Ex-Autoboss seine Villen in vier Kontinenten auf Kosten seines Arbeitgebers Nissan renoviert; er soll dem Autohersteller private Börsenverluste angehängt und Steuern hinterzogen haben; und natürlich war laut japanischer Justiz auch seine Flucht kurz vor Neujahr „illegal“.
Um seine Unschuld zu belegen, projizierte Ghosn interne Dokumente an die Wand des Beiruter Pressklubs. So leidenschaftlich sie vorgetragen war, wirkte die „Beweisführung“auf Dauer nur wie eine Kommunikationsoperation. Was die Finanzdelikte selbst betrifft, steht Aussage gegen Aussage: Die Einseitigkeit, die Ghosn der japanischen Staatsanwaltschaft vorwirft, trifft auf ihn selber zu. Ohne die andere Seite zu hören, war es unmöglich, Ghosns Argumente zu verifizieren.
Die Frage, ob und wie weit Ghosn Opfer oder Täter ist, fand keine Antwort. Dabei war die Pressekonferenz
zweifellos ebenso sorgfältig geplant, wie Ghosns Flucht. Seine französischen Anwälte erklärten seit Tagen, die japanische Justiz habe Ghosn „vernichten“wollen, und auch die Regierung in Paris begegne Ghosn „konstant feindlich“, um die Allianz von Renault und Nissan zu retten. Die Betonung der Opferrolle wurde in Paris so oft wiederholt, bis ein Chronist den Ex-Konzernchef voller Ironie als den „Mandela der Milliardäre“bezeichnete.
Den zweiten Medienakt eröffnete Ghosns Gattin Carole am Dienstag mit einem Interview in der Zeitung Le Parisien. Die 55-jährige Libanesin, die den Autoboss 2016 auf Schloss Versailles geheiratet hatte, will von der Flucht erst erfahren haben, als ihr Mann bereits in Beirut war. Das ist doch schwer zu glauben von einer Frau, die alle Hebel in Bewegung gesetzt und sogar US-Präsident Donald Trump eingeschaltet hatte, um ihren Gatten aus dem Gefängnis zu holen.
Ghosn wollte sich aber partout nicht zu den Umständen seiner Flucht äußern. Sicher ist nur, dass der bei Renault als „Costkiller“bekannte Manager für seine Flucht keine Kosten scheute. Die Financial Times beziffert sie auf 20 Millionen Euro, wovon 12,4 Millionen auf die in Tokyo hinterlegte Kaution entfallen. Ghosn muss sich aber über den Verlust nicht grämen. Seine Ersparnisse dürften im dreistelligen Millionenbereich liegen.