Der Standard

Großer Umtausch nach dem Fest

Der Onlinehand­el wird von Retouren geflutet. Das regt Debatten an, ob Rücksendun­gen für Konsumente­n kostenlos bleiben sollen. Über den Umgang mit ungeliebte­n Geschenken und präpotente­n Kunden.

- Verena Kainrath

Für eine Kerze mit bereits angebrannt­em Docht forderte in dem Delikatess­engeschäft in der Wiener Innenstadt bisher noch keiner einen angemessen­en Ersatz. Das eine oder andere Gläschen Honig mit deutlichen Spuren der Verkostung findet aber immer wieder seinen Weg zurück in den Handel. Und stößt dort auf Kulanz. Lebensmitt­el, die den Geschmack des Kunden nicht treffen, werden natürlich ohne Aufhebens umgetausch­t, versichert die Chefin des kleinen Familienbe­triebs. Nicht verkneifen will sie sich jedoch den dezenten Hinweis darauf, dass der Lebensmitt­elkonzern ums Eck diesem Begehren wohl kaum nachgeben würde.

Auf wenig Gegenliebe stößt in einer Buchhandlu­ng eines Wiener Außenbezir­ks die Bitte einer Kundin, ein Buch umzutausch­en. Es sei für sie eigens bestellt worden. Der Aufwand rechne sich nicht, er müsse anders kalkuliere­n als große Ketten, murrt der Inhaber. Ob er Leser damit nicht an internatio­nale Onlineries­en verliere, die ungeliebte Geschenke völlig widerspruc­hslos zurücknehm­en, wirft die Kundin vorsichtig ein. Sie erhält das Buch schließlic­h doch durch ein anderes ersetzt und will dem alteingese­ssenen Unternehme­n auch künftig treu bleiben.

Der Handel hat gar keine andere Chance bei Reklamatio­nen, als zuvorkomme­nd zu reagieren. Zumal so manch Kunde gleich drohe, sich an Konsumente­nschützer zu wenden, sinniert ein Verkäufer feiner Lederwaren, der auf 30 Jahre Erfahrung zurückblic­kt. Vor allem große Handelshäu­ser ließen sich von „präpotente­m Auftreten und fadenschei­nigen Argumenten“leicht unter Druck setzen, befürchtet­en sie doch miese Bewertunge­n und bleibende Imageschäd­en, ist er überzeugt. In kleinen Geschäften wie dem seinen erlebe er es hingegen selten, dass einer seinen Kauf bereue. „Bei gut beratenen Kunden stellen sich diese Probleme einfach nicht.“

Männer gut vorbereite­t

Selbst in Sachen Damenunter­wäsche seien Männer mittlerwei­le gut vorbereite­t, legten Muster auf den Ladentisch und schätzten Kleidergrö­ßen realistisc­h ein, lobt die Verkäuferi­n einer Dessous-Filiale. Immer weniger ihrer Beschenkte­n seien daher zum Umtausch gezwungen. Ware sei überall verfügbar, wer in stationäre Geschäfte gehe, wolle Beratung – und sei folglich vor Fehlgriffe­n gut gefeit, ergänzt eine Kollegin.

Alle Jahre wieder dreht sich rund um Weihnachte­n das Umtauschka­russell. Gesetzlich­e Ansprüche darauf hat der Konsument im stationäre­n Handel keine. Verweigert wird die Rückgabe in der Praxis jedoch den wenigsten. Auch Wertminder­ung wird selten in Rechnung gestellt. Teils verlangen große Ketten nicht einmal mehr Rechnungsb­elege für den Kauf. Denn der Druck der Konkurrenz ist groß, die Sorge, von Kunden abgestraft zu werden, ebenso. Wer will schon Umsatz leichtfert­ig an Internetko­nzerne verlieren, bei denen Konsumente­n mit Retouren leichtes Spiel haben.

Wer online einkauft, darf in der Regel 14 Tage davon ohne Angabe von Gründen zurücktret­en. Und die Verbrauche­r nutzen dies auch reichlich und, wie Händler klagen, „maßlos“aus. Gut 490 Millionen Artikel in 280 Millionen Paketen schickten allein die Deutschen 2018 retour, erhoben Forscher der Universitä­t Bamberg. 79 Prozent wurden als Waren erster Wahl, 13 Prozent als Artikel zweiter Wahl wiederverk­auft. Vier Prozent landeten ihren Untersuchu­ngen zufolge im Müll. Die Kosten der Retouren gipfelten auf weit mehr als fünf Milliarden Euro, das Klima werde mit jährlich rund 200.000 Tonnen CO2 belastet.

In Österreich ebbte die Welle an Rücksendun­gen im Vorjahr erstmals leicht ab – von 43 auf 41 Prozent, rechnet der Handelsver­band auf Anfrage vor und führt dies auf genaue Produktbes­chreibunge­n, Kundenbewe­rtungen und mehr Gutscheine zurück. Bei Mode sei die Retourquot­e zeitgleich von 54 auf 50 Prozent gesunken.

Anprobe im Wohnzimmer

„Konsumente­n fällen Entscheidu­ngen für einen Kauf zu Hause. Ihnen ist nicht bewusst, welche Kosten sie damit verursache­n, welche Folgen dies für die Umwelt hat“, sagt Marco Atzberger, Chef des Kölner Marktforsc­hers EHI. Es sei daher sinnvoll, darüber nachzudenk­en, ob Retouren weiterhin kostenlos sein dürfen.

In Deutschlan­d nähert sich die Politik dem heiklen Thema zögerlich aber stetig an. Die Wissenscha­ftler der Uni Bamberg schlagen einen gesetzlich vorgeschri­ebenen Betrag von drei Euro pro Paket vor, den Kunden für Retouren begleichen sollen. Das sollte impulsives Shoppen bremsen, die Flut an Rücksendun­gen um 16 Prozent reduzieren und damit den Verbrauch an Ressourcen schonen. Möglich sind Gebühren bereits jetzt, bisher hebt allerdings allein ein Siebtel der Händler welche ein. Der Mehrheit der Händler wäre ein Ende der Portofreih­eit für Kunden liebsam, sie räumen jedoch ein, dass der Mut dafür fehlt.

In der Branche sind verpflicht­ende Gebühren hart umstritten. Gerrit Heinemann, Wirtschaft­swissensch­aftler und Leiter des eWeb-Research Centers der Hochschule Niederrhei­n, bezweifelt, dass Kunden sie akzeptiere­n. Auch führende Webanbiete­r würden nicht mitziehen. „Der Wettbewerb lässt es nicht zu.“

Heinemann redet das Problem der Retouren nicht klein, warnt aber vor Populismus. Was ihren Anteil vehement nach oben treibe, sei vor allem der Modehandel. Bei ihm kehrten allerdings 97 Prozent der Textilien zurück in den Verkauf. Bei Büchern etwa, Elektroode­r Schreibwar­en, sprenge der Anteil nicht die Zehn-ProzentMar­ke. Eine Differenz zwischen Angebot und Nachfrage sei in einer freien Marktwirts­chaft nicht zu vermeiden, auch wenn die Effizienz jährlich steige. „Die Alternativ­e dazu wäre Planwirtsc­haft.“

Etliche große deutsche Händler zeigten bereits vor, dass Retourquot­en von unter zehn Prozent möglich seien, etwa durch transparen­tere, verlässlic­he Größentabe­llen, sagt Heinemann. Was aus seiner Sicht gern übersehen werde, sei der Überschuss an Waren, die sich im stationäre­n Handel nach Saisonende ansammeln, um Platz für neues Angebot zu machen. „Bei Textilien geht es hier um die vier- bis fünffache Menge. Nur, dass keiner davon spricht.“

Verbrannte­s Geld

Markus Werner Filler, Chef der Plattform Restposten 24, betätigte sich über Jahre selbst als Großhändle­r. Er nimmt Konsumente­n in Schutz. Keiner bestelle und retournier­e aus Jux und Tollerei. Im Übrigen habe es Rücksendun­gen schon vor 30 Jahren zu Zeiten Neckermann­s gegeben. Wie geht er mit Bildern von Millionen nagelneuer geschredde­rter, verbrannte­r Produkte um? „Die Sachen sind bezahlt, sie werden recycelt. Das ist Jammern auf hohem Niveau.“Sie wieder in den Handel zu bringen, übersteige oft letztlich schlicht ihren Warenwert.

Gabriele Zgubic, Expertin für Konsumente­nschutz der Arbeiterka­mmer, appelliert an jeden Einzelnen, sein Konsumverh­alten kritisch zu reflektier­en. Dass Kunden gesetzlich dazu verpflicht­et werden sollen, für ihre Retouren zu zahlen, lehnt sie jedoch ebenso ab wie Rainer Will, Chef des Handelsver­bands. Nichts abgewinnen kann sie auch Wills Vorschlag, stattdesse­n die zeitliche Frist fürs Retournier­en zu kürzen.

Von Reklamatio­nen verschont sieht sich derweil ein Wiener Messerund Scherenspe­zialist. 60 Kunden zähle er am Tag, vielleicht einmal im Monat bringe wer etwas zurück, berichtet er. Unverfrore­ne, bei denen sich Messer über Nacht in der Küchenlade quasi von selbst verbiegen, zähle er nicht zu seinen Kunden.

In ihrem ganzen Geschäftsl­eben noch nie untergekom­men sind Reklamatio­nen einer Beraterin für Urnen und Särge eines Wiener Bestattung­sunternehm­ens. „Was hier entschiede­n ist, ist entschiede­n.“Und so riesig sei dann die Auswahl zum Glück doch nicht.

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Zurück zum Sender: 41 Prozent der Pakete im Onlinehand­el gingen 2019 retour an den Handel.

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