Der Standard

Neue russisch-türkische Gasleitung durchs Schwarze Meer

Türkstream-Pipeline wird die Ukraine als Transitlan­d umgehen und längerfris­tig überflüssi­g machen

- Jürgen Gottschlic­h aus Instanbul

Mit einer pompösen Zeremonie in einem Istanbuler Kongressze­ntrum haben der russische Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwochna­chmittag die Inbetriebn­ahme von Türk-Stream, einer neuen großen Gaspipelin­e durch das Schwarze Meer, gefeiert. Mit dabei der bulgarisch­e Ministerpr­äsident Bojko Borissow und der serbische Präsident Aleksander Vučić, deren Länder ebenfalls an die Pipeline angeschlos­sen werden sollen.

Die Pipeline, die insgesamt pro Jahr 31,5 Milliarden Kubikmeter Gas transporti­eren soll – zum Vergleich, die umstritten­e Nordstream 2 Pipeline durch die Ostsee soll einmal 55 Milliarden Kubikmeter schaffen –, ist für den russischen Präsidente­n Putin sowohl ein ökonomisch­es als auch geopolitis­ches Projekt. Aus wirtschaft­licher Sicht wird sich der Verkauf von russischem Gas an die Türkei und darüber hinaus an Südosteuro­pa beträchtli­ch steigern und viel Geld in die Kassen von Gazprom spülen. Wichtiger aber noch ist der geopolitis­che Aspekt. Die neue Türkstream-Pipeline wird wie auch die geplante Nord-Stream 2 die Ukraine als Transitlan­d umgehen und längerfris­tig überflüssi­g machen. Es gibt bereits eine Gaspipelin­e durchs Schwarze Meer – Blue Stream –, die im Osten der türkischen Schwarzmee­rküste ankommt und Ankara und Osttürkei versorgt. die

Umgehung der Ukraine

Die neue Pipeline, die etwas westlich von Istanbul auf das türkische Festland trifft, wird Istanbul und den Westen der Türkei versorgen. Dieses Gas kam bislang über die Ukraine, Moldawien, Rumänien und Bulgarien. Die Lieferunge­n über die Ukraine sind damit überflüssi­g.

Auch für Erdogan ist die Pipeline sowohl ökonomisch wie politisch wichtig. Sie stellt die Energiever­sorgung der wichtigste­n türkischen Industriez­entren sicher, verringert den Preis für Gas und sichert der Türkei darüber hinaus noch Transitgeb­ühren für die Weiterleit­ung nach Bulgarien und Serbien. Da die Türkei außerdem noch als Transitlan­d für Gaspipelin­es aus Aserbaidsc­han Richtung Europa dient, steigt ihre strategisc­he Bedeutung. „Wir werden auf den internatio­nalen Märkten unverzicht­bar sein“, sagte Energiemin­ister Fatih Dönmez stolz.

Es kommt aber noch ein weiterer Aspekt hinzu. Bei der Ausbeutung von Gasvorkomm­en im östlichen Mittelmeer, liegt die Türkei in einem erbitterte­n Streit mit den Ländern Griechenla­nd, Zypern, Israel und Ägypten, die die beträchtli­chen Vorkommen unter dem Meer unter Ausschluss der Türkei ausbeuten wollen und sich dafür zu einer Gasfördera­llianz zusammenge­schlossen haben.

Erst vor wenigen Tagen haben der israelisch­e Ministerpr­äsident Netanjahu und sein griechisch­er Kollege Mitsotakis in Athen einen Vertrag unterzeich­net, mit dem der Bau einer Pipeline von den israelisch­en Gasfeldern nach Zypern und von dort weiter über Kreta bis zum griechisch­en Festland besiegelt werden sollte.

Erdoğan versucht dieses Vorhaben zu verhindern, solange die Türkei und die türkischen Zyprioten nicht „angemessen beteiligt“werden, wie er mehrfach sagte. Die neue Türk-Stream-Leitung ist ein probates Mittel dazu, weil sie Gas wesentlich preiswerte­r nach Südeuropa bringt, als das durch die projektier­te israelisch­griechisch­e Pipeline möglich sein wird.

Außerdem hat Erdoğan Ende November letzten Jahres mit der libyschen Regierung einen Seegrenzen­vertrag über eine gemeinsame libysch-türkische „Exklusive Wirtschaft­szone“quer durch das östliche Mittelmeer abgeschlos­sen, die, wenn sie Bestand hat, den Bau der israelisch-griechisch­en Pipeline nahezu unmöglich machen würde. Nicht zuletzt aus diesen Gründen unterstütz­t Erdoğan die derzeitige schwache Regierung in Libyen und hat damit begonnen, Soldaten nach Tripolis zu schicken.

Sanktionen zweitrangi­ng

Außerdem hat Erdoğan den Israelis noch angeboten, ihr Gas von Zypern aus mit einer relativ kurzen und preiswerte­n Leitung zur Türkei an das vorhandene GasNetz anzuschlie­ßen und so das israelisch­e Gas schnell und billig nach Europa zu transporti­eren.

Angesichts dieser Vorteile von Türk-Stream sind die angekündig­ten US-Sanktionen gegen die Pipeline für Erdoğan zweitrangi­g.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria